Publiziert am: 14.08.2020

Direkt in die Berufslehre

LEHRSTELLEN – Corona hat auch die Lehrstellensuche an manchen Orten auf den Kopf gestellt. Insgesamt ist die Lage stabil, aber es zeigen sich regionale Unterschiede. Gezielte Projekte und Fördermittel sollen für gut ausgebildeten Berufsnachwuchs sorgen.

Last-Minute-Lehrstellenbörsen, Lehrvertragsunterzeichnungen erst im Herbst und spezifische Beratungs- und Überbrückungsangebote: Mit aller Kraft wird versucht, den Arbeitsmarkteinstieg für junge Menschen trotz Covid-19 so einfach wie möglich zu gestalten. Klar ist: Das Land ist dringend auf die Fachkräfte angewiesen.

«Wir haben Erfahrung im Umgang mit Krisen.»

Die schlimmsten Befürchtungen sind zum Glück nicht eingetroffen. Die von der Task-Force «Perspektive Berufslehre 2020» eingeholten Trendmeldungen zeigen eine stabile Situation, auch wenn auf der Lehrstellenplattform Yousty noch immer über 7000 Lehrstellen für das Jahr 2020 ausgeschrieben sind. Bis Ende Juli 2020 wurden gesamtschweizerisch über 66 000 Lehrverträge abgeschlossen, nur ein Prozent weniger als im Vorjahr um diese Zeit.

In der Deutschschweiz gab es kaum Unterschiede. Das bestätigt die Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, Christine Davatz, die als Vertreterin der OdA (Organisationen der Arbeitswelt) in der Task-Force mitwirkt: «Zwar konnten in einigen Betrieben und Branchen wegen des Lockdowns keine Schnupperstellen angeboten werden, aber über 70 Prozent der Jugendlichen in der Deutschschweiz hatten ihren Lehrvertrag vor Corona unterzeichnet.»

Problematischer sei die Situation in der Westschweiz – vor allem in den Kantonen Waadt und Genf – und im Tessin. Hier beginnen die Rekrutierungsprozesse später, doch heuer kam um diese Zeit der Lockdown. Davatz: «Die Frist zum Abschluss von Lehrverträgen wurde deshalb bis in den Herbst verlängert.»

Ernst der Lage frĂĽh erkannt

Der normale Ablauf der Berufswahl und der Rekrutierungsverfahren, zum Beispiel Schnupperlehren und Vorstellungsgespräche, sei nach wie vor beeinträchtigt. «Grundsätzlich haben wir aber Erfahrung im Umgang mit ähnlichen Krisen», gibt sich Davatz optimistisch und verweist auf den Lehrlingsmangel im Jahr 1996 und den Lehrstellenmangel im Jahr 2005. Es seien Rechtsgrundlagen vorhanden, wonach der Bund Massnahmen treffen kann, wenn es auf dem Lehrstellenmarkt ein Ungleichgewicht gibt. «Der Bundesrat hat der Situation mit dem Einsatz der Task-Force und Projektfördermitteln bereits Rechnung getragen.» Zudem habe er zusammen mit den Kantonen ein Monitoring eingerichtet.

«Direktintegration in die Berufslehre ist Zwischenlösungen und brückenange­boten vorzuziehen.»

Wie sich die Situation für das Jahr 2021 entwickeln wird, ist gemäss einer Mitteilung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) schwierig abzuschätzen. Ein wichtiger Indikator werde sein, wie sich die wirtschaftliche Situation generell entwickle.

Die Entwicklung der Lehrstellensituation ist in den Folgejahren noch wichtiger als sowieso schon. Die Gründe dafür sind demografischer Natur: Geburtenstarke Jahrgänge rücken nach. 2027 werden 10 000 Jugendliche mehr das Ende der obligatorischen Schulzeit erreichen als im aktuellen Jahr.

Unnötige Schlaufen vermeiden

Gemäss Christine Davatz muss auf der Suche nach Lösungen gewissen Grundprinzipien Folge geleistet werden: «Unnötige Schlaufen für Lernende sollen vermieden werden. Das heisst, dass die Direktintegration in die Berufslehre einer Zwischenlösung oder einem Brückenangebot vorzuziehen ist.» Also duale Berufslehren, statt Umstellung auf rein schulisch organisierte Angebote. Zu Letzterem tendierten jedoch die Romandie und das Tessin.

Die Kantone werden in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung unterstützt. Zusätzlich haben die Sozialpartner schon Ende Juni das Projekt «Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger ohne Anschluss: Wir packen die Chance!» ins Leben gerufen (siehe Kasten). Weitere Projekte laufen bereits oder sind in Planung. Auf der Ebene der Kommunikation fand schliesslich ein Aufruf des Bundesrats an die Lehrbetriebe statt. Diese sollen wenn immer möglich weiter Lernende ausbilden. Der Aufruf zielt darauf ab, dass es in Zukunft nicht zu einem noch grösseren Fachkräftemangel kommt. Zudem ist die Investition in die Bildung stets eine langfristige.

Bewusstsein bei Jugendlichen und Eltern schärfen – viel früher

In Zukunft müsse der Berufswahlprozess ab dem 5. Schuljahr in den Volksschulen institutionalisiert werden, fordert sgv-Vizedirektorin Davatz. Und anschliessend müsse er auch in der Sekundarstufe II fortgesetzt werden. «Das Bewusstsein der Laufbahnplanung, aber ebenso des lebenslangen Lernens muss geschärft werden, sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Eltern.» Damit sei man im Falle einer Wirtschaftskrise besser gewappnet und wisse, wie und wo man sich informieren und allenfalls Hilfe holen kann.Adrian Uhlmann

www.taskforce2020.ch

www.anforderungsprofile.ch

www.yousty.ch

www.sbfi.admin.ch

UND NACH DER LEHRE?

«Genau das, was wir brauchen»

Schwierig ist die Situation nicht nur für Schul-, sondern auch für Lehrabgänger. Der Übergang von der Berufslehre in ein reguläres Arbeitsverhältnis kann sich aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage schwierig gestalten – stark abhängig auch von der Branche. Die Task-Force des Bundes ruft die Jungen deshalb zur Weiterbildung auf, sei es im eigenen Beruf, in Form einer Umorientierung oder dem Lernen von Sprachen (siehe Links).

Um die Situation zu entschärfen, wurden zahlreiche Angebote ins Leben gerufen. So zum Beispiel auch das vom Bund im Rahmen des Förderschwerpunkts «Lehrstellen Covid-19» finanzierte Projekt «Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger ohne Anschluss: Wir packen die Chance!». Unterstützt von den Spitzenverbänden der Sozialpartner, wird in Olten, Neuenburg und Genf interessierten Jugendlichen eine Standortbestimmung und eine Laufbahnplanung ermöglicht. Auch sgv-Vizedirektorin Christine Davatz war in Olten beim ersten dieser Workshops dabei. Und was sie sah, hat ihr sehr gefallen: «Wir wollten sofort etwas umsetzen und das Resultat ist in drei Sprachen verfügbar.» Die Entwicklung der jungen Menschen in den zweieinhalb Tagen sei enorm gewesen. «Sie können jetzt hinstehen und sagen, ‹das ist der Weg, den ich gehen will›, und das ist genau das, was wir brauchen.» Das längerfristige Ziel sei, dass alle Lernenden am Ende ihrer Lehrzeit diesen Kurs besuchen und damit eine Standortbestimmung machen können.

uhl

https://bit.ly/2C6ERkU

www.movetia.ch

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