Publiziert am: 06.06.2014

TRIBÜNE

Der Korken im Flaschenhals

Haben Sie auch schon den roten Zapfenzieher mit Schweizerkreuz gekauft und festgestellt, dass man damit vor allem den Korken abbrechen kann, der Inhalt aber verschlossen bleibt, weil sich das Gerät nicht sauber auf der Flaschenöffnung arretieren lässt? Genauso ergeht es zwei Schweizer Projekten, bei denen trotz vielfältiger (verbaler) Bemühungen die notwendigen Reformen nicht durch den Flaschenhals gelangen. Weder die Regulierungskostenreduktion noch die Staubeseitigung kommen durch den selbst geschaffenen Flaschenhals. Es ist Zeit, grundlegend über die eingesetzten Instrumente nachzudenken

Hohe Regulierungskosten

Regulierungskosten – endlich wissen wir Bescheid: Welches sind die grössten Bürokratielasten für Schweizer Unternehmen? Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden die Ergebnisse der Messungen präsentiert. Jetzt herrscht Klarheit über die tatsächlichen Zahlen. Dank derselben methodischen Vorgehensweise ist davon auszugehen, dass die Zahlen für die einzelnen Regulierungsbereiche vergleichbar sind. Die Verteilung ist aufschlussreich. Die fünf Bereiche mit 1,2 bis 1,7 Milliarden Franken jährlichen Kosten lauten: Mehrwertsteuer, Umweltrecht, Rechnungslegung und Revisions(aufsichts)recht, Baurecht sowie Arbeitssicherheit und Unfallversicherung. Weitere acht Bereiche weisen (deutlich) tiefere Kosten aus. Allerdings prognostizieren die vorgestellten – mehr operativen als strategischen – Massnahmen zur Reduktion der Kosten teilweise recht tiefe Einsparpotenziale. Die eigentlichen Probleme lassen sich auffinden, wenn man die Frage nach den Gewinnern und Nutzniessern der Regulierungen stellt. Denn hinter den Milliarden an Kosten stecken immer auch Geschäftsinteressen dank geschützter Spezialistenmärkte, betrachtete Teilprobleme anstatt radikaler Systemvereinfachungen, Rechtfertigungen für Dauerbeschäftigungen bei den Regulierern sowie sich selbst regulierende und beschäftigende Systeme. Deshalb sind kreative Lösungen erforderlich, wie sie zum Beispiel Beat Kappeler in der NZZ am Sonntag vorgestellt hat.

E inige Ideen: So beispielsweise das Optionswahlrecht für Unternehmen und somit die Frage, ob sie sich einer Regulierung unterstellen oder darauf verzichten und stattdessen selbst haften wollen; ein Gebührenverbot für Kontrollbehörden; ein Urwahlgebot für Verbandsbeschwerden, Schluss mit der Flut von kostentreibenden Verwaltungserlassen. Es lässt sich anfügen: Prüfungs- und Kontrollorgane müssen auch Sanktionen bewirken können.

Noch vier Jahre Stau

Ein zweites Projekt ist das Dauerthema «Stau». Zwar weiss man schon lange von der zunehmenden Bedeutung von kapazitätslimitierenden, zweispurigen Flaschenhälsen auf den Autobahnen, doch was passiert? Bis in frühestens vier Jahren sollen die Pannenstreifen bei Stau genutzt werden können. Warum erst dann? Ein Blick nach Norden zeigt, dass dies eine wirksame und schnell umsetzbare Lösung ist. In Hessen haben sich zwei Lösungen als besonders effektiv herausgestellt: Die Freigabe des Pannenstreifens bei aufziehendem Stau und das Slot(Zeitfenster-)Management von Baustellen (dann bauen, wenn erfahrungsgemäss «verengbarer» Verkehr herrscht). Dank elektronischer Streckenbeeinflussungsanlagen können Flaschenhälse rechtzeitig erkannt und umgehend «verbreitert» werden. Das Ergebnis: Die Staustunden konnten auf ein Viertel gesenkt werden. Baden-Württemberg hat diese Erfahrungen übernommen und testet seit 2013 die rechtzeitige Freigabe des Pannenstreifens. Statt stehendem gibt es jetzt wieder langsam flies­senden Verkehr. Der grüne Verkehrsminister hat die Lösung in nur zwei Jahren – auch dank planerischer Vorarbeiten – umgesetzt.

Und bei uns in der Schweiz? Das Bundesamt für Strassen ASTRA hat bereits 2007 die Richtlinie zur «Umnutzung von Pannenstreifen zu Fahrstreifen» erlassen. Vor 2018/2020 werden die Automobilisten sich dank komplizierter Planungen, erforderlicher Umbauten und Anwohner-Einsprachen – wie beispielsweise in Bern – darauf allerdings nicht freuen können. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, das Projekt unter dem Deckmantel «Schweizer Veloweg» zu lancieren, denn die werden allemal schnell, technisch optimal und widerstandslos umgesetzt.

*Christoph Müller ist Titulatorprofessor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensgründungen und KMU, an der Universität St. Gallen.

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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