Publiziert am: 12.12.2025

«KMU sind ganz besonders betroffen»

REGULIERUNGEN – Anlässlich einer gemeinsamen Medien­konferenz von «Perspektive Schweiz» – Schweizerischer Gewerbeverband sgv, economiesuisse und Bauernverband – forderten die drei Organisationen unisono einen Abbau der Bürokratie. Laut sgv-Präsident und Unternehmer Fabio Regazzi werden die KMU von den zunehmenden Regulierungen überproportional belastet.

In der Schweiz könnten Bürokratiekosten von über 30 Milliarden Franken pro Jahr vermieden werden, wenn die Behörden ihre Prozesse effizienter und digitaler ausgestalten. Eine Entbürokratisierung würde Arbeitskapazitäten von über 55 000 Vollzeitstellen für produktive Tätigkeiten freisetzen. Die Regulierungskosten insgesamt betragen rund 80 Milliarden Franken. «Die Belastung für Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe muss jetzt abgebaut werden, damit diese weiterhin im Hochlohnland Schweiz produzieren können»: So das Fazit der Wirtschaftsdachverbände sgv und economiesuisse sowie des Bauernverbands, das die drei Organisationen angesichts einer gemeinsamen Medienkonferenz in Bern gezogen haben.

Ein umfassender Bürokratieabbau würde kleine, mittlere und grosse Unternehmen sowie Bauernbetriebe gleichermassen entlasten, und er würde auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken: Viele Mitarbeitende verbringen heute einen zu grossen Teil ihrer Arbeitszeit mit administrativen Pflichten. Eine Reduktion der vermeidbaren Aufwände könnte gemäss BSS und dem ifo Institut Arbeitskapazitäten von über 55’000 Vollzeitstellen für produktive Tätigkeiten freisetzen.

Täglicher Kampf der KMU mit der Bürokratie

In seinem Referat «als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, aber auch als Unternehmer und als Vertreter der KMU im Parlament» sagte der Tessiner Mitte-Ständerat Fabio Regazzi: «In allen diesen Funktionen kämpfe ich seit langem und fast täglich gegen das Laster der Bürokratie.

Zur Illustration nur ein kleines, alltägliches Beispiel in meinem eigenen Betrieb: Wir stellen in Gordola Rollladen her, und wir brauchen einen bisher als Lager gebrauchten Raum neu für die Produktion. Dafür müssen wir ein Baugesuch einreichen, und es ist theoretisch möglich, dagegen Einsprache zu erheben. Da frage ich mich schon, ob das wirklich nötig ist.

Ein anderes Beispiel aus dem Gewerbe: Ein Maler muss bei einem Kunden einen Fensterrahmen auffrischen. Das ist ein kleiner Routine-Einsatz von gut einer Stunde Dauer. Weil der Maler dafür aber eine Leiter braucht, muss sein Betrieb über ein schriftliches Sicherheitskonzept verfügen. Jeder Einsatz wird von einer dokumentierten Gefährdungsbeurteilung begleitet. Das heisst: Der Maler inspiziert den Einsatzort, prüft, ob es neben den Standardsituationen besondere Risiken gibt, füllt ein Formular aus, unterschreibt, und der Betrieb archiviert das Ganze. Für eine Stunde Malerarbeit bei einer Privatperson kommen so jedes Mal einige Minuten administrativer Formalitäten dazu. Dies, obwohl sich die Arbeit und das Risiko von Auftrag zu Auftrag kaum ändern. Das ist unverhältnismässig.»

Seit Jahren ein Top-Ärgernis

«Der Schweizerische Gewerbeverband sgv», so Präsident Regazzi weiter, «kämpft nicht erst seit gestern gegen die Bürokratie. Der sgv tut dies schon seit vielen Jahren. Bürokratie schlägt bei den KMU am meisten zu Buche. So hat der sgv zum Beispiel das Unternehmensentlastungsgesetz – kurz ‹UEG› genannt – lanciert. Der Einsatz hat sich gelohnt: Mit der Inkraftsetzung des UEG haben wir kürzlich erfolgreich ein Etappenziel erreicht. Das UEG muss jetzt aber konsequent umgesetzt werden. So muss das SECO systematisch Entlastungen prüfen. Dazu hat der sgv dem SECO konkrete Themen gemeldet, unter anderem in den Bereichen Statistik, Steuern, öffentliches Beschaffungswesen, Nachhaltigkeit, Lebensmittel und im Medizinalbereich. Der sgv sammelt laufend Vorschläge aus den verschiedensten Branchen, bereitet diese auf und speist sie bei der Verwaltung und im Parlament ein.

80 Milliarden – Jahr für Jahr

Der Kampf gegen die Bürokratie ist eine Sisyphus-Arbeit. Aber der Kampf ist nötig. Denn laut den Berechnungen des sgv entsprechen die Regulierungskosten in der Schweiz – über alle Stufen hinweg berechnet – total etwa zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das sind rund 80 Milliarden Franken – jedes Jahr! Die heute vorgestellte Studie zeigt, dass allein durch Effizienzmassnahmen rund 30 Milliarden Franken eingespart werden könnten.

Eine effiziente Verwaltung und die Digitalisierung sind wichtig. Es wäre aber zu kurz gegriffen, nur darauf zu fokussieren. Denn die Effizienz des Vollzugs sagt ja noch lange nichts darüber aus, ob die zu vollziehende Regulierung sinnvoll ist oder nicht. So haben diverse Länder trotz effizienter Verwaltung eine sehr hohe Staatsquote. Viele dieser Länder können zwar mit Vernetzung und Digitalisierung punkten, zum Beispiel bei den Steuererklärungen. Aber dafür werden dort mehr Aufgaben und Risiken an die Arbeitgeber übertragen. In solchen Ländern sind es beispielsweise die Arbeitgeber und nicht die Steuerpflichtigen selber, welche dem Staat die Einkommenssteuern überweisen müssen. In Basel wehren sich gerade aktuell Wirtschaftsverbände vehement gegen einen Vorschlag der Regierung, der in eine ähnliche Richtung geht. Ein solcher Nanny-State kann kein Vorbild sein. Und die Bevorzugung des Staates gegenüber anderen Gläubigern schon gar nicht!

Erfolgsfaktoren geraten in Gefahr

Die Erfolgsfaktoren der Schweiz sind tiefe Staatsausgaben, tiefe Steuern und Abgaben, ein schlanker Staat mit einem flexiblen Arbeitsmarkt, guter Berufsbildung und einer vergleichsweise tiefen Regulierungsdichte.

«Wir haben die geforderte Bürokratiebremse auf KMU ausgerichtet, weil die Bürokratie unsere KMU viel stärker belastet als Konzerne.»

Wichtig sind auch der Föderalismus und die direkte Demokratie: Beides kann wie eine Regulierungsbremse wirken – so geschehen bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative, welche dank der Stimme der Kantone abgelehnt wurde.

Diese Erfolgsfaktoren der Schweiz sind aber in Gefahr. Deshalb engagiert sich der sgv für den Erhalt der Schuldenbremse, für den Abbau von Regulierungskosten, gegen die Aushebelung des Föderalismus (zum Beispiel bei den Kindertagesstätten), für den Erhalt der Flexibilität im Arbeitsmarkt (zum Beispiel bei den flankierenden Massnahmen), für eine gute Berufsbildung, für Strukturreformen bei den Sozialwerken und für ein obligatorisches Referendum zum neuen EU-Vertragspaket.

Die Schweiz muss sich auf ihre Tugenden zurĂĽckbesinnen: ein schlanker Staat mit wenigen und einfachen Gesetzen.

Der Staat wächst und wächst

Der Staat wächst aber auch bei uns immer mehr. Das ist für unsere KMU auf dem Arbeitsmarkt ein grosses Problem. Das Wachstum des Staats fördert auch die Einwanderung und die Regulierung. Es ist ein Teufelskreis. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bedeutet beispielsweise, das Budget beim Bundespersonal zu kürzen.

Der Kampf des Gewerbeverbands gegen die Bürokratie beginnt bereits im Gesetzgebungsverfahren. Auch hier ist ‹effizient› nicht immer ‹gut›. So propagiert die Bundesverwaltung beispielsweise ein Vernehmlassungs-Tool, das für die Verwaltung effizient ist. Mit diesem Tool werden aber die Möglichkeiten der Stellungnahmen eingeschränkt – und der Aufwand wird von der Verwaltung zu den Verbänden verlagert.

Zwei Motionen eingereicht

Auch die Pflicht zur Schätzung von Regulierungskosten ist nicht unbedingt effizient. Sie ist aber wichtig. Und hier braucht es eine Verbesserung. Denn heute führen regulierungswillige Bundesämter die Schätzungen selber durch. Die Ämter, die eine neue Regulierung wollen, haben einen Anreiz, die Kosten der Regulierung als zu klein darzustellen. Wir fordern deshalb unabhängigere Schätzungen. Dazu habe ich eine Motion eingereicht (vgl. Seite 7). Und weitere Mitglieder der Gewerbekammer haben Motionen zur Einführung einer KMU-Regulierungskostenbremse eingereicht. Diese Geschäfte werden wir in der Wintersession beraten.

Regulierungen belasten die KMU viel stärker als Konzerne

Wir haben die geforderte Bürokratiebremse auf KMU ausgerichtet, weil die Bürokratie unsere KMU viel stärker belastet als Konzerne. Konzerne haben grenzüberschreitende Compliance-Abteilungen. Bei KMU ist es hingegen häufig der Inhaber selber, der sich nach Feierabend noch mit der Bürokratie herumschlagen muss.

Der Bürokratieabbau ist eine der Bedingungen, welche der sgv für eine Zustimmung zu den neuen EU-Verträgen formuliert hat. Die Verträge haben zwar gewisse Vorteile. Für inlandorientierte KMU ist die dynamische Rechtsübernahme aber ein Kanal zum Import von EU-Bürokratie. Zur Kompensation braucht es deshalb Entlastungen.

Nicht bloss Sonntagspredigten

Es ist wichtig, dass wir nicht nur Sonntagspredigten halten, sondern dass wir handeln. Und dass wir unsere Unternehmen dort entlasten, wo wir können. Das gilt auch für die SRG-Steuer (vgl. Seite 1). Schweizer Unternehmen zahlen dafür jedes Jahr fast 200 Millionen Franken – obschon ein Unternehmen weder Ohren noch Augen hat und somit weder Radio hören noch TV schauen kann.» sgv

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