Publiziert am: 19.03.2021

«Das BAG muss endlich liefern»

CORONA-KRISE – «Die Schutzkonzepte sind wirksam», sagt Josef Widler. Der Zürcher CVP-Kantonsrat, Arzt und Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich kritisiert aber, dass die von der Politik aufgebotenen Experten «stets mit dem schlimmsten Szenario aufgewartet» haben.

Schweizerische Gewerbezeitung: Wie beurteilen Sie als Mediziner den generellen Umgang der Schweiz mit der Corona-Krise?

Josef Widler: Die Schweiz hat die Krise im Vergleich zum Ausland recht gut gemeistert. Es hat sich aber gezeigt, dass für die Verwaltungen von Bund und Kantonen der Umgang mit rasch wechselnden Lagen ungewohnt ist. So hat man es auch unterlassen, die Frauen und Männer an der Front, sprich die praktizierende Ärzteschaft, im Rahmen der Lagebeurteilung beizuziehen. Da man über keine Erfahrungen mit dem neuen Virus verfügte, hat sich die Politik auf die Epidemiologen, Virologen und Infektiologen verlassen. Diese haben stets mit dem schlimmsten Szenario aufgewartet. R-Wert, Tote, Intensivpflegebetten – sie leben in der Welt der Zahlen.

«DIE GASTROSCHUTZKONZEPTE SIND GUT. DAS KLEINE RESTRISIKO IST VOM GAST ZU TRAGEN – freiwillig.»

Wie schätzen Sie den Nutzen der Schutzkonzepte ein, wie sie derzeit in der Wirtschaft umgesetzt werden?

Das Gewerbe und die Unternehmungen haben griffige Schutzkonzepte entwickelt. So sind zum Beispiel Mitarbeitende der Lebensmittelgeschäfte oder die Coiffeure nicht häufiger von Covid-19-Infektionen betroffen als die Gesamtbevölkerung.

Wenn die Schutzkonzepte, wie Sie sagen, richtig umgesetzt werden: weshalb denn schon zum zweiten Mal ein Lockdown?

Die Behörden sind überzeugt, dass der Lockdown der Grund für den Rückgang der Infektionszahlen ist. Die Zahlen sind tatsächlich über die Feiertage entgegen den Prognosen der Epidemiologen gesunken, aber nicht wegen des Lockdowns, sondern wegen des vorsichtigen Verhaltens der Bevölkerung. Oder sind Ihnen grosse, traditionelle Weihnachtsfeiern bekannt?

Während die Läden seit Anfang März wieder offen sind, muss sich die Gastronomie noch länger gedulden. Sind denn dort die Schutzkonzepte ungenügend?

Die Konzepte der Gastronomen sind gut, wenn sie eingehalten werden. In den Innenräumen besteht ein sehr kleines Restrisiko, das aber vom einzelnen Gast zu tragen ist. Es liegt an mir, zu beurteilen, mit wem ich – übrigens: freiwillig – am Tisch sitze, denn in erster Linie kann mich mein direktes Gegenüber infizieren.

«die fallzahlen sinken nicht wegen des lockdowns, sondern weil die leute vorsichtig sind.»

Der Thurgauer Arzt und Unternehmer Thomas Krech skizzierte in der Gewerbezeitung, wie die Schweiz innert acht Tagen dank Massentests aus dem Lockdown kommen kann. Wie stellen Sie sich zu dieser Idee Ihres Berufskollegen?

Gegenüber Massentests bin ich sehr skeptisch; vor allem bei den tiefen Fallzahlen stehen Aufwand und Ertrag in einem schlechten Verhältnis. Viel effizienter sind konsequent umgesetzte Hygienekonzepte in den ­Betrieben. Kommt es trotzdem zu einem Covid-19-Fall, ist eine sofortige Testung im Betrieb angezeigt.

Wie schätzen Sie das Tempo der Impfungen im Kanton Zürich und in der ganzen Schweiz ein?

Die Frage nach dem Tempo ist die falsche Frage. Ohne Betriebsstoff kann die Impfaktion keine Fahrt ­aufnehmen. Der Kanton Zürich verimpft den spärlich vorhanden Impfstoff korrekt und effizient. Im Kanton Zürich sind wir bereit, auch grosse Mengen ohne Zeitverzug zu verimpfen.

«Bis Ende Juni sind alle, die das wollen, geimpft», heisst es aus dem BAG. Ist dieser Zeitplan Ihrer Meinung nach realistisch?

Wenn das BAG dieses Ziel erreichen will, muss der dafür notwendige Stoff endlich geliefert werden. Die Ärzteschaft des Kantons Zürich ist in der Lage, pro Woche bis zu hunderttausend Impfungen zu verabreichen. Also: Wenn ab dem 1. April pro Woche 100 000 Dosen in den Praxen zur Verfügung stehen, können wir das Ziel erreichen. Leider scheint das heute ein Wunschtraum zu sein. Schade!

Interview: Gerhard Enggist

Meist Gelesen