Publiziert am: 05.06.2020

«Das Tessin ist bereit!»

MASSIMO SUTER – Der Präsident von GastroTicino sieht die Bars und Restaurants in einer wichtigen sozialen Funktion für die Gesellschaft, das habe die Krise gezeigt. Er plädiert für weniger Regulierung und mehr Selbstverantwortung für das Gastgewerbe in der Zeit der Lockerungen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Herr Suter, man spürt die Zuversicht aus dem Tessin, der Tourismus wird wieder angekurbelt. Aber bieten Ferien im Tessin unter den aktuellen Umständen überhaupt Spass und Erholung?

Massimo Suter: Das Tessin lebt vom Tourismus, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich unsere Kunden sicher fühlen und das Vergnügen finden, ins Restaurant zu gehen. Ich glaube, dass Ferien im Tessin immer gerechtfertigt sind, nicht umsonst gelten wir wegen der günstigen Wetterbedingungen als der erste Süden. Aber auch jetzt, mitten in der Erholung, vor allem aber nach der Gesundheitskrise, haben wir dafür gesorgt, dass sich unsere Touristen sicher fühlen und unser Reiseziel in vollen Zügen geniessen können.

Die Tessiner Bevölkerung war sehr diszipliniert und die Solidarität gross. So haben beispielsweise Winzer Desinfektionsmittel statt Wein hergestellt. Sehen Sie eine Chance, dass die Menschen wieder näher zusammenrücken?

Die Covid-19-Krise hat natürlich viele Paradigmen verändert, aber vor allem hat sie die Bevölkerung in ihrem täglichen Leben verantwortungsbewusster gemacht, ja. Sie hat deutlich gemacht, wie wichtig menschliche Beziehungen, Sozialisation und infolgedessen auch die soziale Funktion unserer Bars und Restaurants sind. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass in Zukunft die Gastronomie im Allgemeinen positiv aufgewertet wird, und es wird unsere Aufgabe sein, diese Chance zu nutzen.

«Ich glaube, dass Ferien im Tessin immer gerechtfertigt sind.»

Kann man diese Krise, die so viel Schaden angerichtet hat, denn wirklich als Chance ansehen?

Die gesamte Wirtschaftskette, die auf dem Tourismus basiert, wurde hart getroffen, von den Produzenten bis hin zu den Vertreibern. Diese Krise hat die Zerbrechlichkeit eines zu fragilen Systems offenbart, in dem wie in einem Kartenhaus eine kleine Veränderung ausreicht und das ganze System zusammenbricht. Diese Krise wird eine Neuanalyse bestimmter Paradigmen erfordern. Vor allem aber brachte sie die Gewissheit, dass nichts ewig ist.

Einigen Tessinerinnen und Tessinern geht es zu schnell, und sie fürchten sich mit der Rückkehr der Touristen vor einer zweiten Welle.

Ich bin überzeugt, dass es nicht die Wirtschaft ist, die den Zeitpunkt diktiert, sondern dass dies Gesundheitsexperten tun und die Regeln erstellen.

Lokal einkaufen ist durch die Corona-Krise existenziell geworden. Wird dieser Trend anhalten?

Alles dreht sich um das Lokale! Der Kilometer null nimmt eine fundamentale Bedeutung an, der Kunde sucht Authentizität und Sicherheit. Meine Ansicht: Was, wenn nicht lokale Produkte, soll diese Suche nach Authentizität befriedigen können?

Im Gastgewerbe wurden die Regeln und Schutzkonzepte als sehr streng wahrgenommen …

… ungleich zu allen anderen Branchen! Im Gastgewerbe reguliert man alles bis aufs kleinste Detail und bestimmt Regeln, die eigentlich ins Mikromanagement hineingehen.

«Im Gastgewerbe wird bis ins kleinste detail reguliert.»

Selbstverantwortung lässt man in unserem Sektor nicht zu, und pragmatische Ansätze werden auch nicht weiterverfolgt. Ich kann nicht für jeden einzelnen Betrieb unserer Branche meine Hand ins Feuer legen, denn schwarze Schafe gibt es überall. Die allermeisten gastgewerblichen Unternehmer sind jedoch gewissenhaft, korrekt und setzen unsere Anweisungen auch regelkonform um. Das haben auch erste Kontrollergebnisse gezeigt.

Was sagen Sie zu den ab 6. Juni geltenden Lockerungen?

Weder auf wenige sinnvolle und logische Vorschläge, wie eine notwendige Verlängerung der Polizeistunde bei einer Wiedereröffnung von Clubs und Diskotheken, noch auf eine kleine Erhöhung der «anonymen» Gästegruppen auf 6 Personen wird eingegangen. Bei der Abstandsregel herrscht totale Inkonsequenz: In Diskotheken, Nachtklubs und Konzertlokalen kann der Abstand zwischen Gästen oder Gästegruppen bei Erhebung der Kontaktdaten unterschritten werden, in Restaurationsbetrieben soll es aber keine Möglichkeit geben, den Abstand zwischen Gästegruppen zu verringern.

Unerklärlich ist zudem auch, dass in Restaurationsbetrieben die Konsumationen nur sitzend erfolgen dürfen, in allen anderen Gastgewer-bebetrieben können diese aber auch stehend eingenommen werden.

Die Öffnung der Clubs bis um Mitternacht ist überhaupt nicht nachvollziehbar und schon fast lächerlich. Mit diesem Entscheid wird in Kauf genommen, dass im öffentlichen Raum private Parties stattfinden, wo niemand auf eine Einhaltung von Regeln schauen wird. Unter diesen Umständen wäre es für die Clubs dienlicher gewesen, sie noch geschlossen zu lassen.

Was möchten Sie den Touristen aus der Deutschschweiz und der Romandie sagen, die sich Gedanken über Ferien im Tessin machen?

Allen Menschen sagen wir, dass das Tessin bereit und in der Lage ist, Touristen aufzunehmen, die sich entschliessen, unsere Regionen zu besuchen und die Einzigartigkeit unserer Speisen und Weine zu kosten.

Interview: Adrian Uhlmann

www.gastroticino.ch

www.gastrosuisse.ch

ZUR PERSON

Massimo Suter (49) ist Präsident von GastroTicino und Vizepräsident von GastroSuisse. Gemeinsam mit seiner Frau Monica führt er das Ristorante Della Torre in Morcote.

www.ristorantedellatorre.ch

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