Publiziert am: 01.06.2018

Die grosse Verwirrung

DIGITALISIERUNG – Der Widerspruch könnte nicht offensichtlicher sein: Mit der einen Hand
fördern Bund und Kantone die Digitalisierung, mit der anderen Hand bremsen sie sie. So geschehen
in Zürich und Bern, wo digitaler Erfolg massiv besteuert – oder gleich ganz verboten wird.

Der Umgang der Schweiz mit der Digitalisierung ist – gelinde gesagt – widersprüchlich. Millionen von Franken werden für Pilot- und Sensibilisierungsprojekte freigemacht. Und gleichzeitig werden Digital-Geschäftsmodelle verboten.

Jeder will mitmachen, doch...

Ob Projekte an den Fach- und universitären Hochschulen, ob «Start-up»-Freiräume, ob «Swiss Digital Day» oder Fintech: Bundesrat, Kantonsregierungen und sogar Gemeinden wetteifern um die Führung in Sachen Digitalisierung. Jede Exekutive und Legislative will zeigen, wo der vermeintliche Weg in die moderne Wirtschaft lang geht. Entsprechend grosszügig werden Gelder für Organisationen und Förderungen ausgesprochen.

...wehe, es gelingt

Doch wehe, es gelingt einem digitalen Geschäftsmodell der Durchbruch. Sobald eines im Markt erfolgreich ist, kommt der gleiche Staat, der es zu unterstützen vorgibt, um ihm den Garaus zu machen. Die Beispiele dafür sind zahlreich.

Bestrafung des Erfolgs

In Zürich und einigen anderen Kantonen werden Digital-Geschäftsmodelle in den Abgrund besteuert. Es scheint nicht zu interessieren, dass Technologie etwas kostet. Sobald die Firmen das nötige Kapital haben, um Investitionen zu tätigen, wird der volle Steuerbetrag fällig. Ergebnis: Sie können sich die Technologie, die sie für ihren Erfolg benötigen, nicht mehr leisten, weil sie zusätzliche Steuern bezahlen müssen. Die Folge: Die Firma wird geschlossen.

Noch einen Schritt weiter geht die Stadt Bern: Sie verbietet derzeit alles Digitale, was erfolgreich ist. Die Transport-Plattform Uber war in der Bundesstadt schon länger verboten. Nun werden auch Wohnungsplattformen wie Airbnb kriminalisiert – zumindest in der Altstadt.

Notabene: Bern geht es nicht um Steuereinnahmen. Uber, Airbnb und die anderen wollten Abgaben bezahlen. Die Stadt, eine Bezügerin von Finanzausgleichs-Geldern sowohl auf Stufe Kanton als auch auf Stufe Bund, will einfach nichts Digitales, das im grossen Stil erfolgreich ist – und verzichtet damit auf Steuer­einnahmen.

Fundamentales Missverständnis

Doch auch der Bund widerspricht sich laufend. Statt an der Wirtschaftsfreiheit für Digital-Geschäftsmodelle festzuhalten, erfinden Bundesrat und Parlament ständig neue Regulierungen. Es scheint sie nicht zu beeindrucken, dass sie die Zukunft nicht voraussagen können. Sie regulieren trotzdem. Und dies erst noch falsch. Zum Beispiel bei den Fintech-Gesetzesanpassungen: Sie waren schon in dem Moment veraltet, als sie in die Vernehmlassung gingen...

Diese Verwirrung – Förderung einerseits, Bestrafung des Erfolgs und falsche Regulierung andererseits – hat einen einfachen Grund. Es liegt ein fundamentales Missverständnis zum Wesen der Digitalisierung vor. Sie ist weder etwas Neues noch etwas Eigenständiges. Sie ist Teil der wirtschaftlichen Entwicklung aller Unternehmen aller Branchen. Deswegen kann sie nicht gesondert ­reguliert und auch nicht gesondert gefördert werden.

Digitalisierung ist ein umfassendes Phänomen, das alle betrifft. Deshalb gilt: Der Staat setzt Rahmenbedingungen. Die Unternehmerinnen und Unternehmen finden ihren Weg – einige ganz, andere teilweise digital. Und, ganz wichtig: Erfolg sollte man allen gönnen. Egal, wie digital er erreicht wird.

Henrique Schneider, 
Stv. Direktor sgv

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