Die AHV ist derzeit gross im Rampenlicht: Das nationale Parlament diskutiert die 13. Rente, die Aufhebung des Ehepaarplafonds und sonstige Ideen, die viel kosten werden. Gleichzeitig schlittert die Invalidenversicherung (IV) in aller Stille auf eine grosse Krise zu. Die IV ist hoch verschuldet, und ihre finanziellen Aussichten verschlechtern sich stets. Sie schuldet dem AHV-Fonds immer noch fast zehn Milliarden Franken. Jedes Jahr zahlt die IV dem AHV-Fonds mehr als 200 Millionen Franken an Zinsen. Mit anderen Worten: Ein Teil der Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer dient in erster Linie der Finanzierung der alten Schulden und nicht den heutigen Eingliederungsmassnahmen oder den Renten von morgen.
Noch gravierender ist, dass der Ausgleichsfonds der IV bereits heute nur noch rund 33 Prozent der jährlichen Ausgaben deckt, obwohl das IV-Gesetz klar vorsieht, dass dieser Fonds in der Regel nicht weniger als 50 Prozent der Ausgaben betragen darf. Wir befinden uns also nicht mehr nur unterhalb eines komfortablen Niveaus, sondern bereits unterhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Untergrenze.
Deutlich frĂĽher ausser Kontrolle
Die neuen Finanzperspektiven bestätigen diese beunruhigende Diagnose. Im Referenzszenario, das lediglich von einer Fortsetzung des aktuellen Trends ausgeht, schmelzen die Reserven der IV Jahr für Jahr dahin – wie ein Eiswürfel an der Sonne. Um das Jahr 2038 ist das Polster praktisch aufgebraucht, und 2040 wird das Kapital der IV bereits leicht negativ. Es handelt sich dabei noch nicht um einen Konkurs im rechtlichen Sinne, aber um eine strukturell ausgelaugte Versicherung, die von politischen Notfallentscheidungen abhängig ist.
Nochmals: Hierbei handelt es sich lediglich um das durchschnittliche Szenario. Im ungünstigeren Szenario, das mit einer schwächeren Konjunktur und mit einem stärkeren Anstieg der neuen Renten rechnet, gerät die Situation deutlich früher ausser Kontrolle. Ab Anfang der 2030er-Jahre rutscht der Fonds tief in die roten Zahlen, und 2040 erreicht das kumulierte Defizit ein solches Ausmass, dass es nur noch durch massive Rettungsmassnahmen in Form von Beitrags- und Mehrwertsteuererhöhungen oder neuen Transferzahlungen des Bundes ausgeglichen werden kann.
KMU sind keine MilchkĂĽhe
Vor diesem Hintergrund erhält die aktuelle Debatte um die AHV eine neue Dimension.
«Die Schweiz wird eine unterfinanzierte AHV und eine ausgeblutete IV haben.»
Je mehr die Leistungen und Ausgaben der AHV ohne strukturelle Reformen ausgeweitet werden, desto mehr wird der politische und finanzielle Spielraum aufgezehrt, den wir für die Sanierung der IV benötigen würden. Jede zusätzliche Finanzierungsquelle, die für die 13. Rente oder andere Erweiterungen der AHV mobilisiert wird, steht dann nicht mehr – oder nur noch sehr schwer – für die Stabilisierung unserer Invalidenversicherung zur Verfügung, die bereits unter der gesetzlichen Mindestreserve liegt.
Für KMU sind das keine abstrakten Probleme. Die IV-Beiträge, die von der Lohnsumme abgezogen werden, sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeitskosten. Solange man sich weigert, ernsthaft über Strukturreformen, bessere Prävention, schnellere Integration in den Arbeitsmarkt und die Eindämmung neuer Renten zu sprechen, wächst das Risiko, dass in einigen Jahren ein neues Paket von Erhöhungen der Sozialabgaben auf das Tapet kommt. Dieses wird dann im Namen der Rettung der IV als unvermeidlich dargestellt.
Wenn sich nichts ändert, wird die Schweiz eine erweiterte, aber unterfinanzierte AHV und eine ausgeblutete IV haben, die von Quersubventionen und provisorischen Steuerlösungen abhängig ist. Das ist weder gegenüber den Versicherten ehrlich noch für die Unternehmen tragbar, die zusammen mit ihren Mitarbeitern den Grossteil des Systems finanzieren. Es ist an der Zeit, den Blickwinkel zu erweitern, über die AHV und die IV gemeinsam zu sprechen und vor allem strukturelle Reformen zu wagen, die verhindern, dass die KMU erneut zu den Milchkühen der Sozialversicherungen werden.
Simon Schnyder, Ressortleiter sgv