Publiziert am: 09.11.2018

Aussenpolitik ist wichtiger als Innenpolitik

In Bern gilt es als eiserne Maxime, dass die Schweizer Innenpolitik vor der Aussenpolitik Priorität hat. Zuerst kommt der innenpolitische Ausgleich zwischen den Anspruchsgruppen, dann erst werden Fäden in entfernte Staaten gesponnen, seien dies auch nur unsere Nachbarstaaten oder die Europäische Union in Brüssel.

Die Folge ist, dass unsere Aussenpolitiker, nicht erst seit Didier Burkhalter, zum Scheitern verurteilt sind. Was sie zu verhandeln haben, sind Vorgaben kantonaler Politiker und nationaler Parteien, die zuerst ihre eigenen Interessen verfolgen und meinen, der «Rest der Welt» habe dem zu folgen. Innenpolitik ist im wesentlichen Verteilungspolitik.

Unsere Botschaften im Ausland sind zu Dienstleistern herabgesunken, die Schweizern, welche sich in Schwierigkeiten befinden, aus einer Panne helfen müssen. Sie bewähren sich auch als Besuchs- und Reiseveranstalter für Schweizer Politiker und Unternehmer, die sich gerne vor Ort ins Bild setzen lassen wollen.

«La grande diplomatie» findet dort längst nicht mehr statt. Sie erschöpft sich in Berichten, die an Beamte in Bern gehen, die ohnehin andere und oft bessere Quellen haben, weshalb die Berichte der eigenen Botschafter meist rasch in die Ablage gehen.

Wirklich ernst genommen wird in Bern nur die Innen-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Dort geht es um viel Geld und, dies vor allem, um Karrieren. Wer als Politiker oder Parteimanager 2. Grades versagt, kann ins nahe oder ferne Ausland delegiert werden. Dies gilt als Karriere, ist aber meist ein Pfad ohne Ausweg, kommt nicht ein Unternehmer, um den gescheiterten Schweizer Diplomaten in die eigenen Dienste zu nehmen.

An der Spitze der Bundesverwaltung haben wir daher seit langem keine echten Aussenpolitiker mehr oder solche, die den Job wirklich gelernt haben. Unsere Drittwelt­sekretärinnen, Landwirte, Provinzanwälte und Biblio­thekare, die an die Spitze des Staates vorgerückt sind, werden im Ausland freundlich empfangen, bringen aber selten Verträge mit zurück, die Hand und Fuss haben.

Die Verwaltung alleine, trotz aller kollektiven Intelligenz, kann die schwierige Aufgabe nicht lösen, im Ausland auf höchsten Stufen erfolgreich zu sein. Sie braucht erfahrene eigene Politiker, die den gerissenen Aussenpolitikern und Diplomaten der EU, der USA, Deutschlands, Frankreichs und Russlands, von denen Asiens nicht zu sprechen, gewachsen sind.

Praktisch jedes Departement in Bern ist heute sehr weitgehend von Entscheiden, die im Ausland getroffen werden, abhängig. Deshalb sind unsere Bundesgesetze bereits zu vier Fünfteln von Vorgaben aus Brüssel bestimmt. Sie werden im Eidg. Justiz- und Polizeidepartement auf eidg. Verträglichkeit geprüft und dann «autonom» übernommen. Ob Gesundheits-, Wirtschafts-, Sozial- oder Militärdepartement: Es ist im Ausland, wo die Musik spielt und wo wir uns anzupassen haben. Das «Swiss Finish» ist ein oft teurer Luxusfaktor.

Der Mangel an aussenpolitischem Verständnis in allen Fraktionen führt dazu, dass die eigentlichen Aussenpolitiker in den Parteien und im Parlament zu Aussenseitern gestempelt werden. Trotz allen Bemühens können sie nicht mit der Verwaltung mithalten, die in den Departementen über Tausende von Mitarbeitern verfügt, die länderspezifisch arbeiten. Politik spielt erst dann eine Rolle, wenn es um Verhandlungen und Verträge geht.

Die derzeit bekannten neuen Kandidaten für den Bundesrat sind mit Ausnahme von CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter aus dem Baselland alle aussenpolitisch unerfahren. Wie wollen Regierungsräte aus einem kleinen Bergkanton oder eine hochsensible Dolmetscherin, deren Empfindlichkeit bekannt ist, im ruppigen Stil der internationalen Diplomatie zurechtkommen? US-Aussenminister Mike Pompeo, Russlands Aussenminister Sergei Lawrow oder die EU-Chefdiplomaten sind gerissene und höchst erfahrene Strategen, wo ein Schweizer ­Politiker kaum Spielraum hat; zumal wir die schlechte Angewohnheit haben, unsere Stimmung oder Verhandlungsziele in jeder Sonntagszeitung im Voraus zu publizieren.

Die Schweiz ist aussenpolitisch derzeit ohne echte Erfolge. Der Bundesrat, wie immer er nach dem 5. Dezember zusammengesetzt sein mag, muss dies mit höchster Priorität ändern.

*Klaus J. Stöhlker ist Unternehmensberater für Öffentlichkeitsbildung in Zollikon (ZH)

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