Publiziert am: 07.04.2017

«Die Betriebe wollen ausbilden»

LEHRSTELLENMARKT – Seit Jahren bleiben viele Lehrstellen unbesetzt. Katrin Frei vom Staats­sekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI kennt die Situation der Lehrbetriebe.

Schweizerische Gewerbezeitung: Seit 2010 vermeldet das Lehrstellenbarometer stets dieselbe Erkenntnis: Das Lehrstellenangebot übertrifft die Nachfrage. Ist das eine positive oder eine negative Nachricht?

nKatrin Frei: Das kommt auf den Blickwinkel an. Von 2003 bis 2010 hatten wir eine Lehrstellenkrise. Verglichen damit haben wir heute sehr entspannte Verhältnisse. Das gilt insbesondere für Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen. Etwas anders sehen es die Betriebe: Sie würden – angesichts des Fachkräftemangels – gerne mehr ausbilden. Rund zehn Prozent der ausgeschriebenen Lehrstellen können zurzeit nicht besetzt werden.

 

Trotz Überangebot tun sich viele Jugendliche schwer, eine Lehrstelle zu finden. Wie kommt das?

n Dafür sehe ich primär drei Ursachen. Erstens: Die Berufswünsche der Jugendlichen decken sich nicht immer mit dem Angebot auf dem Lehrstellenmarkt. Gewisse Berufe sind beliebt, andere weniger. Zweitens: Einige Jugendliche können ihre Stärken und Schwächen schlecht abschätzen. Sie bewerben sich auf Lehrstellen, deren Anforderungsprofil sie nicht erfüllen. Drittens: Ein Teil der Jugendlichen ist auf schulischer oder persönlicher Ebene noch nicht reif für die Lehre.

 

Welche Möglichkeiten haben diese Jugendlichen, sich auf den Lehreinstieg vorzubereiten?

n Für jene, die schulische Lücken aufarbeiten oder ihre Berufswahl festigen müssen, gibt es Brückenangebote – zum Beispiel das berufsvorbereitende Schuljahr. Wer auf dem Weg zur Lehrstelle auf individuelle Begleitung angewiesen ist, findet diese in Coaching- oder Mentoring-Programmen sowie beim Case Management Berufsbildung. Diese Angebote wirken: In der Schweiz schliessen 
95 Prozent der Jugendlichen, welche die obligatorische Schulzeit vollständig in der Schweiz absolviert haben, eine berufliche Grundbildung oder eine Mittelschule ab.

Betrachten wir die Situation der Betriebe: Wo gibt es zu viele, wo zu wenige Lehrstellen?

n Aus Sicht der Betriebe gibt es immer die richtige Anzahl Lehrstellen, aber natürlich nicht alle werden nachgefragt. Dies war beispielsweise 2016 in den Berufsfeldern Bau, Büro und Technik der Fall. Dafür gibt es im Gesundheitswesen, in der Informatik und im Verkauf mehr Interessentinnen und Interessenten als Lehrstellen.

 

Wieso bieten Branchen, die bei Jugendlichen auf grosses Interesse stossen, nicht einfach mehr Lehrstellen an? Den meisten fehlt es schliesslich an Fachkräften?

n Die Ursachen sind je nach Branche unterschiedlich. Im Gesundheitswesen wurden neue Ausbildungsprofile geschaffen. Es braucht Zeit, bis diese in den Betrieben etabliert sind. Hinzu kommt, dass nicht alle Interessierten das Anforderungsprofil der Gesundheitsberufe erfüllen. Bei den Informatikberufen haben wir das Problem, dass viele Betriebe, die Fachleute nachfragen, nicht ausbilden, weil sie in einer ganz anderen Branche tätig sind – im Finanzwesen, in der Industrie, im Handel. Zudem gibt es viele Jungunternehmen, für die ausbilden nicht erste Priorität hat. Sie müssen sich zuerst auf dem Markt etablieren.

Andere Branchen würden gerne mehr ausbilden, finden aber nicht genügend Lernende. Wie reagieren sie auf diese Situation?

n Sie investieren in Information, in Werbung, ins Image. Mit Roadshows, mit Schulbesuchen, über Soziale Medien usw. versuchen sie, mehr Jugendliche und Eltern zu erreichen. Einige traditionelle Berufe ändern sogar die Berufsbezeichnung. Sie signalisieren damit, dass sie sich verändert haben und modern sind. So heisst der Käser heute Milchtechnologe. Eine weitere Möglichkeit ist, über gute Löhne und Arbeitsbedingungen Anreize zu setzen.

 

Ab 2018 drängen aufgrund der demografischen Entwicklung wieder mehr Jugendliche auf den Lehrstellenmarkt. Besteht wieder die Gefahr einer neuen Lehrstellenkrise?

n Kaum. Wir haben aus der Lehrstellenkrise gelernt und wirkungsvolle Instrumente entwickelt. Bei Bedarf können wir die Lehrstellenförderung intensivieren: Die Bereitschaft der Betriebe, mehr Lehrstellen anzubieten, dürfte angesichts des aktuellen Fachkräftemangels gross sein. Darüber hinaus haben wir den Lehrstellennachweis geschaffen, der Angebot und Nachfrage besser zusammenführt. Und wir haben die erwähnten Brückenangebote für Jugendliche ohne Lehrstelle geschaffen. Sie können bei einem kurzfristigen Nachfrageüberhang als Puffer wirken.

berufsbildungplus.ch

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