Publiziert am: 19.06.2015

Asiatische Tigerstaaten im Wandel

SÜDKOREA UND TAIWAN – Die beiden Länder sind zu Wohlstand aufgestiegen – und sehen sich heute mit Problemen konfrontiert. Verlieren die asiatischen Juwelen ihren Glanz?

Asien ist im Aufstieg begriffen. Egal ob ökonomisch, sozial oder technologisch – die Staaten Asiens befinden sich in einer stetigen Entwicklung hin zu verbesserten Lebensstandards und grösserem Wohlstand. Zwei Länder haben diesen Aufstieg schon längst gemeistert: Korea und Taiwan. Aber auch dort ist nicht alles nur purer Glanz.

Gut im Umgang mit Krisen

Südkorea war bis in die 1960er Jahre ärmer als Nordkorea. Taiwan war eine Insel «am Ende der Welt»; ohne Ressourcen, ohne Industrie und ohne Know-how. Heute sind es zwei blühende Wirtschaften. Sie haben es geschafft, eine wohlhabende Mittelschicht und Demokratie einzurichten. Auch wichtig: Beide Wirtschaften können mit Krisen umgehen.

Als Ende der 1990er Jahre die asiatischen Tigerstaaten (zu denen auch Singapur und Hongkong gehören) eine schwere Krise durchmachten, glaubten viele, es sei um sie geschehen. Doch diese Länder haben weitgehend verstanden, dass Wirtschaften Krisen meistern müssen. Statt mit Fiskalprogrammen «der Wirtschaft zu helfen», mussten sich die Unternehmen selber helfen. Das bescherte ihnen grosse Wettbewerbsvorteile, die bis heute anhalten.

Befreiung von Klumpenrisiken

Auch heute sehen sich Südkorea und Taiwan wieder mit Problemen konfrontiert. Das hypertechnologische Korea wächst jährlich inflationsbereinigt um circa vier Prozent. Das ist zwar eine gute Nachricht, doch der Haupttreiber für das Wachstum ist die Infrastruktur. Das ist nur selten nachhaltig. Taiwan wächst real ebenfalls um vier Prozent im Jahr. Aber auch der Inselstaat vor Chinas Küste erlebt eher wenig Diversifikation. Wirtschaftlich basiert das Land mittlerweile auf dem Export nach China. Wenn Chinas Wirtschaft sich also verlangsamt, geht auch Taiwan den gleichen Weg.

Nun versuchen Südkorea und Taiwan, je auf eigene Art und Weise, sich von den jeweiligen Klumpenrisiken zu befreien. Beide sehen im Unternehmertum, im inländischen Konsum, aber auch in der Innovation und Qualität entsprechende Chancen.

«UNTERNEHMEN HALFEN SICH SELBER – DAVON PROFITIEREN SIE NUN.»

Südkorea hat zwar eine breite Mittelschicht, aber relativ wenige kleine und mittlere Unternehmen – zumindest so, wie sie in der Schweiz verstanden werden. So bemühen sich derzeit die Regierung zusammen mit der Wirtschaft und der Wissenschaft, die Rahmenbedingungen für das Unternehmertum zu verbessern. Dabei stehen vor allem der Wissenstransfer auf Stufe KMU im Vordergrund. Die Idee dahinter: Technologie muss günstiger werden, um breit in der ­gesamtasiatischen Mittelschicht verbreitet zu werden.

Taiwan hat noch markante Defizite in der Bildung. So bemüht sich die Insel, diese Lücke zu schliessen. Sie setzt dabei bewusst auf das duale Bildungssystem, das sie unter anderem von der Schweiz kopiert hat. Doch Taipeh möchte auch vergangen geglaubte Wirtschaftszweige wieder entdecken, beispielsweise die Landwirtschaft oder die Kleinmanufakturen.

Urbanisierung und Mittelschicht

Beide Wirtschaften rechnen mit der aufstrebenden Mittelschicht und der fortschreitenden Urbanisierung ganz Asiens. Und beide Länder wollen am Trend dranbleiben. Korea will in der Lage sein, die Technologiebedürfnisse dieser Mittelschicht zu decken. Und Taiwan will der asiatischen urbanen Mittelschicht Lebensmittel und Güter des Alltagsgebrauchs verkaufen.

Die Intuition beider asiatischer Tiger ist klar: Chancen tun sich auf, aber sie bedingen einen Wandel von Teilen der eigenen Wirtschaft. Wandel haben beide Länder immer wieder durchgemacht. Das jeweilige nationale Bewusstsein weiss es: Kurzfristig kann Wandel wehtun, aber auf die Dauer tut er gut. Wandelfähigkeit ist also die Politur der Wirtschaft – nicht nur in Asien.

Henrique Schneider,

Ressortleiter sgv

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