Publiziert am: 10.06.2016

Ein vergessener Wert – die Zeit

TribĂĽne

Wir leben in einer Zeit, die immer schnelllebiger wird, die von uns immer in Kürze Antworten erfordert, die uns wenig Zeit zum Überlegen gibt und in der die Geschäftswelt immer sehr schnell reagieren muss. In dieser Zeit möchte ich Ihnen ein paar Gedanken, verbunden mit der Zeit auf den Weg mitgeben.

Der Gotthardbasistunnel, der längste Eisenbahntunnel der Welt, ist eröffnet. Die Reisezeit in den Tessin wird sich spätestens ab 2020 um 45 Minuten verkürzen und viele von uns freuen sich, dass sie nun für eine Besprechung, einen geschäftlichen Termin oder einfach nur für einen Kurzurlaub etwas weniger Zeit einplanen müssen. Vielleicht eröffnen sich sogar neue Geschäftsfelder, die bis anhin so nicht gepflegt werden konnten.

Der Tessin ist nun einiges näher gerückt. Mit dem Hintergrund der heutigen Globalisierung ist dies zwar für die Schweiz wichtig, aber weltweit keine Sensation. Bei dieser Gelegenheit wird viel über die grossen Gewinner berichtet, angefangen von den Leuten, die schneller im Tessin oder in der Deutschschweiz sind bis hin zu Unternehmen, die ihre Waren schneller vom Norden in den Süden oder umgekehrt transportieren können. Für Unternehmen ist es nun auch attraktiver, im Tessin mitzurechnen und dort neue Angebote zu planen.

Das Jahrhundertbauwerk ist für die Schweiz wichtig. Die vielen Kritiker im Vorfeld sind verstummt und die Diskussionen, ob der Lötschberg- oder der Gotthardtunnel wichtiger sei, gehören der Vergangenheit an. Der Verlagerung des Güterverkehrs auf der Nord-Südroute sind wir, sobald alle Zufahrten gewährleistet sind, wieder einen Schritt näher gekommen. Und was heute am meisten zählt, ist die Zeit, die wir mit dieser neuen Reiseroute gewinnen.

Zeit, die uns im Geschäftsleben oft fehlt. Diese fehlende Zeit lässt uns auch unvorsichtig werden. Unsere Kommunikation erfolgt heute zu einem grossen Teil über den Mailverkehr. Kürzlich legte ein Ausfall des Internets über Swisscom die halbe Schweiz lahm. Es gab keine Nachrichten mehr, die Zahlungen in den Geschäften über die Ec-Accounts waren blockiert und die Menschen verstanden die Welt nicht mehr, warum dies in unserer heutigen Zeit passieren kann. Eine Unvorsichtigkeit, ein Systemfehler, eine Folge unserer heutigen Zeit, wo dies alles einfach selbstverständlich ist. Und was haben Sie mit dieser plötzlich freien Zeit gemacht? Ich habe es geschätzt, wieder mal ohne Unterbruch im Büro zu arbeiten. Aber ich habe mir auch Gedanken gemacht, wo die Sicherheit von uns und unseren Daten in der heutigen Zeit bleibt.

Auch in der politischen Debatte hat sich der zeitliche Rahmen geändert. Gesetze werden heute in kürzerer Zeit erarbeitet; ob es die dann immer braucht, ist eine andere Frage. Vielleicht werden aus Zeitgründen die Hintergründe und die Folgen eines Gesetzes nicht mehr so kritisch hinterfragt, oder betroffene Akteure werden zu wenig in den Prozess miteinbezogen. Anstatt bei einem Gespräch die Vor- und Nachteile auszuloten, werden Umfragen per Mail gemacht und so die unterschiedlichen Meinungen eingeholt. Dabei gehen die persönlichen Kontakte verloren, weil man meint, dass die Zeit dazu fehle.

Die Zeit wird uns immer beschäftigen, weil man mal mehr, mal weniger davon hat. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, wo wir wertvolle Zeit investieren wollen. Dies ist ganz bestimmt die persönliche Ebene. Das persönliche Gespräch im Geschäft mit den Mitarbeitenden aber auch mit Geschäftspartnern darf nicht aus Zeitdruck vernachlässigt werden und kann nie durch eine Mail ersetzt werden. Das Gegenüber ernst nehmen, sich wirklich die Zeit für ein gutes Gespräch nehmen, ist auch in unserer manchmal hektischen Umgebung wichtig. Das Gespräch mit den Mitarbeitenden zeigt jeder Person in der Unternehmung ihren Stellenwert. Wichtige Geschäfte können schnell und effektiv erledigt werden, Unklarheiten werden bei einem Gespräch aus dem Weg geschafft und alle Beteiligten werden dabei ernst genommen. Früher wurde oft ein Geschäft mit einem Handschlag beschlossen. Das lassen die heutigen Gesetze nicht mehr zu, aber das Aushandeln eines Vertrages oder der Abschluss verbunden mit ein paar Worten ist auch heute noch wertvoll.

Auch ohne Internetunterbruch oder ohne Fahrt durch den Gotthardtunnel wĂĽnsche ich Ihnen etwas bewusst gelebte Zeit. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diesen Artikel zu lesen!

 

*Die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler ist seit 9 Jahren im Parlament und seit Beginn in der Sicherheitspolitischen und in der Geschäftsprüfungs-Kommission. Sie ist Präsidentin der LU Couture AG, einem Lernbetrieb für Bekleidungsgestalterinnen, und Präsidentin der Pro Senectute des Kantons Luzern.

Die TribĂĽne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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