Publiziert am: 05.06.2020

Die Sorgen bleiben gross

GASTRONOMIE IN DER KRISE – Restaurants, Cafés und Bars haben wieder offen – notabene unter Ein­haltung der strengen BAG-Schutz­massnahmen. Die Gäste kommen zaghaft zurück und die meisten Betriebe haben Mehrkosten und Umsatzeinbussen. Doch die Gastro­nomen meistern diese Heraus­forderung mit viel Pragmatismus, Kreativität und positivem Denken.

Gute und schlechte Nachrichten aus der Gastronomie: Ab 6. Juni 2020 sind wieder Bankette, Hochzeiten und Familienfeiern zugelassen. Das freut viele Wirte. Dennoch bleiben grosse Sorgen. Mehr als 3000 Unternehmen haben auf eine Umfrage des Branchenverbands GastroSuisse geantwortet. Die Umsätze der ersten 7 bis 10 Tage nach der Wiedereröffnung vom 11. Mai waren ernüchternd. Der durchschnittliche Umsatz entsprach bloss etwa 40 Prozent des Üblichen. Neun von zehn Betrieben schreiben Verluste. Vor allem die ­eingeschränkte Sitzplatzkapazität macht Probleme. Die Zwei-Meter-Abstandsregel zwischen den Tischen reduziert die Anzahl der möglichen Sitzplätze um die Hälfte. «Die Distanzregeln sind schwammig», sagt GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer. «Wir wissen nicht, ob man die Zwei-Meter-Regel unterschreiten kann, wenn man in einer Gästegruppe eine Adresse aufgenommen hat.»

Zusätzlich einschneidend ist die nach wie vor geltende Polizeistunde ab Mitternacht – ein gefühlter Rückschritt in die 1980er-Jahre. «Die Öffnung von Clubs und Diskotheken mit einer Polizeistunde um Mitternacht ist schwierig zu verstehen», so Platzer weiter. «So sind de facto nur Kinderdiscos möglich. Das eigentliche Clubleben beginnt doch heute erst um Mitternacht. Dann aber müssen die Clubs schliessen. Die Partys verlagern sich in den informellen Raum – ans Seeufer, in den Wald oder in private Räumlichkeiten –, wo niemand hinschaut, ob die Regeln eingehalten werden.»

Situation bleibt angespannt

Die Situation in der Branche ist weiterhin sehr angespannt, auch wenn der Wille zur Öffnung vorhanden ist. «90 Prozent aller Betriebe haben geöffnet. Das ist mehr, als wir erwartet haben», so Platzer weiter. Kopfzerbrechen bereitet vor allem die Top-down-Kommunikation des EDI; die Kooperationsstrategie funktioniert offensichtlich nicht. Dies sieht auch Hans-Ulrich Bigler so. «Die Krisenbewältigung im EDI wird ausschliesslich auf gesundheitspolitischer Basis geführt», sagt der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv und moniert: «Die Wirtschaft ist heute im Krisenstab des BAG ausschliesslich mit dem Präsidenten von economiesuisse vertreten. Für einen künftigen Fall muss die Vertretung der Wirtschaft zwingend breiter sichergestellt sein.»

Wenig Platz, grosses Verständnis

Und wie gehen die einzelnen Gas­tronomen mit der aktuellen Situation in der Praxis um? Wir haben bei fünf Betrieben nachgefragt: Auch Philippe Gacond, Mitinhaber und Geschäftsführer, hat seinen Kaffeeladen Home Barista Shop sowie die beiden Restaurants La Crêperié und das Café Ccino in Aarau wieder geöffnet. Ihm ist es sehr wichtig, die Schutzmassnahmen sorgfältig umzusetzen. Mit entsprechenden Markierungen am Boden sind der separate Ein- und Ausgang sowie die Wartezone, also der Kundenfluss klar angezeigt. «Wir wollen, dass sich unsere Gäste sicher und wohl bei uns fühlen. Dies wird von unseren Kunden auch sehr ­geschätzt», so Gacond. Allerdings kommen momentan noch rund die Hälfte weniger Kunden. «Wir haben mit all den Schutzmassnahmen Mehrkosten und weniger Umsatz und werden die zwei bis drei Monate Umsatzverlust nicht mehr aufholen.» Dennoch ist Gacond zuversichtlich und kann für seine Lokale dieser Situation auch Positives abgewinnen. «Die neue Bestuhlung gibt eine neue Atmosphäre und ich bekomme so neue Inputs, wie ich die Infrastruktur noch optimieren kann.»

Mit Kartonwänden hat das «Gottlieber Sweets & Coffee» in Aarau das Einhalten des Abstandes gelöst. «Sehr viele Gäste hätten gerne einen Platz bei uns, leider haben wir aber im Moment nur beschränkt Platz zur Verfügung», sagt Filialleiterin Claudia Straumann. Und Dieter Bachmann, Geschäftsführer der Gottlieber Spezialitäten AG, doppelt nach: «Der Umsatz der vergangenen Monate ist leider verloren und fehlt. Wir hoffen, aber, dass die Abstandsregeln in absehbarer Zeit gelockert werden können und wir wieder mehr Plätze anbieten können.»

Mehrkosten und viel Aufwand

Seit 28 Jahren führt Albi von Felten – davon 21 als Inhaber – in der 5. Generation das Land-Hotel Hirschen in Erlinsbach/Aarau. Der renommierte schweizbekannte «Gourmettempel» ist gut gestartet: «Wir hatten eine gute erste Woche mit rund 25 Prozent weniger Plätzen. Es kamen in der zweiten und dritten Woche etwas weniger Gäste. Obwohl wir noch nicht kostendeckend sind und ein Teil unserer 45-köpfigen Belegschaft noch in Kurzarbeit ist, sind wir zufrieden.» Und er ergänzt: «Letztes Jahr um diese Zeit hatten wir schon 480 000 Franken Umsatz gemacht. Wir haben Glück, wenn wir die Hälfte dieses Umsatzes schaffen. Die letzten für uns besten Monate März und April können wir nicht mehr aufholen.» Im Hotel- und Seminarbereich sei die Situation noch schwieriger. «Bis jetzt fehlen hier die Gäste noch, doch haben wir schon etliche Reservationen ab September. Zudem können wir von der Mitgliedschaft bei Swiss Quality Hotels International profitieren. Diese Auszeichnung bringt uns immer mehr Individualgäste», stellt von Felten fest.» Die im Sommer geplanten Investitionen hat der engagierte Gastronom bereits auf nächstes Jahr verschoben.

Um den Gästen den umfangreichen «Hirschen»-Service weiterhin zu bieten, arbeitet das gesamte Team mit Schutzmasken. «Wir setzen die BAG-Schutzmassnahmen konsequent um. Dies bedingt aber, dass die Abläufe komplexer sind und dementsprechend länger dauern. Ebenso müssen unsere Mitarbeitenden exakt arbeiten. Zudem desinfizieren wir nach jedem Gast alles – von der Tischdecke über die Speisekarte bis hin zu Salz und Pfeffer», so von Felten. «Dies alles ist viel aufwendiger, dafür erhalten wir von unseren Gästen, die sich nach wie vor sehr wohl bei uns fühlen, Lob.» Der leidenschaftliche Gastgeber und Geniesser windet seinem Team ein grosses Kränzchen, das in dieser Krise vorbildlich zusammengehalten und agiert hat, sowie seiner Schwester für die minutiöse Buchhaltung und seiner Frau Silvana, die alles bis in Detail knallhart und fair gema­nagt hat. «Ohne dieses hervorragende Teamwork wären wir nicht so gut über die Runden gekommen», so von Felten, der erst kürzlich das Projekt «Weinhaus am Bach» realisierte, wofür er den ersten Hotel Innovation Award erhalten hat. «Corona wirft uns fünf Jahre zurück, dennoch müssen wir das Ganze pragmatisch und positiv angehen.»

Schwierige Arbeitsabläufe

«Am meisten zu schaffen macht uns die Rentabilität», zieht Manuela Schmid, Co-Gastgeberin im Gasthof zum Schützen in Aarau, Bilanz. Die neuen Arbeitsabläufe seien eine grosse Herausforderung und das Gästevolumen unstet: «Während des Lockdowns konnten wir mit dem Take-away, Lieferdienst und unserem tagestelleraarau.ch die Personalkosten gut decken. Jetzt sind die Services zum Teil sehr gut und zum Teil sehr schwach.» Auf die Hygienemassnahmen reagierten die Gäste zum Teil sehr verständnisvoll und dankbar, «jedoch gibt es auch viele, die es für ‹unnötiges Zeug› halten.» Grössere Anlässe würden auch mit den neusten Lockerungen «nicht einfach zurückkommen». Um in den Normalbetrieb zurückzukehren, müsste laut Schmid die Zwei-Meter-Regelung fallen. Sie betont: «Schön ist, dass wir vor allem von den Stammgästen extrem unterstützt werden.»

Im Restaurant Krone in Hindelbank leidet wie vielerorts besonders das Mittagsgeschäft. «An den Abenden und vor allem an den Wochenenden bin ich von der Anzahl Gäste positiv überrascht», sagt «Krone»-Wirt Guido Frei. Auch in seinem Team seien die neuen Arbeitsabläufe eine grosse Herausforderung. Die Lockerungen brächten noch nicht viel, da die 2 Meter zwischen den Tischen weiterhin gelten. «Ich denke und hoffe, dass,wenn die Fallzahlen weiter auf tiefem Niveau bleiben, die Menschen vermehrt einen Restaurantbesuch ‹wagen› werden.»

En/CR/uhl

www.gastrosuisse.ch

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