Publiziert am: 05.02.2021

Eine einzigartige Erfolgsgeschichte

Industriegeschichte – Das Interview mit Rudolf Velhagen in der Gewerbezeitung vom 22. Januar hat sgz-Leser Roger E. Schärer zu unten stehenden Überlegungen motiviert.

Die Gewerbezeitung spricht mit dem Interview ein spannendes historisches Thema an. Das Interview erinnert an die wichtigen Industriepioniere aus dem Aargau. Gerade in Zeiten der Digitalisierung ist es nötig, die Geschichte, die Innovationskraft und die politische Vernetzung der Industriegeschichte immer wieder auszuleuchten. Zumal gerade mit der aufstrebenden Industrie ab 1820 auch das Gewerbe erfolgreich mitwachsen konnte. Es ist deshalb angebracht, die hervorragenden Leistungen der damaligen Industriepioniere und ihrer Fabriken, Herkunft und Zukunft des Werkplatzes immer wieder in Erinnerung zu rufen.

Auch heute noch beeindruckend

Die Geschichte und Leistungen für unsere Volks- und Aussenwirtschaft beeindrucken auch heute noch. Das lateinische Wort «industria» prägt diesen zweiten Volkswirtschaftssektor nach der Landwirtschaft. Das Wort bedeutet energische Tätigkeit, mit Absicht etwas tun, Vorsatz umsetzen, Gewandtheit, Geschicklichkeit, unermüdlichen Fleiss. Alles Eigenschaften, die Gewerbetreibenden ebenfalls zugeschrieben werden müssen. Diese Qualitäten waren auch die Grundlage für den beeindruckenden Erfolg der schweizerischen Industriepioniere im 19. Jahrhundert. Im Aargau waren es die Strohfabrikanten Walter Boveri,Charles Brown, dessen Gattin Eugenie Pfau aus Winterthur aus der Fabrikantenfamilie der weltberühmten Kachelöfen. In Zürich waren es die Eschers und Wyss, in Winterthur die Familien Rieter, Sulzer und Guyer-Zeller. Diese entwickelten die Schweiz von der Agrar- und Gewerbewirtschaft zur modernen, innovativen Industriegesellschaft, die sehr rasch auch internationale Dimensionen annahm.

Pioniere und Gestalter

Zudem sicherte erst diese Entwicklung des sekundären Sektors auch die Banken und das zudienende Gewerbe. Diese Pioniere sind zugleich Zeitzeugen und Gestalter des Aufbaus unseres Werk-, Finanz- und Denkplatzes mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Ausstrahlung.

Die Zürcher Industriellen um Alfred Escher gründeten die ETH, die der Maschinenindustrie wichtige Produktionsforschungen verschaffte. Die Erkenntnis, dass die Industrie technologisch nicht mit den europäischen Konkurrenten mithalten und konkurrenzfähig sein kann, führte zur Gründung der ETH in Zürich.

Die Winterthurer Industriellen wie Rieter – der auch Ständerat war – und Sulzer sahen sich politischen Kräften ausgesetzt: Deutsche Immigranten und Revolutionäre kämpften hierzulande im gegründeten Grütli-Bund, Vorläufer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, für die Rechte und sozialen Schutz der Arbeiterschaft. Der Manchester Liberalismus, der in England ein verarmtes Proletariat schaffte, entsprach nicht den unternehmerischen und sozialen Werten dieser Industriellen. Sie verbanden ihre industrielle Verantwortung mit der politischen. Sie prägten massgeblich als eidgenössische Parlamentarier den jungen liberalen Bundesstaat im Milizsystem und schufen europaweit führende minimale Sozialstandards für ihre Arbeiterschaft. Sie waren sich im Klaren, dass in der direkten Demokratie jeder Arbeiter seine Stimme hatte und diese die politische Entwicklung mit Mehrheiten in eine andere – sozialistische – Richtung bringen konnten. So schufen diese in Winterthur Arbeitersiedlungen und günstigen Wohnraum, boten Schrebergärten für die Arbeiter­familien an und sorgten für eine minimale Gesundheitsversorgung. Ständerat Rieter gründete die «Winterthurer Unfall», erste europäische Arbeiterversicherung, die bei Unfall, Krankheit und Tod die bisher schutzlose Arbeiterschaft vor Not und Armut schützte.

Grundlage für sozialen Frieden und Wohlstand

Ihre Visionen schufen die Grundlagen für den sozialen Frieden und den Wohlstand unserer Schweiz. Dies in einem rohstoffarmen Land, dem der Co-Autor des «Kommunistischen Manifests», Professor Friedrich Engels, in einer damaligen Vergleichsstudie der europäischen Volkswirtschaften keine «helle wirtschaftliche Zukunft ohne Meeranschluss nur mit Bauern und unproduktiven Bergen» zuschreiben wollte. Die Schweiz war mit ihrem kleinen Binnenmarkt in die folgenden europaweiten Umbrüche eingebettet, und der Strukturwandel hin zu einer Dienstleistungs- und Digitalgesellschaft und der Auslagerungen der industriellen Produktion war eine grosse Herausforderung für das Überleben des Industriestandortes Schweiz.

Mut und Zuversicht

Gerade in den aktuellen herausfordernden Zeiten müssen Werk-, Finanz- und Denkplatz eng zusammenarbeiten. Die Finanzbranche profitiert von einer profitablen Nachhaltigkeits- und Umwelttechnologie. Nur ein erfolgreicher wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort wird auch ein erfolgreiches Gewerbe sichern.

Für uns alle, die unser Wirtschaftsleben in einer digitalisierten Gesellschaft prägen, gilt: Die Zukunft bringt uns nicht einfach, was sie uns bringt, sondern was wir aus ihr machen. Unsere Herkunft hat gezeigt, dass es immer wieder schwierige Zeiten zu überwinden galt. Das sollte uns Mut und Zuversicht und den Glauben an die Zukunft möglich machen.

Roger E. Schärer

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