«The flavour of the month»: US-amerikanische Glaceverkäufer waren die Ersten, welche diesen Begriff verwendeten. Er bezeichnete einen neuen Geschmack, der jeweils für kurze Zeit im Angebot war. Im übertragenen Sinn wird der Begriff noch heute als Bezeichnung für etwas verwendet, das gerade angesagt ist.
Der Ruf nach Entbürokratisierung scheint gerade ein «flavour of the month» zu sein. Zumindest erhält man diesen Eindruck, wenn man jüngste Verlautbarungen von Verbänden der Grossunternehmen liest. Viele dieser Konzerne haben bis vor kurzem noch für neue Vorschriften lobbyiert. So haben Konzerne zusammen mit NGOs vor nicht langer Zeit in der EU die sog. Entwaldungsverordnung durchgepeitscht. Ein Paradebeispiel für ein Bürokratiemonster, das für ein KMU fast nicht umsetzbar ist. Und hierzulande drücken sich die Verbände der Grossunternehmen aktuell um eine klare Absage an einen Gegenvorschlag zur Zweitauflage der Konzernverantwortungsinitiative. Nur der Schweizerische Gewerbeverband spricht Klartext: Keine neuen Gesetze – egal ob es solche auch in der EU gibt oder nicht.
Wer bei den diversen Verlautbarungen gegen Bürokratie genau hinschaut, sieht die unterschiedlichen Denkweisen dahinter. Die Verbände der Konzerne verstehen unter Bürokratieabbau mehr Effizienz bei der Umsetzung von Vorschriften. Deshalb sprechen sie gerne von Digitalisierung, verweisen auf Länder wie Schweden, wo die Verwaltung stark digitalisiert ist. Der sgv und die kantonalen Gewerbeverbände hingegen benennen das Übel an der Wurzel, nämlich die Vielzahl von Vorschriften und ein Nanny-Staat, der seine Bürger von der Wiege bis zur Bahre an der Hand nehmen will.
Wenn die Verwaltung effizienter wird, müssen Volk und Unternehmen einen Vorteil davon haben. Zum Beispiel mit tieferen Steuern und Abgaben. Völlig verkehrt ist es aber, wenn Mehrbelastungen resultieren. So geschehen bei der SRG-Steuer für Unternehmen: Der Wechsel von der früheren Geräteabgabe zur heutigen SRG-Steuer wurde auch mit administrativen Vereinfachungen begründet. Das Resultat: Die Unternehmen zahlen heute insgesamt viermal mehr als früher. Nämlich jedes Jahr rund 180 Millionen Franken. Für viele Unternehmen ist die SRG-Rechnung sogar um über 1000% gestiegen. Auch hier ist der sgv der einzige Dachverband, der sich klar dagegen wehrt.
Die unterschiedlichen Sichtweisen von Grossunternehmen und KMU zeigen sich auch bei der Beurteilung der neuen EU-Verträge. Die Verbände der Konzerne sind klar dafür. Denn für die internationalen Rechtsabteilungen von Grossunternehmen sind auch komplizierte EU-Regeln bewältigbar. Hier gilt nicht, «je einfacher, desto besser», sondern «je einheitlicher, desto besser». Deshalb haben Konzerne ein Interesse daran, dass überall – egal ob in Frankreich, Deutschland oder in der Schweiz – die gleichen Regeln gelten. Wenn aber Gewerbler für Inlandgeschäfte komplizierte EU-Regeln anwenden müssen, bringt das keinen Mehrwert, sondern häufig mehr Kosten. Als Bedingung für eine allfällige Zustimmung verlangt der sgv deshalb ein KMU-Entlastungspaket.
Der sgv-Präsident, Ständerat Fabio Regazzi, kämpft im Parlament für eine Regulierungskostenbremse. Zudem hat der sgv über die Gewerbekammer-Mitglieder im Parlament zahlreiche Vorstösse in den Bereichen Steuern, Unternehmensentlastung, Buchführung und Handelsrecht lanciert. Denn für den sgv zählen Taten statt Worte.