Publiziert am: 01.10.2021

Die schöne Welt ausserhalb des Netzes

Auch wenn man in Bern vergeblich nach Zielen und Strategien für unser Land sucht – untätig ist man in der Bundeshauptstadt keineswegs. Im Gegenteil! Man ist spezialisiert auf ein besonderes Handwerk: die Jurisprudenz. Was beeindruckend tönt, praktizieren Fischer schon seit Jahrhunderten: das Knüpfen von Netzen. In Bern, weit weg vom Meer und von den Bürgern, wird an einem immer grösseren und feinmaschigeren Netz geknüpft und geknüpft – am Netz der Regulierungen.

Unermüdlich und voller Elan wird gearbeitet, sorgfältig, genau. Das Netz soll möglichst dicht und fein ausgestaltet sein. Zurzeit wird besonders intensiv geknüpft und auch die Beamten legen sich mächtig ins Zeug. Emsig wird an immer neuen Gesetzen und Verordnungen geschrieben und umgeschrieben. Immer eifriger fischt man nach Coronaviren und neuerdings auch nach Impfresistenten.

Je länger die Knüpferei dauert, desto weniger wird hinterfragt, wozu solche Netze und die damit erreichten Fänge überhaupt gut sein sollen. Derweil verfangen sich immer wieder unbeabsichtigt andere Lebewesen wie Unternehmen oder unschuldige Personen in den kleinen Maschen. Das nimmt man halt in Kauf.

Und weil das Netz schon so lange benutzt und weil es laufend grösser und dichter wird, denkt kaum jemand daran, wie es ohne Netz war. Die Erinnerungen verblassen mehr und mehr. Damals, als man sich noch frei und unbeschwert bewegen und unter die Leute gehen konnte. Als man in der Menge tanzen, singen, sogar schreien konnte, und das auch noch drinnen! Je länger das Netz ausgelegt und dessen Maschen immer kleiner werden, desto grösser wird die Angst vor dem weiten Meer ausserhalb. Nur noch wenige spüren die Sehnsucht nach den echten Schönheiten des Meeres ausserhalb, die meisten sind mit einem bisschen Beinfreiheit und einem kleinen Ausflug schon zufrieden.

Den Juristen in Bern wird es unwohl beim Gedanken, sie könnten sich in einem Raum ohne Netz – frei und ungebunden – bewegen, schwimmen oder gar tauchen. Jeder Freiraum und Neues ist ihnen suspekt. Dass ein Zusammenleben auch in Eigenverantwortung funktioniert und dass ein selbstständiges Denken und Handeln zu interessanteren und vielfältigeren Lösungen führt, können sich diese Netzknüpfer gar nicht vorstellen. Ihr Wunschzustand ist ein lückenloses Netz, durch das nichts und niemand mehr hindurchschlüpfen kann ins unberechenbare, offene Meer.

Uns Unternehmern und Bürgern wird das freie Schwimmen und Tauchen im Meer immer mehr verunmöglicht. Im besten Fall können wir uns noch zwischen den Rändern in kleinen Gruppen tummeln und uns dort in Freiheit wähnen. Solange wir uns doppelt ausweisen, bekommen wir ein bisschen Platz zum Hin- und Herschwadern. Schwimmen wir aber zu weit oder zu wild, stoppt uns das Netz abrupt. Nachbarn dürfen wir auch nicht mehr empfangen und auch nicht einfach so zu ihnen hinschwimmen. Das Netz ist nämlich, obwohl immer wieder in Aussicht gestellt, international überhaupt nicht kompatibel. Jedes hat seine eigenen Aufpasser und seine eigenen, laufend wechselnden Regeln.

Nicht nur in der Verwaltung, auch im Parlament haben wir viele Netzknüpfer, welche diese Kunst vollzeitlich als Beruf ausüben. Ihre Fertigkeiten liegen im korrekten Formulieren (sodass es der einfache Bürger nicht mehr versteht), in der vollständigen Aufzählung (die die Praxis nie abdeckt) und der Sanktionierung mit Bussen (die sie an Kantonspolizisten delegieren).

Man kann nicht erwarten, dass solche Netzknüpfer auf Netze verzichten und Freiheiten einräumen. Es widerspricht ihrem Naturell. Deshalb braucht es in Bern viel mehr Schwimmer und Taucher, die die farbige und vielfältige Welt des Meeres noch kennen und schätzen. Folglich geht mein Aufruf an alle Unternehmer, frei Denkende, selbstständig Handelnde und Freiheitsliebende: Kommt nach Bern und bringt die Schätze der Welt da draussen mit, berichtet von den spannenden und vielfältigen Möglichkeiten. Sonst geht uns allen allmählich die Luft aus!

*Die Bündner SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher ist Vizepräsidentin und Delegierte des Verwaltungsrates der EMS-CHEMIE HOLDING AG.

www.martullo-blocher.ch

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