Publiziert am: 07.10.2022

Eigenmächtig – und stumm

REGULIERUNG – Die Schweizerische Bankiervereinigung, der «Spitzen­ver­band des Schweizer Finanzplatzes», scheint sich für einen Gesetzgeber zu halten. Ohne jede gesetzliche Grund­lage gebärdet sie sich als Hüterin der «Nachhaltigkeit». Interessen der KMU bleiben dabei – einmal mehr – aussen vor.

Die Bankiervereinigung, der Dachverband der Schweizer Banken, spielt sich derzeit gerade ins Abseits. Sie hat unlängst zwei neue Richtlinien erlassen, die für alle ihre Mitgliedsbanken Gültigkeit haben und 2023 in Kraft treten.

Ziel ist es, «einen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Sinne der Leit-linien des Bundesrates zu leisten», wie es in den «Richtlinien für Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energieeffizienz» heisst.

Schon hier stellt sich ein grundsätzliches Problem: Die in der Richtlinie zitierten Leitlinien des Bundesrats sind ein internes Papier der Bundesverwaltung und haben keinerlei normsetzende Kompetenz. Sprich, sie sind als regulatorische Grund-lage ungenügend und bedürften einer demokratischen Legitimation.

Ohne demokratische Grundlage

Doch weit gefehlt: Viel lieber spielt die Bankiervereinigung Gesetzgeber – und das unrechtmässig. Besonders bedenklich ist das, weil die neue Hypotheken-Richtlinie negative volkswirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Neu werden die Konditionen für Hypotheken von einem Marktwert losgelöst und mit einer empirisch kaum messbaren «Nachhaltigkeit» verknüpft. Die Hypothek wird also ohne demokratische Grundlage instrumentalisiert, um die Energieeffizienz von Gebäuden zu erhöhen.

Das kann verheerend sein, weil KMU deswegen in Finanzierungsengpässe geraten können. Denn Hypothekarkredite sind für KMU die wichtigste Finanzierungsquelle. Sie werden auch als betriebswirtschaftliche Instrumente eingesetzt, zum Beispiel für die Finanzierung von Anlagen, Maschinen, Markteintritten, Innovation und desgleichen.

Müssen die KMU die Kredite neu für die Energieeffizienz ihrer Gebäude einsetzen, fehlen ihnen finanzielle Mittel an den anderen Orten. Kommt hinzu, dass diese neue Leitlinie auf ein Obligatorium des Gebäudeenergieausweises der Kantone GEAK hinauslaufen kann.

Der GEAK jedoch war immer schon als eine rein freiwillige Massnahme gedacht, und nie als Obligatorium. Dieses Verständnis, das insbesondere auch die Bankiervereinigung mitgetragen hat, wird mit der beabsichtigten Regulierung gebrochen.

Nicht nur Inhalt ist fragwĂĽrdig

Zur Erinnerung: Gegen 600 000 Unternehmen in der Schweiz sind KMU, also 99,8 Prozent aller Firmen. Geraten diese in finanzielle Schwierigkeiten, haben wir ein gröberes Problem. Dass die Bankiervereinigung im Zusammenhang mit der neuen Richtlinie von «Nachhaltigkeit» spricht, ist vor diesem Hintergrund geradezu grotesk.

Doch nicht nur der Inhalt der Richtlinie ist fragwürdig, sondern auch deren Inkraftsetzung. So hat die Bankiervereinigung die betroffenen Stakeholder, namentlich Hauseigentümer und KMU, vorgängig nicht einmal konsultiert.

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv hat sich deshalb bereits vor gut einem Monat – genauer: am 29. August – mit einem Brief und der Bitte um einen Austausch an die Bankiervereinigung gewandt. Und wie hat diese auf den Brief der grössten Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft, die über 230 Verbände und gegen 600 000 KMU vertritt, reagiert? Bis Anfang Oktober gar nicht ... Die Interessen der KMU scheinen die Banker überhaupt nicht zu interessieren. Es ist ein höchst unwürdiges Schauspiel, das hier abläuft.Hans-Ulrich Bigler, Direktor sgv

vgl. «Die Meinung», Seite 2

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