Nationalrat entscheidet sich für das kleinere Übel – es braucht aber eine strukturelle Reform der AHV
Ein Hühnerstall zum Vorzeigen
ENERGIE – Geflügelzuchtställe müssen stark geheizt werden und verbrauchen entsprechend viel Energie. Durch Einsatz von Wärmepumpen, Wärmerückgewinnung aus der Abluft und exzellenter Gebäudedämmung lässt sich der Heizenergieverbrauch um bis zu vier Fünftel vermindern.
Poulet ist in der Schweiz hinter Schwein die zweitbeliebteste Fleischsorte. Zwei Drittel der Produktion kommen aus den rund 1000 inländischen Mastbetrieben. Dort werden die Küken während 36 Tagen gemästet, bevor die Tiere geschlachtet und zu verschiedenen Geflügelprodukten verarbeitet werden.
KĂĽken benötigen viel Wärme, die Ställe mĂĽssen im ersten Teil eines Mastzyklus auf rund 32 °C geheizt werden. Später sinkt der HeizÂenergiebedarf, weil grössere Tiere sich selber warm halten. Ab dem 22. Lebenstag haben die Tiere Auslauf in einen ĂĽberdachten, ĂĽber die ganze Länge des Stalls offenen ÂBereich («Wintergarten»), in dem Aussenklimabedingungen herrschen. So verlangt es der BTS-Standard fĂĽr «Besonders Tierfreundliches Stallhaltungssystem», dem die Mehrzahl der Schweizer PouletprodukÂtionsbetriebe verpflichtet ist.
Ein mittlerer Schweizer Betrieb mit 600 Quadratmetern Stallfläche produziert während der acht Durchläufe («Umläufe») eines Jahres jeweils 9000 Standardpoulets mit jeweils rund 2,2 Kilo Lebendgewicht. Die Energie fĂĽr die Beheizung des Stalls stammt bislang in der Regel aus Gas- oder Ă–lheizungen. Ein Âgrosser Teil der Heizenergie entweicht später ĂĽber die LĂĽftung an die Umwelt. Diese Verluste können durch Einsatz einer Anlage zur WärmerĂĽckgewinnung (WRG) vermindert werden. Die aus der ÂGebäudetechnik bekannten WRG-Anlagen sind allerdings noch nicht Branchenstandard. Ein Grund dafĂĽr sind die aufwendige Wartung und die strengen Hygienevorgaben in der GeflĂĽgelproduktion.
Bell erprobt Wärmerückgewinnung
Vor diesem Hintergrund hat die Bell Schweiz AG ein Energiekonzept entwickelt, das bei der WRG neue Wege geht. Bell versorgt den Detailhändler Coop mit GeflĂĽgel- und Fleischprodukten. Zu dem Zweck kooperiert das Unternehmen landesweit mit 360 Pouletproduktionsbetrieben. Einen davon betreiben die Familien Guggisberg und Nussbaum in Zimmerwald im Kanton Bern. Die Bell-Lieferanten nahmen im Sommer 2020 einen neuen Pouletstall in Betrieb. Dieser setzt dank der in Bell-Betrieben bisher kaum eingesetzten WärmerĂĽckgewinnung neue Massstäbe bei der Energieeffizienz. Die Anlage ist als Kreislaufverbundsystem (KVS) konzipiert, Zu- und Abluftströme werden also getrennt gefĂĽhrt. «Das ist hygienisch die optimale Lösung, denn Staub und allfällige Krankheitskeime werden aus der Abluft gewaschen und gelangen nicht nach draussen, auch entfällt die aufwendige Reinigung nach jedem Umtrieb wie bei den Luft-Luft-Systemen», sagt Bell-Projektleiter Stefan Werren. Das KVS Âermögliche einen guten Kompromiss zwischen Effizienz und Kosten. ÂBeheizt wird das Gebäude durch eine Wärmepumpe. Sie entzieht die Energie ĂĽber einen Wärmetauscher der Umgebungsluft und bringt sie auf eine Vorlauftemperatur von 45 bis 55 °C, höher als im Wohnbereich ĂĽblich.
Die Anlage in Zimmerwald ist ein Demonstrationsprojekt des Bundesamts fĂĽr Energie (BFE). Unterdessen liegen die Monitoringergebnisse fĂĽr das Winterhalbjahr 2020/21 vor: Der Bedarf an Nutzenergie fĂĽr die ÂGebäudeheizung fĂĽr einen durchschnittlichen Pouletproduktionsbetrieb mit 1100 m2 Stallfläche liegt bei 200 000 kWh pro Jahr. Die bisherigen Messwerte lassen darauf schliessen, dass der Heizenergiebedarf auf ca. 46 000 kWh/a sinken wird, also um 77 Prozent.
«Der Bedarf an Heizenergie für den Pouletbetrieb in Zimmerwald dürfte um drei Viertel sinken.»
Vorteilhaft ist die Anlage auch für die Tiere: Um die Zuluft gleichmässig im Stall zu verteilen, wird sie – nach der Vorwärmung mit Abwärme aus der Abluft – zunächst durch die zwei Wintergärten geleitet, die an beiden Seiten des Stalls angebaut sind. Das erhöht die Temperatur in den Wintergärten: Die Aussenflächen bieten den Hühnern damit auch bei tiefen Aussentemperaturen Auslauf.
Sole-Wasser-Wärmepumpe in Micarna-Geflügelstall
Einen vergleichbaren Schritt in Richtung Nachhaltigkeit machten Hans und Matthias Leuenberger, als sie 2019 in Hellsau nördlich von Burgdorf BE einen neuen Geflügelstall bauten. Die Leuenbergers produzieren im Auftrag der Migros-Tochter Micarna. Ihr neuer Stall verfügt wie der Pouletstall in Zimmerwald über eine Wärmedämmung nach Minergiestandard. Die Heizwärme stammt ebenfalls von einer Wärmepumpe, die die Wärme allerdings nicht aus der Luft, sondern aus dem Erdreich bezieht. Die Wärmerückgewinnung erfolgt über einen sogenannten Rohrbündel-Wärmetauscher: Dieser besteht aus einem Bündel von stehenden Rohren von jeweils fünf Zentimetern Durchmesser. «Diese Konstruktionsweise stellt sicher, dass das Gemisch aus Staub und Kondensationswasser den Wärmetauscher nicht verstopft», sagt David Stauffer, Inhaber der Firma Globogal AG, die das Energiesystem des Pouletstalls zusammen mit der Firma WPC Wärmepumpencenter AG entwickelt hat.
Der Energieverbrauch des Stalls wurde von April 2019 bis März 2020 im Rahmen eines BFE-Demonstrationsprojekts erhoben. Hätte das Gebäude frĂĽher rund 160 000 kWh Heizwärme pro Jahr gebraucht, waren es im Monitoringzeitraum 69 000 kWh. «Drei Viertel der Einsparung verdankt sich der grosszĂĽgig dimensionierten WärmerĂĽckgewinnungsanlage, der Rest der Âverbesserten Wärmedämmung», sagt Ludo Van Caenegem, der Hauptautor des Monitoringberichts. Dank der Wärmepumpe sind fĂĽr die ÂBereitstellung der Heizenergie nur 19 000 kWh Strom erforderlich. Der Energiebedarf des Stalls und des zugehörigen Wohnhauses (insgesamt gut 32 000 kWh) konnten dank ÂWärme- und Stromspeicher zu 40 Prozent aus der eigenen FotoÂvoltaikanlage (Jahresproduktion: 78 000 kWh) gedeckt werden.
Branchenspezifische Eigenheiten
Die beiden Projekte illustrieren das Potenzial von Wärmepumpen im industriell-gewerblichen Bereich. Die Erfahrungen sind allerdings nur bedingt auf andere Branchen übertragbar, weil die Pouletproduktion sehr spezifische Bedingungen kennt. Dazu gehören die grossen Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede in den Ställen, der hohe Luftaustausch von bis zu 60 000 Kubikmetern pro Stunde, um die CO2-Konzentration unter dem Grenzwert von 3000 ppm zu halten, aber auch die hohe Staub- und Ammoniakbelastung der Stallluft.
Benedikt Vogel
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