Publiziert am: 12.12.2025

«Ermöglichen statt verhindern»

MAURUS BLUMENTHAL – «Die Behörden auf allen staatlichen Ebenen, inklusive der Gerichte, sollten ihren Spielraum nutzen, um Raumentwicklung zu ermöglichen», findet der Direktor des Bündner Gewer­be­verbands. Nur so könne das Gewerbe im Berggebiet florieren und dringend nötige Arbeitsplätze anbieten.

Schweizerische Gewerbezeitung: Die Wintersaison 2025/26 ist in vollem Gang: Wie geht es dem Tourismus im Kanton Graubünden?

Maurus Blumenthal: Seit der Corona-Pandemie erlebt der Bündner Tourismus ein solides, stetiges Wachstum. Viele Destinationen konnten für den vergangenen Sommer gute Zahlen ausweisen, und auch die Buchungsstände für den Winter präsentieren sich erfreulich. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Rentabilität vieler touristischer Betriebe nach wie vor tief ist. Hotellerie und Bergbahnen sind stark investitionsintensiv, gleichzeitig sind die Personalkosten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Positiv ist, dass die Gäste bereit sind, höhere Preise zu bezahlen – insbesondere im gehobenen Segment.

Und Fachkräfte gibt es genügend im Tourismus?

Der Fachkräftemangel zeigt sich auch im Tourismus deutlich. In vielen Destinationen herrscht mittlerweile eine Wohnungsnot, wie man sie sonst aus Grossstädten kennt. Hotels, die über eigene Personalunterkünfte verfügen, sind daher klar im Vorteil. Zahlreiche Betriebe haben solche realisiert oder planen sie. Neben raumplanerischen Herausforderungen erschwert jedoch auch die Lex Koller den Bau von Personalhäusern. Da ausländischen Investoren der Erwerb solcher Immobilien untersagt ist, blockiert dies teilweise dringend notwendige Bauprojekte.

Der Wohnungsmangel für Mitarbeitende scheint nicht nur im Tourismus ein Problem zu sein. Im Unterland hört man, dass es im Bündnerland zwar Jobs gäbe und auch Bewerber – die aber mangels Wohnungen gar nicht antreten können. Was läuft da falsch?

Auch in Graubünden sind die bekannten Herausforderungen der Raumplanung und Baubewilligungsverfahren deutlich spürbar: eine ausufernde Bürokratie, lange Verfahren, Behörden, die mit ihren Entscheiden zögern, sowie eine zunehmende Einspracheflut von Privaten und Schutzorganisationen.

Hinzu kommt ein spezifisches Problem: Die grundsätzlich gut gemeinte Raumplanungspolitik der vergangenen 15 Jahre zeigt in den Randregionen zunehmend negative Nebenwirkungen. Diese Kollateralschäden hemmen die lokale Entwicklung.

Welche Schäden meinen Sie?

Die Raumplanungspolitik und die Baubewilligungsverfahren stellen für Gewerbe und KMU heute eine der grössten Herausforderungen dar. Die negativen Folgen der Raumplanung der letzten Jahrzehnte werden inzwischen deutlich – auch in Graubünden. Fehlgeleitete Entwicklungen führen dazu, dass Wertschöpfungspotenzial verloren geht. Unsere letzte Mitgliederumfrage zeigt: Über ein Drittel der Unternehmen in Graubünden sieht seine betriebliche Entwicklung durch die eingeschränkte Verfügbarkeit von Bauland oder Nutzflächen behindert. Ebenfalls mehr als ein Drittel kann potenzielle Mitarbeitende nicht einstellen, da kein geeigneter Wohnraum in der Nähe verfügbar ist. Das müsste nicht sein, denn im Vergleich zum Mittelland ist Graubünden weder zersiedelt noch überbaut. Es gibt ausreichend ungeschützte Fläche für künftige Bebauung.

Und das Thema Zweitwohnungen?

Ein Grund für die Knappheit an Erstwohnungen sind neben RPG 1 die Folgen der Zweitwohnungsinitiative. Beide haben in vielen Bündner Gemeinden die Baufläche künstlich verknappt, was zu stark steigenden Preisen und einem «Goldküsteneffekt» führt. Ein Verbot der Umwandlung altrechtlicher Erst- in Zweitwohnungen ist keine Lösung – dies war nie Teil der Initiative und hätte keine Mehrheit gefunden. Nachhaltig ist nur, den Markt für Zweitwohnungen wieder für Erstwohnungen zu öffnen. Einige Bündner Gemeinden hatten dafür einst ein funktionierendes Steuerungssystem. Da die Zweitwohnungsinitiative sehr schädliche, unerwünschte Nebenwirkungen hat, muss es erlaubt sein, die jetzige Regelung zu überdenken. Eine neue Regelung darf dabei keinen ungebremsten Zweitwohnungsbau auslösen, sondern sie muss gezielt genügend Erstwohnungen sicherstellen.

In Graubünden gibt es nicht bloss zu wenig Wohnungen, sondern auch zu wenig Gewerbeflächen. Zwei Facetten desselben Problems?

Grundsätzlich ja, denn die topografischen und siedlungstechnischen Voraussetzungen in Graubünden unterscheiden sich stark von denen zum Beispiel in Basel-Stadt. Dennoch gelten Raumplanungsgesetz, entsprechende Verordnungen und weitere Bestimmungen des Bundes für alle Regionen gleich. Der Bund beurteilt, wie viele freie Gewerbeflächen im Kanton zulässig sind. Auf dem Papier scheint es genügend zu geben, doch in Graubünden liegen sie oft am falschen Ort. Während dies in vielen Regionen der Schweiz kaum ein Problem darstellt, ist es in Graubünden aufgrund der grossen Distanzen und der herausfordernden Topografie relevant. Graubünden benötigt daher mehr eingezonte Gewerbefläche, als rechnerisch erforderlich wäre, um den tatsächlichen Bedarf zu decken aufgrund seiner topografischen Gegebenheiten.

Was sind die wichtigsten Gründe dafür, dass in Ihrem Kanton zu wenig gebaut wird?

Aktuell liegt das Problem darin, dass schlicht zu wenig Bauland verfügbar ist. Dort, wo Bauland existiert, bestehen kaum Anreize, es zu mobilisieren. Ich stehe einer Mobilisierungspflicht von Bauland ab einer bestimmten Grösse positiv gegenüber. Bauland über Jahrzehnte zu horten, obwohl Bedarf zum Bauen besteht, ist heute nicht mehr akzeptabel. Ein weiterer Grund sind die Planungszonen, deren Bearbeitung teilweise mehr als fünf Jahre dauert, was gegen Bundesrecht verstösst, sowie die zahlreichen Einsprachen und sehr langen Gerichtsverfahren.

Welche Lösungsansätze haben sie im Allgemeinen?

Raumplanung braucht klare Regeln und eine wirksame Steuerung. Doch das aktuelle System stösst überall an seine Grenzen, nicht nur in Graubünden. Es ist zu komplex, zu träge und zu wenig praxisnah. Jetzt sind Vereinfachungen und Reformen in der Raumplanung dringend erforderlich. Die Raumplanung braucht mehr Föderalismus statt Zentralismus, mehr Pragmatismus und Flexibilität statt Bürokratie, und vor allem Raum für Entwicklung.

Der Bündner Gewerbeverband verlangt, dass die nationale Raumplanungspolitik mehr Rücksicht auf kantonale und regionale Gegebenheiten nehmen soll. Wie stellen Sie sich das vor?

Nationale Raumplanungsbestimmungen müssen künftig nach funktionalen Räumen formuliert werden. Nur so lässt sich dezentrales Wohnen und Wirtschaften in der Schweiz langfristig sichern und stärken. Funktionale Räume müssen im nationalen Recht stärker berücksichtigt werden, denn die aktuellen bundesrechtlichen Vorgaben bremsen die wirtschaftliche Entwicklung zunehmend – insbesondere in Randregionen mit ganz anderen topografischen Voraussetzungen als im Mittelland. Graubünden ist exemplarisch für diese Unterschiede: Die wirtschaftlichen, räumlichen und sozialen Rahmenbedingungen variieren innerhalb des Kantons und im Vergleich zu anderen Regionen, werden aber vom geltenden Recht kaum berücksichtigt.

Sie schlagen vor, im Raumplanungsgesetz einen neuen «Berggebietsartikel» aufzunehmen. Mit welchem Inhalt?

Wie gezeigt, müssen viele Gemeinden im Rahmen von RPG 1 ihre Bauzonen stark verkleinern – selbst dort, wo Entwicklungspotenzial vorhanden wäre. Ihr Problem: Weil sie in der Vergangenheit zu wenig gewachsen sind, dürfen sie auch künftig kaum expandieren. Artikel 15 des Raumplanungsgesetzes sollte so angepasst werden, dass auch strukturschwache Regionen echte Entwicklungschancen erhalten. Im Gesetz selbst ist festgehalten, dass das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in allen Landesteilen zu fördern und eine angemessene Dezentralisation zu sichern ist. Die heutige Umsetzung widerspricht diesem Ziel. Die ausschliessliche Orientierung an 15-Jahres-Bevölkerungsprognosen greift zu kurz. Der Bundesrat könnte per Verordnung rasch Anpassungen vornehmen.

Die Erwartungen an den Bund sind das eine. Was können Kanton und Gemeinden tun, damit in Graubünden wieder mehr gebaut wird?

Die Behörden auf allen staatlichen Ebenen, inklusive der Gerichte, sollten ihren Spielraum nutzen, um Raumentwicklung zu ermöglichen. Auf Kantonsebene hat der Grosse Rat der Regierung den Auftrag erteilt, das kantonale Raumplanungsgesetz so anzupassen, dass alle vom Bundesrecht vorgegebenen Spielräume genutzt werden. In den Gemeinden sind die Behörden angehalten, ihre Handlungsspielräume aktiv zu nutzen, wobei die Unterschiede zwischen den Gemeinden teilweise erheblich sind. Letztlich entscheidet die Baubehörde über ein konkretes Bauprojekt. Die Devise muss lauten: «Ermöglichen» statt «verhindern».

Interview: Gerhard Enggist

www.gewerbe-gr.ch

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