Publiziert am: 05.02.2016

Allen eine Chance geben

This-Priis 2016 – Auch dieses Jahr wurde der This-Priis wieder an drei Schweizer Unternehmen verliehen, die in vorbildlicher Weise handicapierte Menschen in den Arbeitsprozess integrieren.

Die Keller Recycling AG in Hinwil ZH, die Ernst Meier AG in Dürnten ZH und die Swiss Quality Broker AG in Pfäffikon SZ. Diese drei Unternehmen erhielten den This-Priis 2016.

Keller Recycling AG in Hinwil

Nico Schneider fährt als Belader seit zehn Jahren auf dem Kehrichtwagen der Keller Recycling AG mit, immer dieselbe Route, dieselbe Arbeit zur stets gleichen Zeit – für ihn der massgeschneiderte Job. Als Autist würden ihm Improvisation und Hektik schwer zu schaffen machen. Schon der Firmengründer beschäftigte einen Autisten als Belader. «Wie man es damals eben tat», erklärt Joel Keller, Mitinhaber und Geschäftsleiter. «Mein Grossvater gab einem jungen Mann aus dem Dorf einen einfachen Job, weil der sonst keinen fand.» Joel Kellers Vater Jack setzte die Tradition, Menschen mit Beeinträchtigung zu beschäftigen, fort.

Entsorgung und Recycling komplett

Die Keller Recycling AG, ein Familienunternehmen in der dritten Generation, ist eine Abfallentsorgungs-, Recycling- und Transportfirma mit drei Sammelstellen in Hinwil, Wald und Rapperswil-Jona. Sie besorgt für die Gemeinden wöchentlich die Kehricht-, Karton- und Grüngutabfuhr und sammelt in den Sammelstellen rund vierzig verschiedene Wertstoffe wie Papier, Glas, Alu. «Als mein Bruder Raphael und ich vor sechs Jahren den Betrieb übernahmen», erzählt Joel Keller, «sahen wir, dass es hier viel Arbeit für Menschen mit einer Beeinträchtigung gibt. Und weil wir immer wieder Anfragen von Integrationsstellen bekamen, fingen wir an, diesen Bereich aufzubauen.» Das soziale Engagement ist fester Teil der Firmenkultur der Keller Recycling AG. «Wir möchten denjenigen eine Chance geben, welche nicht jeden Tag eine bekommen», heisst es auf der Website des Unternehmens. Heute leben fünf, mit einer Mitarbeiterin in der Buchhaltung sechs der 22 Mitarbeitenden der Keller Recycling AG mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung.

Lebenslange Anstellung

«In den ersten Monaten einer Anstellung ist der Betreuungsaufwand für Mitarbeiter mit einer Beeinträchtigung jeweils eine Herausforderung», sagt Joel Keller. Arbeit gebe es genug in den Werkhöfen, und auch immer etwas zu optimieren. Bei der Keller Recycling AG gehört soziale Kompetenz zum Stellenprofil. Kandidaten für eine Anstellung werden zu einem Probetag eingeladen und werden oft für zwei Stunden mit einem der Mitarbeiter mit einer Beeinträchtigung zusammengebracht.

Ernst Meier AG in DĂĽrnten

Die Ernst Meier AG ist ein Familienbetrieb, geführt in der vierten Generation. «Unser Urgrossvater gründete die Firma in Tann als einfache Samenhandlung», erzählt Mitinhaberin Bettina Walser. Ihr Vater verwandelte die Samenhandlung 1964 in eines der ersten Garten-Center der Schweiz. 2011 übernahmen Bettina Walser und ihr Bruder Erwin Meier-Honegger das Unternehmen und lagerten den Verkauf und die Administration nach Dürnten aus. Dort bauten sie das, was ihnen als das perfekte Garten-Center vorschwebte. Die Gärtnerei blieb am ursprünglichen Standort in Tann. Und die Gärtnerei ist es, was den Betrieb zu etwas Besonderem macht.

Wenns «räblet» bleibt 
niemand allein

In verschiedensten modernen bis uralten Treibhäusern und Hallen mitten in Tann produziert die Ernst Meier AG um 75 Prozent des umfangreichen Pflanzenangebots selbst – sowohl die einjährigen als auch die mehrjährigen Pflanzen einschliesslich den Gemüse- und Rosen-Spezialitäten. «Dies stellt an unsere 180 Mitarbeitenden, von denen 15 mit einer Beeinträchtigung leben, höchste Anforderungen», sagt Bettina Walser. Kommt dazu, dass die Gärtnerei «ein krasser Saisonbetrieb» ist. Von März bis Juni «räblets». «Wir können dann auch die Kolleginnen und Kollegen mit einem Handicap nicht schonen. Mit anderen Worten: Es gibt bei uns keine geschützten Arbeitsplätze.»

Den Jugendtraum verwirklicht

Karin Furrer erlitt als Jugendliche einen Unfall mit schweren Hirnverletzungen. In der Stiftung Brunegg in Hombrechtikon konnte sie trotzdem ihren Traum verwirklichen und eine Lehre als Zierpflanzengärtnerin absolvieren. Seit Februar 2014 ist sie in der Gärtnerei der Ernst Meier AG angestellt. «Ich mache hier alles, Pflanzen putzen, einwintern, eintopfen, alles Mögliche richten.»

Zu Zeiten ihres Grossvaters habe es noch kaum soziale Auffangnetze für Menschen mit einer Beeinträchtigung gegeben, sagt Bettina Walser. Weil es in einer Gärtnerei immer Hilfsarbeiten zu erledigen gibt, kamen die Nachbarn zu Grossvater oder Vater Meier mit der Anfrage, ob ihr Sohn, der nicht recht mitkomme, bei ihm arbeiten könne. Auf diese Weise kamen Mitarbeiter als wenig bezahlte Hilfskräfte in den Betrieb.

Als Bettina Walser und ihr Bruder den Betrieb übernahmen, sahen sie sich jedoch vor ein neues Problem gestellt. Manche der langjährigen Mitarbeiter kommen ins Rentenalter. «Einige von ihnen sind ganz klar Menschen, die ein Anrecht auf eine IV-Rente hätten.» Nur wurde für sie nie eine beantragt.

Solidarität bis ins Alter

«Es geht nun darum, die zehn Jahre zwischen 50 und 60 für diese Mitarbeiter so zu gestalten, dass sie bis zum Pensionsalter und drüber hinaus nicht durch die Maschen fallen», sagt Bettina Walser. Nach 50 stellen sich bei manchen Menschen mit Beeinträchtigungen Altersbeschwerden ein. Um sie von der strengen Arbeit im Betrieb zu entlasten, möchte Bettina Walser die Möglichkeit haben, sie in den geschützten Rahmen einer sozialen Institutionen zu überweisen. Dies könnte auch ein Übergang in ein späteres betreutes Wohnen sein. Voraussetzung für den Zugang zu einer sozialen Institution ist jedoch eine IV-Rente Das bedeutet konkret, dass Bettina Walser 55-, 60jährige Mitarbeiter bei der IV anmelden muss. Langwierige Abklärungen folgen. In einem aktuellen Fall dauerte der Prozess drei Jahre – schliesslich wurde dem Mitarbeiter eine Teilrente zugesprochen.

Swiss Quality Broker AG 
in Pfäffikon

Rolf Langenbach und sein Bruder Beat gründeten die Firma vor 16 Jahren. «Wir haben das Handwerk des Versicherungsbrokers von der Pike auf gelernt. Und wir haben ganz unten angefangen, mit dem ersten Umsatzfranken, zu dritt in einem Büro von neun Quadratmetern. Wir teilten uns in einen Computer und ein Telefon.» Heute zählt die Swiss Quality Broker AG 28 Mitarbeitende. Der Pioniergeist ist seit der Gründung nicht aus dem Unternehmen verschwunden. Nach dreizehn Jahren beschloss die Unternehmensleitung, sich sozial zu engagieren. «Vor allem die Diskussionen mit dem Blindenverband korrigierten unsere Vorstellungen stark. Von dort kam die klare Botschaft: Wenn ihr etwas Nachhaltiges tun wollt, was andere nicht tun, so schafft eine Arbeitsstelle!»

Eine Arbeitsstelle 
schaffen als Projekt

«Eine Stelle für eine blinde Person erschien uns machbar», sagt Rolf Langenbach, «denn solche Stellen gibt es schon, die Technik dafür ist vorhanden.» Schliesslich stellte das Unternehmen als – blinde – Back­office-Mitarbeiterin Maria Oddo an, die davor während dreizehn Jahren im Zürcher Restaurant «Blinde Kuh» und dort im Marketing gearbeitet hatte. Sie kam als selbständige Arbeitskraft ins Team, ihre Einarbeitung ging rascher voran, als die Unternehmensleitung es geplant hatte.

Immer selbständig 
und ohne IV-Rente

Maria Oddo war mit neun Jahren erblindet. «Ich bin immer berufstätig gewesen, immer unabhängig, habe nie eine IV-Rente bezogen. Ich dachte, wenn’s möglich ist, schaffe ich es aus eigener Kraft. » Wichtig ist ihr dabei die Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen im Betrieb. «Seit Maria Oddo bei uns ist», sagt Rolf Langenbach, «haben wir an manchen Mitarbeitenden Qualitäten festgestellt, die vorher in so hohem Mass gar nicht zum Tragen kamen. Sozialkompetenz, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme. Für mich ist das der positivste Nebeneffekt.»

Nach elf Jahren

This-Priis geht an SVA ĂĽber

This Widmer, der Namensgeber des This-Priis, ist jetzt pensioniert. Der Verein This-Priis sowie Lienhard und Martin Widmer nehmen diesen Wechsel in der Biografie ihres handicapierten Bruders zum Anlass, auch beim This-Priis die Weichen neu zu stellen. Nach elf Jahren erfolgreicher und nachhaltiger Tätigkeit und der Prämierung von 29 vorbildlichen Unternehmen übergibt der Verein den Preis in die Hände der SVA Zürich. Diese wird das Anliegen und die Tätigkeit des This-Priis ab März 2016 unter dem gleichen Namen weiterführen. Die Unternehmen mit den besten Integrationsbeispielen werden an der jährlichen Arbeitgeber-Tagung der SVA Zürich präsentiert und prämiert. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für die Beschäftigung von handicapierten Menschen zu sensibilisieren, bleibt damit weiterhin das Ziel des This-Priis.

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