Publiziert am: 24.01.2020

«… das Leben nicht vergessen»

VIKTOR SCHAREGG – Der neue Präsident des Bündner Gewerbeverbands (BGV) kennt die Alltagssorgen der KMU als gelernter Heizungstechniker und Geschäftsführer eines Haustechnikbetriebs aus dem Effeff. Ob im Verband oder auf der Baustelle: Scharegg appelliert insbesondere an das Miteinander.

Schweizerische Gewerbezeitung: Ihr Vorgänger als Präsident des BGV, Herbert Stieger, ist am 7. Juni 2019 nach 13 Monaten im Amt verstorben. Wie hat Ihr Verband diesen Schicksalsschlag verarbeitet?

Viktor Scharegg: Wie Sie sich vorstellen können, ist es nicht einfach, einen guten Präsidenten und Freund so plötzlich nicht mehr um sich zu haben. Unser Vizepräsident Baseli Werth ist Arzt. Er hat den Verband umsichtig durch die schwere Zeit geführt. Als Abschluss liess er an der Delegiertenversammlung vom 4. Oktober einen sehr jungen Theologen zum Thema «Heute ist und morgen wird. Wenn das Leben ungeplante Wege geht» referieren. Man hätte während des Referates eine Stecknadel fallen hören können.

Wie war die Situation für Sie persönlich, sich relativ kurzfristig für dieses Amt zu bewerben?

Ich habe mich nicht beworben, sondern wurde als Mitglied des Vorstandes vom leitenden Ausschuss angefragt, ob ich das Amt übernehmen würde. Obwohl ich bereits mit meiner Aufgabe als Vizepräsident des Schweizerischen Gebäudetechnikverbands suissetec eine grosse Verbandstätigkeit innehabe, wollte ich dem BGV nicht nein sagen und helfen, unseren Verband in die Zukunft zu führen.

Mit Maurus Blumenthal wurde auch ein neuer Direktor gewählt. In welche Richtung soll sich der «neue» Bündner Gewerbeverband entwickeln?

Es wird vorerst keinen «neuen» BGV geben. Ich konnte mich schon vor Amtsantritt überzeugen, dass wir gut aufgestellt sind. Mit den personellen Änderungen in Direktion und Präsidium sind Einarbeitungszeiten verbunden. Jede Person drückt ihren Stempel auf. So ist es für mich wichtig, dass die Mitglieder gewohnt sachlich und effizient bedient werden. Aktuelle Themen wie Digitalisierung oder Fachkräftemangel müssen aktiv angegangen werden. Leitender Ausschuss und Kantonalvorstand müssen diesbezüglich klare Positionen und Visionen erarbeiten.

150 Täler, 2 Städte und 3 Sprachen. Wie finden Sie den gemeinsamen Nenner der doch sehr unterschiedlichen Interessen all Ihrer Mitglieder?

Die Quadratur des Kreises können wir auch nicht lösen. Unser Kanton ist nicht nur topografisch und kulturell sehr unterschiedlich, er hat auch sonst viele Gegensätze. Urban- ländlich, wirtschaftlich starke-wirtschaftlich schwächere Regionen, Tourismus-Industrie. Ich glaube nicht, dass immer ein gemeinsamer Nenner gefunden werden muss. Wir müssen aufeinander zugehen, die örtlichen Begebenheiten und Wünsche unserer Mitglieder berücksichtigen und ernst nehmen. Ich bin überzeugt, wenn wir das Motto, welches ich mir für meine Präsidentschaft selbst gestellt habe – «Gemeinsam können wir viel bewegen» – befolgen, wird uns vieles gelingen.

Sie sind seit 18 Jahren Geschäftsführer einer Haustechnikfirma. In welchen Bereichen hat sich der Arbeitsalltag am stärksten verändert?

In der Tageshektik. Alles muss sofort und lieber schon gestern erledigt werden. Auf den Baustellen ist nicht mehr nur ein Miteinander der verschiedenen Gewerke zu sehen, sondern jeder schaut nur für sich. Dies als Folge des Zeit- und Preisdruckes. Wir müssen lernen, wieder mehr miteinander an ein Ziel zu kommen und Qualität zu verkaufen.

Wie sieht es bei Ihnen mit dem administrativen Aufwand aus?

Dieser ist in den letzten Jahren sicherlich nicht kleiner geworden. Ich glaube, es ist eine wichtige Aufgabe auch unseres Verbands, sich schweizerisch und kantonal dafür einzusetzen, dass nicht noch mehr Regulierungen, Statistiken, Bewilligungen und vieles mehr von staatlicher Seite her eingeführt wird. Wir haben viele KMU in unserem Verband, die gerne, zuverlässig und kundenorientiert arbeiten, aber viel zu viele Ressourcen für die Administration aufwenden müssen.

Welche Tugenden möchten Sie den jungen Mitarbeitern in Ihrer Firma mit auf den Weg geben?

Zielstrebig durch das Leben zu gehen. Nie stehen bleiben, sich stets weiterzuentwickeln, weiterzubilden und das Leben dabei nicht zu vergessen. Ich bin ein Anhänger der stufengerechten Weiterbildung. Nicht alle müssen einen Fachhochschulabschluss anstreben. Gut aus- und weitergebildete Mitarbeiter sind nicht nur sehr wichtig, sondern das Kapital für unsere KMU.

Ihre berufliche Karriere haben Sie mit einer Lehre zum Heizungstechniker gestartet. Die Abwanderung gerade von jungen Fachkräften mangels Perspektiven ist ein grosses Problem. Wie können bessere Perspektiven geschaffen werden?

Wie ich vorhin bereits gesagt habe, hat unser Kanton verschiedene Facetten. Im Churer Rheintal ist die Abwanderung sicherlich nicht so ein grosses Thema wie zum Beispiel im Avers- oder im Calancatal. Für mich ist es wichtig, dass bereits Weiterbildungen bei uns regional gemacht werden können. Mit der Fachhochschule Graubünden, der Höheren Fachschule Südostschweiz IbW, der Hotelfachschule EHL Passugg etc. sind wir gut aufgestellt. In die Digitalisierung setzen wir grosse Hoffnungen. Sie muss in unserem Kanton auf allen Ebenen ein wichtiges Ziel sein, so können neue Formen von Arbeitsplätzen auch in der Peripherie geschaffen werden.

Ganz ehrlich: Hat es Sie nie gereizt, Ihr Geld im Unterland zu verdienen?

Wo denken Sie hin?! Was will man mehr, als dort zu arbeiten, wo andere Ferien machen? Im Ernst: Es war für mich nie ein Thema, da ich immer interessante Tätigkeiten in meiner direkten Umgebung gefunden habe.

Als ich in jungen Jahren berufsbegleitend die Technikerschule in Zürich besucht habe, habe ich mir einige Male überlegt, während der Ausbildung nach Zürich zu gehen, denn dreimal wöchentlich am Abend mit dem Auto nach Zürich und zurück war nicht nur entspannend. Heutzutage haben wir wenigstens einen einigermassen funktionierenden öffentlichen Verkehr.

Die Digitalisierung weckt gerade in Bezug auf den Berufsnachwuchs viele Hoffnungen. Sind diese überhaupt berechtigt?

Ich habe vorher bereits angetönt, für unseren Kanton sehe ich in der Digitalisierung grosse Chancen. Aber nicht nur für den Nachwuchs. Ein wichtiger Punkt wird das Thema 5G sein. Ich kann die Skepsis, die teilweise gegen 5G herrscht, nachvollziehen. Aber zur Erschliessung der digitalen Welt gehört 5G dazu. Da kann man sich nicht verschliessen oder abschotten, wie wir das in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem generellen Autoverbot gemacht haben. Wir wollen ja gerade von der digitalen Transformation profitieren, also müssen wir uns entwickeln und das in einem Tempo, das unsere Mitbewerber in der übrigen Schweiz auch anschlagen. Ob wir das können? Ich glaube daran.

Im Tourismus hat die Digitalisierung schon vieles verändert, man denke nur an Airbnb. Wo sehen Sie in Zukunft die Rolle der KMU, nebst diesen globalen Playern?

Ob Möbelschreiner, Biobauer oder Präzisionsmaschinenhersteller: Alle können sie sich der ganzen Welt präsentieren und ihre Produkte, wie ja mittlerweile fast üblich, im Internet anbieten. Kleine Betriebe können ein Teil der globalen Welt werden, indem sie von der Peripherie aus Dienstleistungen für grössere Betriebe anbieten. Viele gewerbliche Unternehmen werden sich den laufenden Trends anpassen. Sie sind klein, übersichtlich, mit kurzen Entscheidungswegen. Sie sind nicht die Pacemaker der Digitalisierung, aber sie werden sich permanent weiterentwickeln.

Wenn Sie sich Ihre KMU-Traumlandschaft im Jahr 2040 vor­stellen, wie sähe diese aus?

Viele regionale, verankerte Betriebe können mit genügend gut ausgebildeten Mitarbeitern Produkte oder Dienstleistungen zu fairen Preisen anbieten, und die jungen Leute sagen: Ich will mein eigenes KMU auf die Beine stellen!

Interview: Adrian Uhlmann

www.kgv-gr.ch

NEUER BGV-DIREKTOR

Maurus Blumenthal wurde am 15. Januar zum neuen Direktor des Bündner Gewerbeverbands gewählt. Blumenthal ist Leiter Führungsunterstützung bei der Standeskanzlei Graubünden und tritt die Nachfolge von Jürg Michel am 1. Oktober 2020 an. Michel geht nach 24 Jahren als Direktor des BGV in Pension.

ZUR PERSON

Viktor Scharegg (56) ist seit dem 4. Oktober 2019 Präsident des Bündner Gewerbeverbands (BGV). Er hat die klassische Laufbahn vom Lernenden (Heizungstechniker) bis zum Unternehmer gemeistert und ist Mitinhaber und Geschäftsführer der in Domat/Ems beheimateten G. Brunner Haustechnik AG. Das KMU zählt 36 Mitarbeitende. Scharegg ist zudem Vizepräsident des Gebäudetechnikverbands suissetec.

www.gbrunner.ch

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