Publiziert am: 06.11.2020

Die Meinung

Die Wirtschaft ist keine Big Band

Eine Big Band ist stil- und schwungvoll. Sie ist gross genug, um den Raum mit Klang zu füllen, und klein genug, um Hintergrundmusik zu machen. Sie spielt die vom Leiter ausgewählten Stücke und folgt ihm ganz allgemein. Und falls er’s will, stoppt sie – um später wieder anzufangen.

Wer jetzt im Kopfkino Count Basie oder Hazy Osterwald sieht, mag vom Glitter und Glamour erfreut sein. Zu Recht. Die Swing-, Jazz- und Tanzformationen bereiten manchem grosse Freude. Trotzdem gilt es zu beachten: Die Wirtschaft ist keine Big Band.

Wer kommt denn überhaupt auf die Idee, die Wirtschaft mit einer Bing Band zu vergleichen? Direkt tut es natürlich niemand. Doch in Covid-Zeiten scheinen Medien, Politik und sogar Leute, die sich selbst Ökonomen nennen, eine solche Vorstellung zu haben.

Wer den öffentlichen Diskurs in der Covid-Schweiz verfolgt, stellt fest: Viele meinen, die Wirtschaft sei eine Aneinanderreihung von Firmen mit klar umschriebenen Aufgaben; diese Aufgaben werden ihnen von einem Leiter zugeteilt; der Leiter kann jederzeit ein Stopp befehlen – und dann wieder ein Herauffahren. Wie in einer Big Band eben.

Dieses Bild widerspricht dem Wesen der Wirtschaft. Denn sie ist weder geleitet noch geplant. Wirtschaft ist dezentrale Dynamik. Firmen suchen immer neue Aufgaben und kreieren ständig neue Betätigungsfelder. Sie warten nicht auf einen Leiter, und sie koordinieren sich mit anderen nur situativ. Niemand spielt nach einer vorgegebenen Melodie; vielmehr spielt jeder nach seinem eigenen Rhythmus.

Viel wichtiger noch: Die dezentrale Dynamik ist ein sich selbst verstärkender Mechanismus. Unternehmen reagieren aufeinander. In Wettbewerbsprozessen schöpfen sie Neues. Wenn die Dynamik abnimmt, sind ökonomische Krisen, Arbeitslosigkeit und eine Verkrustung der Wirtschaft die Folgen.

Wer jetzt also lautstark einen Lockdown fordert, verkennt gerade dies. Man kann der Wirtschaft nicht einfach befehlen zu stoppen – um dann später wieder anzufangen. Wenn man sie in den Grund fährt, bremst man ihre Dynamik. Und wenn diese einmal dahin ist, ist ein Hinauffahren schwer – für manche unmöglich.

Die Wirtschaft ist also keine Big Band mit einer zentralen Leitung und einem vorgeplanten Einsatz. Sie ist ein dezentral-dynamischer Schöpfungsprozess. Unterbricht man diesen mit einem Lockdown, kann man nicht einfach den Takt vorpfeifen und den Einsatz befehlen.

Unterbricht man die dezentrale Dynamik der Wirtschaft, kommt dies teuer zu stehen. Ein zweiter Lockdown würde mehr als 100 Milliarden Franken kosten. Deswegen muss er unter allen Umständen verhindert werden.

Aber schon die jetzige Situation ist untragbar. Die Härtefallregelung und die Flexibilisierung der Arbeitszeit tempieren die massiven Auswirkungen nur ab. Mittelfristig muss die Schweiz zurück in die Normalität finden. Denn die dezentrale Dynamik hat schon nachgelassen, und auch ohne Totalstopp wird es nicht einfach sein, Schöpfungsprozesse wieder zu befeuern.

Die Wirtschaft ist eben keine Big Band. Schweigt die Band, haben wir weniger Freude. Stoppt jedoch die Wirtschaft – dann haben wir existenzielle Probleme.

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