Publiziert am: 04.06.2021

Endlich Zug im Kamin

REGULIERUNGSKOSTEN – Werden die Kosten für die Regulierung gesenkt, wirkt sich dies für die KMU als Wachstumsprogramm aus. Nun kommt das Projekt «Regulierungskostenbremse» in Fahrt.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Getränkehändler. Mit einem Lift transportieren Sie Kisten voller Flaschen auf Paletten in Ihrem Lager vom Parterre in den dritten Stock. Ihr Lift ist in all den Jahren noch nie steckengeblieben. Dennoch verbietet eines schönen Tages ein Kontrolleur Ihnen und Ihren Angestellten, in diesem Lift mit den Paletten mitzufahren. Vorschrift ist Vorschrift – die Ware fährt, der Mensch muss laufen, rauf und runter, immer wieder …

Anderes Beispiel gefällig? Stellen Sie sich vor, Ihre Firma baut ein neues Gebäude. Handläufe im Treppenhaus gehören zum Standard. Probleme damit gibt es nie. Bis wenige Jahre später eines Tages ein Kontrolleur erscheint und Ihnen erklärt, die Handläufe entsprächen nicht mehr der Norm und müssten dringend höher gesetzt werden. Grund: Die Menschen würden grösser …

Solche und ähnliche Beispiele unsinniger Regulierung können Unternehmer zur Verzweiflung treiben. Und sie kommen immer wieder vor.

70 Milliarden – Jahr für Jahr

Während gewisse Regulierungen «bloss» Nerven kosten, gehen andere ins Geld. Und wir sprechen hier von sehr viel Geld. Geld, das den Unternehmen fehlt, um es in neue Produkte, modernere Abläufe, bessere Methoden zu stecken. Geld, das ihnen fehlt im Kampf um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit.

Im Auftrag des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv haben die Bertelsmann-Stiftung und KPMG Deutschland unter der Leitung der Universität St. Gallen im Jahr 2010 die Regulierungskosten in der Schweiz ermittelt. Erschreckendes Fazit: 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts gehen jährlich durch Regulierung verloren. Nach heutigem Stand entspricht dies einer Summe von 70 Milliarden Franken, die Jahr für Jahr ausgegeben wird, um Regulierungen zu handhaben. Enorm viel Geld – und Mittel, die den Unternehmen fehlen. Kosten, die sie nicht selber beeinflussen können. Allzu oft: verlorenes Geld.

Die Regulierungskostenbremse

Mittels einer Resolution hatte der Schweizerische Gewerbekongress schon 2010 gefordert, dass diese Regulierungskosten verringert werden müssten. Zahlreiche Motionen im Parlament zielten in die gleiche Richtung. Doch der damalige Bundesrat Johann Schneider-Ammann schien sich kaum für das Thema zu interessieren. Anders der heutige Wirtschaftsminister: Unter Bundespräsident Guy Parmelin kommt endlich Zug in den Kamin. Ende April hat der Bundesrat die Vernehmlassungen zu einem Unternehmensentlastungsgesetz und zur Einführung einer Regulierungsbremse eröffnet. Er erfüllt damit einen Auftrag des Parlaments, den ihm dieses im Frühling 2019 erteilt hatte. Die vom sgv konzipierte und von den bürgerlichen Parteien lancierte Regulierungskostenbremse unterstellt Vorlagen, die besonders hohe Regulierungskosten auslösen oder mehr als 10 000 Unternehmen betreffen, dem qualitativen Mehr im Parlament.

Unabhängige Messung fehlt noch

«Heute geht es darum, die Entlastung der Wirtschaft ganz konkret umzusetzen», sagt sgv-Präsident Fabio Regazzi im Interview mit der Gewerbezeitung (vgl. S. 2). «Die nötigen Mittel dazu haben wir in der Hand. Bundesrat und Parlament müssen sie nun einsetzen. Nach der grössten Krise der vergangenen 50 Jahre sind sie dies der Schweiz und ihren Unternehmen – insbesondere den KMU – schuldig.»

«Es geht auch darum, den Sonntagsreden rund um die KMU Taten folgen zu lassen», sagt sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler. Und erinnert an die noch hängige sgv-Forderung, wonach die Messung der Regulierungskosten von einer unabhän­gigen, verwaltungsexternen Messstelle überprüft werden muss.En

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