Publiziert am: 05.06.2020

Dringend gesucht: Arbeit

SITUATION in DEN RAV – Wenn die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) alle Hände voll zu tun haben, ist das für die Wirtschaft kein gutes Zeichen. Aktuell sind sie gefordert wie nie. Was sind die Herausforderungen? Und was bedeutet das für die Stellensuchenden? Ein Einblick.

«Wir sind – wie viele andere Betriebe – mit einer für uns sehr neuen Ausgangslage konfrontiert», sagt Isabelle Wyss, Sektionsleiterin beim Amt für Wirtschaft und Arbeit beim Kanton Aargau. Sie ist damit die Chefin aller regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) im Aargau und hat mit ihrem Team alle Hände voll zu tun. Vor wenigen Wochen musste sie die Schweizerische Gewerbezeitung sgz noch auf später vertrösten. Man habe leider gar keine Kapazitäten und müsse die Kräfte bündeln, um alle Anmeldungen und Kurzarbeitsanträge zu bearbeiten. Nach wie vor mit sehr viel Arbeit konfrontiert, sah Wyss nun aber etwas Land und gewährte einen Einblick, was sich aktuell in den RAV und bei den Stellensuchenden abspielt.

«Alle Stellen-suchenden leiden unter der Situation, egal ob mit oder ohne Corona.»

«Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns ist die Zahl der Stellensuchenden stark gestiegen, und das in einem Ausmass und so plötzlich, dass wir keine Chance hatten und haben, mit dieser Entwicklung standzuhalten», sagt sie noch immer. Daher werde zurzeit der Personalbestand aufgestockt. Was für jedes Unternehmen ein Grund zum Frohlocken ist, heisst hier nichts anderes als dass es dem Arbeitsmarkt ganz und gar nicht gut geht. Die Situation sei eine grosse Herausforderung, die «von allen Mitarbeitenden sehr viel Engagement und Flexibilität» abverlange.

Eine grosse Herausforderung ist die Situation selbstredend für die Betroffenen, die Stellensuchenden. Diese müssen jetzt mit einer weniger persönlichen Betreuung vorliebnehmen. Die Beratungsgespräche per Telefon funktionierten jedoch gut. «Wir sind sehr dankbar für die hohe Akzeptanz der Stellensuchenden für diese Option», sagt Wyss. Es sei für alle Beteiligten eine neue Erfahrung gewesen. Dass der persönliche Kontakt jedoch nicht ganz ersetzt werden kann, zeigte sich beispielsweise in den Schulen (vgl. sgz vom 3. April 2020). Isabelle Wyss: «Ich würde sagen, die Mischung macht’s. Wir erleben zurzeit, dass neue Wege durchaus funktionieren.» Eine komplette und dauerhafte Umstellung auf telefonische Beratungen wäre aber auch in den RAV nicht zielführend. Wyss sieht die Sache optimistisch und blickt schon etwas voraus: «Aus der gegenwärtigen Erfahrung Altbewährtes zu überdenken und Mischformen zu finden, das ist reizvoll.»

Sanfte Erholung

Und wie geht es nun also den Betroffenen in dieser besonders schweren Zeit? Offenbar gar nicht so viel anders wie in «normalen» Zeiten. Einmal in der Arbeitslosigkeit angekommen, sei die Situation nämlich nie einfach, meint Wyss. «Alle Stellensuchenden leiden grundsätzlich unter ihrer Situation, egal ob mit oder ohne Corona.» In wirtschaftlich schweren Zeiten stellensuchend zu sein, das ist laut Wyss aber schon «sehr belastend». Und auch bei Langzeitarbeitslosen steige der Druck weiter an. Etwas Milderung hätten hier die vom Bundesrat gesprochenen «besonderen Taggelder» gebracht. Damit gemeint sind die maximal 120 zusätzlichen Taggelder, die Aussteuerungen verhindern sollen.

«Keine Chance, mit dieser Entwicklung Standzuhalten.»

Mit dem Inkrafttreten der «ausserordentlichen Lage» sei der Stellenmarkt in allen Branchen eingebrochen, «wenn auch in unterschiedlichem Ausmass», betont Wyss. «Im Vergleich zum Vorjahr wurden 46 800 Stellen weniger publiziert.» Das entsprich fast einer Halbierung. Grosse Unterschiede seien zurzeit in den Branchen erkennbar. So sind die Gastrobranche und der Detailhandel sehr stark belastet, wobei in Letzterem bereits wieder eine Aufwärtstendenz zu erkennen ist (vgl. Kasten). Etwas jedoch sei genau gleichgeblieben. Nämlich was zu tun ist, wenn man seine Stelle verliert. «Sich auf dem RAV anmelden und trotz der schwierigen Umstände um eine Stelle bemühen», erklärt Wyss. Im Kanton Aargau erfolge die Anmeldung zur Zeit noch telefonisch.

Die «sanfte Erholung», um es in den Worten von Isabelle Wyss zu sagen, stimmt sie optimistisch. Die Erholung, sie wäre ihr und ihrem Team zu gönnen. Das würde nämlich bedeuten, dass es in den Unternehmen wieder mehr zu tun gibt. Mehr Arbeit, mehr Stellen und da-mit weniger Stellensuchende. Möge die Erholung voranschreiten.

Adrian Uhlmann

ERSTE LICHTBLICKE IM SCHWEIZER STELLENMARKTGastro und Hotellerie gebeutelt

Frühlingserwachen

Seit dem Inkrafttreten der «ausserordentlichen Lage» wurden im Vergleich zum Vorjahr beinahe nur halb so viele Stellenanzeigen publiziert, nämlich 46 800. Mit den Lockerungsmass­nahmen in den letzten fünf Wochen sei die Zahl jedoch wieder ansteigend. Das zeigt eine Auswertung von Novalytica AG und x28 AG. Obwohl auch in diesem Zeitraum weniger Stellen publiziert wurden, zeichne sich eine Erholung ab.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt scheint sich allmählich zu erholen. Die Auswertung analysiert die Situation auf dem Schweizer Arbeitsmarkt anhand von Echtzeitdaten zum Rekrutierungsverhalten aller Schweizer Firmen.

Gastro und Hotellerie gebeutelt

Im letzten Jahr seien durchschnittlich rund 11 000 Stellenanzeigen pro Woche neu publiziert worden. Seit den Lockerungen sind es in diesem Jahr rund 7000 Neupublikationen wöchentlich. Verglichen wurden die jeweiligen Jahresperioden, um auch saisonale Schwankungen mit einzuberechnen. Der grosse Rückgang in Woche 21 (siehe Abbildung oben) sei beispielsweise auf die Feiertag zurückzuführen.

Auf der zweiten Abbildung sind diejenigen fünf Branchen zu sehen, die im Jahr 2019 die höchste Anzahl an Neupublikationen aufgewiesen haben. Die grössten Anteile dabei hatten die Gastronomie und Hotellerie mit 10,4 Prozent, gefolgt von der Verwaltung mit 7 Prozent. In Gastronomie und Hotellerie liege die Anzahl neu publizierter Anzeigen weiterhin 65 Prozent unter den Vorjahreswerten. Besser sehe es in den anderen vier Bereichen aus. Diese hätten sich bei rund 20 Prozent unter dem Vorjahreswert eingependelt.

Die Analysten werten dies als «erste Lichtblicke» und sprechen von einem «Frühlingserwachen im Arbeitsmarkt».

uhl

www.novalytica.com

www.x28.ch

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