Publiziert am: 12.08.2016

Eine Hand fordert, die andere bremst

KLIMASCHUTZ Versus DENKMALSCHUTZ – Die Denkmalpflege verhindert, was die Energiepolitik fordert: Statt koordiniert, handeln Ämter oft widersprüchlich. Im Auge des Regulierungssturms: Machtlose Hausbesitzer. Ein Beispiel aus dem Kanton Zürich.

Das ehemalige Gasthaus Adler in Bassersdorf (ZH) hat seinen Glanz aus vergan­genen Zeiten längst verloren. Im Jahr 2016 ist es ein baufälliges Mehrfamilienhaus. Die viel befahrene Winterthurerstrasse, eine Kantonsstrasse, verursacht viel Lärm. Noch schlimmer ist der Fluglärm: Er lässt Pflanzen und Scheiben erzittern. Der Boden knarrzt und die Fenster sind alt, unhandlich und vor allem eines: Energie­schleudern.

Unterirdische Energiebilanz

Der Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK, s. sgz vom 10. Juni 2016) bietet sich als gutes Instrument an, um die Energieeffizienz zu messen und das Potenzial des Gebäudes auszuloten. «Schön wär’s», sagt Hans Isler dazu. Ihm gehört der ehemalige Gasthof Adler. Gerne würde er seinen Mietern etwas mehr Komfort, statt Lärm und Energieverschwendung bieten.

Der GEAK für das Mehrfamilienhaus von Malermeister Hans Isler kam mit einem tiefroten G daher. Schlechter geht’s nicht. Darin heisst es unter anderem: «Der Fensterersatz ist dringend erforderlich und wirtschaftlich. Unterhaltsmassnahmen sind nicht mehr sinnvoll.» Einzige Lösung: Fenster ersetzen. Bestätigt in diesem Ansinnen fühlt sich Isler im Mai 2015, als ihm ein Brief, unterzeichnet von Regierungsrat und Baudirektor Markus Kägi, in den Briefkasten flattert. Darin heisst es: «Sparen Sie mit einer richtig geplanten Modernisierung Ihres Hauses viel Geld und steigern Sie gleichzeitig die Wohnqualität sowie den Wert der Liegenschaft.» Der Kanton will also Energie sparen. «Das tönt wie eine Aufforderung», sagt Isler, «andererseits ist es genau das, was ich will.» Doch Isler hat die Rechnung ohne den Denkmalschutz gemacht. Der Ersatz sei «nicht bewilligungsfähig», sagt dieser.

Verfügungen und «Trötzele»

Die Fenster an Islers Haus sehen überall etwas anders aus. Dies, weil einige davon vor 130 Jahren erneuert wurden, andere vor 50 Jahren. Die Uneinheitlichkeit zieht sich weiter mit den Vorfenstern, die zwar etwas mehr Schutz vor Lärm bieten, dafür können die Fensterläden nicht mehr zugemacht werden, womit der Sonnenschutz entfällt. Schon seit über zwei Jahren kämpft Isler nun für den Ersatz der baufälligen Fenster, doch bei «seiner» – deutschstämmigen und «etwas gar selbstbewussten» – Denkmalpflegerin beisst er auf Granit. In einer Stellungnahme spricht die Denk­mal­pflegerin von Kompromiss, was Isler ganz besonders enerviert. «Hierzulande werden Kompromisse verhandelt und nicht verfügt!», antwortete Isler – und hatte umgehend ihren Chef am Telefon. «So schnell hat die Denkmalpflege sonst nie auf meine Anliegen reagiert», meint Isler vielsagend. Dennoch wurde die Denk­mal­pflegerin ungeachtet der verhärteten Fronten nicht aus dem «Fall» abgezogen.

Was Isler stutzig macht: Bei anderen, sich im Besitz der Gemeinde befindenden Gebäuden, die ebenfalls Schutzobjekte darstellen, durften die Fenster saniert werden. Darunter die Kirche, das ehemalige Pfarrhaus und ein Schulhaus. Daran stört sich Isler nicht. Aber er verstehe nicht, weshalb er seine Mieter nicht vor Lärm schützen dürfe. Zumal offiziell bestätigt ist, dass der Lärmemissionsgrenzwert an der Kantonsstrasse überschritten wird und der Kanton hier gezwungen wäre, zu handeln.

«Was man andernorts bewundert, verbietet man mir.»

Als Handwerker vertraut Isler auf das Know-how des Fachmanns, in seinem Fall der Fensterbauer. Dieser bestätigte ihm gegenüber, dass neue Fenster mit der gleichen Optik absolut machbar wären. «Was man andernorts bewundert, verbietet man mir», sagt Isler mit Blick auf die vielen Artikel über Schutzobjekte, die mit zeitgemässem Komfort ausgestattet wurden, wie beispielsweise das Haus zur Lerche im Zürcher Oberdorf. Solche Aufrüstungen würden gemeinhin als Kraftakt und Pionierleistung gepriesen, alle Beteiligten sonnten sich im Ruhm.

«Ich bin doch kein Museum!»

Hans Isler will keinen Ruhm – bloss zeitgemässe Fenster. «Als Maler möchte ich helfen, das Ganze frischer zu gestalten», sagt er, während er in der Eingangshalle steht. Es ist dunkel, das Haus wirkt marode, und es riecht nach vorletztem Jahrhundert. «Ich bin doch kein Museum!», entfährt es Isler. Dass er die Frist bis Ende Jahr noch einhalten kann, um Beiträge für die Steigerung der Energieeffizienz zu erhalten, daran glaubt Isler nicht mehr. Zu stur zeigt sich die Denkmalpflegerin. «Wo sind wir denn, wenn ich einen Anwalt brauche, nur um Fenster einbauen zu können?», fragt er nachdenklich. Von der zuständigen Stelle ist er schwer enttäuscht. Dabei zeigte sich Isler durchaus kompromissbereit: «Schliesslich will ich ja keine roten Fenster einbauen.» Konstruktive, praktische Lösungsvorschläge seitens der Denkmalpflege seien stets ausgeblieben. Stattdessen werden Isler Steine in den Weg gelegt. Die Bewunderung für die alten Fenster versteht er nicht. «Die beachtet doch niemand, der hier vorbeiläuft. Es hat auch noch nie jemand gesagt ‹Wow, hier will ich wohnen, die Fenster sehen toll aus.›» Die Denkmalpflegerin befehle in fremdem Eigentum. «Sie haben halt solche Sachen studiert, wir Normalbürger haben nur den gesunden Menschenverstand.» Für ihn seien Theorie und Praxis aber zwei Paar Schuhe.

Hoher Preis für Sturheit?

Fakt ist: Die Energiewende macht auch vor Schutzobjekten keinen Halt. Hans Isler kümmert sich, wie zuvor schon sein Vater und sein Grossvater, um das ehemalige Gasthaus. Dankbar ist ihm niemand dafür. Aber es käme einer Ohrfeige für die Denkmalpflege gleich, würde sie ein weiteres Objekt wegen ihrer Sturheit verlieren. Es sind einige Fälle bekannt, wo Schweizer Hausbesitzer ihre Schutzobjekte zugrunde gehen lies­sen. Hans Isler schliesst diese Option auch nicht mehr aus: «Wenn ich nichts machen darf, werde ich das Haus verlottern und es alle wissen lassen.»

Adrian Uhlmann

WIDERSPRÜCHE IM GESETZ

Viel brachliegendes Potenzial

Regulierung ist widersprüchlich: Auf der einen Seite verfügt die Schweiz über das ambitiöseste Klimagesetz der Welt – und auf der anderen Seite verfehlt sie ihre Klimaziele. Mit ein Grund: Alle Potenziale des Gebäudeparks liegen brach. Dies, weil die Regulierung es erheblich erschwert, die Gebäude zu sanieren. Es ist dabei nicht eine spezifische Regel, die das Ganze bremst; es sind deren viele. Der Denkmalschutz ist dabei nur ein Beispiel. Andere sind die Baunormen, die Einspracheverfahren oder die Steuergesetzgebung. Die Frage sei deshalb erlaubt: Was nützt es, das strengste Klimagesetz der Welt zu haben, wenn gleichzeitig andere Regulierungen seine Umsetzung verunmöglichen?

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv 
und Ressortleiter Energie

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