Publiziert am: 20.11.2020

«Das Gewerbe ist stark!»

GEWERBEVERBAND – Diana Gutjahr (36) und Silvan Hotz (47) heissen die neuen sgv-Vorstandsmitglieder. Die Thurgauer SVP-Nationalrätin und der Präsident der Schweizer Bäcker-Confiseure SBC im Interview über künftige Herausforderungen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Glückwunsch zur Wahl in den sgv-Vorstand. Welche Herausforderungen sehen Sie auf sich und dadurch auf unsere KMU zukommen in den nächsten Jahren?

Diana Gutjahr: Herzlichen Dank. Ich freue mich sehr, mich als sgv-Vorstandsmitglied des grössten Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft in einer äusserst herausfordernden Zeit für die Interessen und Sorgen der verschiedenen Branchen einzusetzen. Neben bestehenden Themen sehe ich die grösste Herausforderung darin, dass wir die unterschiedlichen Interessen abwägen und auf einen gemeinsamen Nenner bringen können. Die Schlagkraft des Verbandes und damit die positive Wirkung für die KMU hängt davon ab, wie geeint wir auftreten.

Silvan Hotz: Oberste Priorität hat jetzt, die Auswirkungen der Coronakrise für unsere KMU möglichst zu dämpfen. Die Herausforderungen in der Zukunft sind zahlreich. Ich erinnere an die zunehmende administrative Lawine, die unsere KMU erheblich belastet, den Nachwuchsmangel in zahlreichen Handwerksberufen, den Einkaufstourismus, die Verkehrs- und Parkplatzsituation in den Städten und für unsere Branche die Brot- und Backwarenimporte sowie die Zuckersteuer und die Lebensmittelampel, die wie ein Damoklesschwert über uns gewerblichen Bäcker-Confiseure schwebt.

Wir Gewerbler müssen zusammenstehen und gemeinsam mit Vehemenz und Engagement für bessere Wirtschaftsbedingungen kämpfen!

Wie schlägt sich Corona in Ihrer Branche nieder und was für Lösungen sind nun gefragt?

Silvan Hotz: Es zeigt sich ein ganz unterschiedliches Bild: Die einen beklagten während des Lockdown Umsatzrückgänge bis zu 90 Prozent, denn die Cafés waren geschlossen, das Catering und die Lieferungen fielen weg, die Touristen und die Arbeitnehmenden blieben aus. Andere Mitglieder hingegen freuten sich über gesteigerte Verkäufe. Ausschlaggebend war vor allem der Standort. Es profitierten diejenigen in den Quartieren und Dörfern aufgrund von Homeoffice oder in Städten, die von Schweizer Touristen buchstäblich überschwemmt wurden.

Diana Gutjahr: Wir sind stark davon abhängig, dass Baustellen nicht geschlossen werden. Sobald dies der Fall wäre, würde ein Dominoeffekt entstehen. Wir könnten die Planung nicht weiter vorantreiben und müssten ziemlich bald die Produktion einstellen, da das Produzierte nicht montiert werden könnte. Lösungen sind deshalb insbesondere vor Ort auf den Baustellen gefragt, sodass sich keine Infektionsketten bilden. Vor allem der Faktor Mensch kommt hier ins Spiel. Jeder muss sich an die Hygienemassnahmen halten, um sich selber, aber auch den weiteren Betriebsablauf nicht zu gefährden.

Silvan Hotz: Eine Patentlösung gibt es nicht. Es gilt die Gunst der Zeit zu nutzen. Während des Lockdown hat ein Teil der Konsumentinnen und Konsumenten erfreulicherweise das Handwerk, die Regionalität entdeckt und auf den Besuch von grossen Einkaufszentren verzichtet. Mit Qualität, Transparenz, Gastfreundschaft, Kompetenz, kundengerechter Kommunikation und Regionalität, aber auch Flexibilität, Zusammenarbeit mit anderen Gewerblern, gepaart mit Innovation, gilt es die Gunst der Stunde zu nutzen – was auch zahlreiche unserer Mitglieder erfolgreich umsetzen. Dies erfüllt mich mit Stolz. Dabei dürfen wir aber diejenigen Gewerbebetriebe in unserer Branche nicht vergessen, die sich ohne Mitverschulden in einer prekären Situation befinden und um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen. Unser Branchenverband und seine Institutionen unterstützen unsere Mitglieder dabei bestmöglich mit grossem Engagement und Know-how.

Als SBC-Präsident und Geschäftsführer einer Bäckerei spüren Sie den Puls der Basis sehr gut. Wie zufrieden sind unsere innovativen und flexiblen KMU mit den politischen Rahmenbedingungen in der Schweiz?

Silvan Hotz: In den letzten Jahren hat sich das politische Klima für uns KMU verschärft. Der Ton ist rauer geworden. Der Ruf nach Regulierung – vor allem von links – ist lauter geworden. Dabei ächzen wir Gewerbler immer mehr unter der Last der Vorschriften und all dem administrativen Aufwand, statt uns um das Herz unserer Berufe, um das Handwerk, zu kümmern.

«Der Ton ist rauer geworden.»

Mit Ihrem Amt als Nationalrätin können Sie in der Politik sehr direkt Einfluss nehmen. Wie gedenken Sie dies im Sinne der KMU zu tun?

Diana Gutjahr: Seit 2012 bin ich in der Politik und habe mich seither für die Interessen der KMU eingesetzt. Es gilt vor allem einen Faktor zu berücksichtigen: die Glaubhaftigkeit der eigenen Aussagen. Wer keine Beispiele aus dem Lehrbuch suchen muss, sondern diese aus dem Alltag in die politische Diskussion einbringen kann, hat die Möglichkeit das Geschehen zu prägen. Es ist oder wäre deshalb so wichtig, dass sich mehr Unternehmerinnen und Unternehmer in der Politik engagieren. Damit können wir die Politik mitgestalten und müssen uns nicht von der Politik überstimmen lassen. Milizsystem ist das Zauberwort.

«Sehe als Optimistin das Licht am Ende des Tunnels.»

Der Schweizerische Gewerbeverband setzt sich seit Jahren für einen Abbau von Regulierungen ein. Wie wir gehört haben, auch ein grosses Anliegen in Ihren Branchen. Wo liegen konkret die Probleme?

Diana Gutjahr: Über die Jahre habe ich festgestellt, dass wir, und damit meine ich nicht nur die Politik, unseren Beitrag dazu leisten diesen administrativen Aufwand immer weiter auszubauen. Sozusagen der Unternehmer-Swiss-Finish. Hier verweise ich auf das Entsendegesetz, das mit einer gesetzlichen Grundlage und einem einfachen Musterformular auf der Bundesseite angefangen hat und heute auf mehr als zwei Software-Systemen bewirtschaftet werden muss. Dies ist offensichtlich mit hohen Kosten und Aufwand ohne effektiven Mehrwert verbunden. Deshalb sollten wir zuerst bei uns selber beginnen und den eigen­kreierten Administrationsaufwand reduzieren, bevor wir diesen von der Politik verlangen. Wäre ein einfacher Ansatz und vor allem schnell umzusetzen.

Silvan Hotz: Wie ich bereits ausgeführt habe, ist die Last enorm gross. Ein Mitglied sagte mir kürzlich: «Man tötet damit meine Kreativität!» Dies gilt es absolut zu verhindern! Wir konnten, nicht zuletzt mit Hilfe des sgv, überbordende Regulierungen beim neuen Lebensmittelgesetz 2017 verhindern. Jetzt müssen wir aber aufpassen, dass nicht plötzlich kantonale Regulierungen oder die Grossverteiler den Bund übersteuern. Ich denke da an die überhastete Zuckersteuer, Ampelsystem bei Lebensmitteln etc.

Am Gewerbekongress wurde eine Digitalisierungscharta verabschiedet. Grosse Hoffnungen hat man diesbezüglich gerade auch in der Berufsbildung. Wie kann die Digitalisierung dabei helfen, mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern?

Diana Gutjahr: Die Digitalisierung ist die eine Seite, die ist heute alltäglich und nicht mehr wegzudenken. Ich sehe jetzt vor allem die jeweiligen Branchenverbände in Zusammenarbeit mit den regionalen Organisationen in der Pflicht, um Jugendliche für ein handwerkliches Berufsfeld zu begeistern.

Heute arbeiten die meisten Betriebe mit Hightech-Maschinen, wo ein hohes Flair und Interesse an IT gefragt ist. Jetzt gilt es diese Ausgangslage an die Jugendlichen, Eltern und Lehrer weiterzugeben und aufzuzeigen, wie der weitere Berufsweg nach Lehrabschluss aussehen könnte. Deshalb ist es essenziell, dass die regionalen Berufsmessen weiterhin stattfinden und nicht durch den kurzen Turnus der SwissSkills in Bern wegen fehlender Unternehmungen und damit Sponsoren unter Druck geraten. Dann fehlen uns die handwerklichen Fachkräfte in den Betrieben, das wäre fatal.

Silvan Hotz: Die heutigen Jungen sind praktisch den ganzen Tag am Handy oder vor dem PC. Wenn es uns gelingt, auf der einen Seite das Handwerk mit der digitalen Technik zu verknüpfen und in den digitalen Medien auf die Vorzüge der handwerklichen Berufe aufmerksam zu machen, dann können wir junge Menschen wieder vermehrt zu handwerklichen Berufen bewegen. Unsere Fachschule Richemont in Luzern hat die Zeichen der Zeit erkannt und wird in Zukunft ihr Know-how auch digital verbreiten.

Was möchten Sie den KMU in der aktuell schwierigen Zeit noch mit auf den Weg geben?

Diana Gutjahr: Es liegt mir fern, gestandenen Unternehmern Ratschläge zu erteilen. Ich kann Ihnen nur meine eigene Meinung darüber kundtun. In solch schwierigen Zeiten wird man gezwungen, Entscheidungen zu fällen, die im Kern den Fortbestand der Unternehmung sichern. Vielfach sind es Entscheidungen, die meist in guten Zeiten, aus vielfältigen Gründen, nicht gefällt oder hinausgeschoben worden sind. Jetzt gilt es unnötige Risiken zu meiden und sich auf die ausgesprochenen eigenen Stärken zu fokussieren. Oder geplante Investitionen, wenn immer möglich, jetzt tätigen. So sehe ich als Optimistin das Licht am Ende des Tunnels und glaube an die Zukunft.

Silvan Hotz: Sich auf seine Stärken fokussieren, sich vernetzen und die digitalen Möglichkeiten, unter anderem in der Kommunikation nutzen. Und vor allem in der heutigen, sich rasant wandelnden Zeit flexibel bleiben. Einer der Vorzüge eines kleinen oder mittelgrossen KMU ist es, rasch auf Veränderungen reagieren zu können.

Nicht aufgeben! Das Schweizer Gewerbe ist stark und wird diese Krise auch meistern.

Interview: Adrian Uhlmann

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