Publiziert am: 18.06.2021

Ein trauriges Déjà-vu

KV-REFORM – Die Last-Minute-Oppo­si­tion aus Lehrer- und Rektorenschaft gegen die Reform der kaufmännischen Grundbildung erweist dieser einen Bärendienst. Medial gefochten wird mit falschen Behauptungen – zum Schaden der Lehre und der Berufsbildung als Ganzes.

«Fehlstart für die neue KV-Lehre.» «Wie wir unser KV ruinieren.» «Es braucht ein Moratorium.» «KV-Reform kommt erst 2023»: Die Kaufmännische Lehre, das gute alte «KV», hatte in den vergangenen Wochen eine – leider negative – Medienpräsenz wie kaum je zuvor. Gegner der Reform der kaufmännischen Grundbildung «Kaufleute 2022» und ihre willfährigen Supporter liessen kein gutes Haar an der fürs kommende Jahr geplanten KV-Reform. Mit zweifelhaftem Erfolg: Die Inkraftsetzung der Reform wurde auf 2023 verschoben.

Sind fünf Jahre wirklich zu kurz?

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv und seine Bildungsexpertin Christine Davatz hatten die Reform stets nach Kräften unterstützt. Die Gründungspräsidentin der Schweizerischen Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen (SKKAB) und der Interessengemeinschaft Kaufmännische Grundbildung (IGKG Schweiz) kritisiert die «Fundamentalopposition einzelner Exponenten aus der kaufmännischen Lehrer- und Rektorenschaft» denn auch scharf: «Offenbar ist es schon zu viel verlangt, dass diese lautstark auftretenden Vertreter der schulischen Ausbildung sich mit der neu einzuführenden Orientierung an Handlungskompetenzen überhaupt auseinandersetzen sollen.» Kompetenzen ­notabene, wie sie auch in allen ­anderen Berufen heute zum Alltag gehören.

Die Mehrheit der Ausbildungs- und Prüfungsbranchen mit ihren Lehrbetrieben hätte sich seit 2017 intensiv mit der Reform befasst und sich darauf vorbereitet, so Davatz. «Sind diese Lehrpersonen, welche die Reform heute ablehnen, tatsächlich überfordert, nach fünf Jahren intensiver Arbeit die geplante Reform einzuführen? Oder haben sie es schlicht verpasst, sich rechtzeitig zu orientieren? Oder lehnen sie die Reform rundweg ab und haben bis zum Schluss gewartet in der Hoffnung, das Ganze vor der Ziellinie noch zu kippen?»

Nicht zum ersten Mal

Traurigerweise seien die heutigen Vorgänge ein Déjà-vu, sagt Bildungsexpertin Davatz. «Schon die erste grosse Reform der kaufmännischen Grundbildung 2003 wollte die schulisch dominierte Ausbildung näher zum Arbeitsmarkt bringen. Schon damals wehrten sich Lehrpersonen mit Händen und Füssen mit der ­Begründung, die Betriebe hätten ja keine Ahnung von Ausbildung, dies sei Sache der Schule.»

Die zweite grosse Reform 2012 ging noch einen kleinen Schritt weiter Richtung duale Berufslehre, «und auch hier waren es wieder einige lautstarke Lehrpersonen, die sich gegen die Reform stellten». Die dritte grosse Überarbeitung sollte nun zugunsten der Lernenden noch mehr ein Gleichgewicht zwischen den drei Lernorten Betrieb, überbetrieblicher Kurs und Berufsfachschule bringen. «Wie bei den gewerblich-industriellen Berufslehren soll die Ausbildung auf die Handlungskompetenzen ausgerichtet werden und so den jungen Kaufleuten ermöglichen, sich noch besser im sich immer rascher wandelnden Arbeitsmarkt zu behaupten.»

Viele falsche Behauptungen

Auf solche «Details» gingen die Medienbeiträge der vergangenen Tage und Wochen kaum ein. Beklagt wurde, dass die zweite Fremdsprache fehle. «Das Fremdsprachenkonzept mit zwei Fremdsprachen wurde bereits durch die Erziehungsdirektorenkonferenz EDK genehmigt», sagt Davatz dazu. Zudem wird moniert, dass der Anschluss an die Berufsmaturität BM1 nicht gewährleistet sei – «Eine Behauptung, die ganz einfach nicht stimmt!»

Die Weiterbildung der Lehrpersonen sei finanziell und personell nicht verkraftbar, wurde weiter behauptet. «Auch das eine falsche Aussage», sagt Davatz, «denn das Weiterbildungskonzept und seine Kosten lagen schon lange vor – und an der bereits angelaufenen Weiterbildung haben schon mehr als 1700 Lehrpersonen teilgenommen.»

Eine Mitsprache war zwingend

Es gebe also durchaus innovative Schulleiterinnen und Schulleiter und Lehrpersonen, welche sich seriös auf die Neuerungen vorbereiteten. Die Behauptung, die Lehrpersonen seien nicht in die Reform einbezogen worden, sei irreführend, so Davatz. «Wer sich seriös mit dem Thema auseinandergesetzt hat, weiss, dass eine grosse Berufsreform zwingend die Mitarbeit aller Verbundpartner voraussetzt.»

Die KV-Reform sei im Wesentlichen aufgegleist und in der Vernehmlassung mehrheitlich gut angekommen, bilanziert Davatz. «Dass ‹Kaufleute 2022› auf 2023 verschoben wird, ist höchst bedauerlich. Die ganze Reform aber zu kippen, hiesse, den Lernenden, den Betrieben – und der KV-Lehre insgesamt – einen immensen Bärendienst zu erweisen.»En

www.sgv-usam.ch

www.skkab.ch

«Nötig und dringlich»

«Die Vorwürfe an die neue KV-Lehre sind überrissen. Diese vermittelt das, was in der heutigen Arbeitswelt gebraucht wird.» Das sagen Ursula Marti, Präsidentin des Kaufmännischen Verbandes Bern, und Giovanna Battagliero, Präsidentin Wirtschafts- und Kaderschule KV Bern, in einem Gastbeitrag im Berner «Bund». Der Vorwurf, die Reform ziele an den realen Bedürfnissen vorbei, treffe nicht zu. «Die Reform basiert auf einer breit abgestützten Bedarfsabklärung bei den Lehrbetrieben und kaufmännischen Branchen.»En

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