Publiziert am: 22.11.2019

«Entlassungsrente» vermeiden

Überbrückungsleistung – Der Bundesrat will stellenlose Arbeitnehmende ab 58 Jahren besser absichern. Der Schweizerische Gewerbeverband unterstützt diese Stossrichtung, verlangt aber, dass die Leistungen erst ab 62 Jahren bezogen werden können. Ansonsten drohen Fehlanreize.

In den vergangenen Jahren sind ältere Arbeitsuchende und ihre Bemühungen, eine neue Stelle zu finden, immer stärker in den Fokus der Diskussion gerückt. So schlecht ist die Situation allerdings nicht. 2018 war die Erwerbslosenquote der 55- bis 64-Jährigen tiefer (3,9 Prozent) als der Durchschnitt aller Altersklassen (4,7 Prozent), die Aussteuerungen eingerechnet. Dasselbe Bild zeigt sich bei den Sozialhilfequoten. 55- bis 64-Jährige müssen prozentual weniger oft aufs Arbeits- und Sozialamt.

Tatsache ist: Seit Beginn der OECD-Datenreihe 1991 waren noch nie mehr ältere Personen in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert als heute. So ist die Partizipationsrate der 55- bis 64-Jährigen von 64 auf 75 Prozent gestiegen. Damit liegt die Schweiz 11 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt und 14 über dem EU-Durchschnitt.

Tatsache ist auch: Inhaberinnen und Inhaber von KMU sind verantwortungsvolle Arbeitgeber – gerade auch gegenüber älteren Arbeit­nehmenden. Während das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden bei den industriellen KMU um die 50 Jahre liegt, beträgt es bei den industriellen Grossunternehmen 47 Jahre. Ein ähnliches Verhältnis herrscht bei den Dienstleistungen.

Neue Chancen dank Stellen­meldepflicht

Verliert jemand im Alter von 55 und mehr Jahren die Stelle, hat er oder sie im Durchschnitt länger, bis er auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuss fassen kann. Für den Schweizerischen Gewerbeverband sgv stehen deshalb der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit und die permanente Weiterbildung im Vordergrund.

Weil die Babyboomer in Pension gehen, werden bis ca. 2030 mehr Arbeitskräfte den Arbeitsmarkt verlassen, als neu dazukommen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber investieren deshalb – schon nur im eigenen Interesse – in die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden. Mit der seit dem 1. Juli 2018 geltenden Stellenmeldepflicht werden die Chancen von Arbeitssuchenden denn auch höher. Der am 1. November 2019 erstmals publizierte Monitoringbericht des SECO hält fest, dass die Anzahl gemeldeter Stellen unmittelbar nach Inkrafttreten der Stellenmeldepflicht markant zugenommen hat.

Überbrückungsleistung: So soll sie aussehen

Trotz dieser Ausgangslage will der Bundesrat nun hier aktiv werden. Um die Lage der älteren Arbeitnehmenden abzufedern, soll mit gezielten Massnahmen die Integration in den Arbeitsmarkt gefördert werden. Mit dem Bundesgesetz über Überbrückungsleistung (ÜL) will die Regierung die Situation von älteren, ausgesteuerten Arbeitslosen verbessern. Nach dem Erlöschen des Anspruchs auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung soll eine ausgesteuerte Person ab 60 Jahren ÜL beziehen können. Ziel ist, die Zeit zwischen Aussteuerung und Pensionierung überbrücken zu können. Die finanziellen Folgen dürften bis 2030 auf ca. 230 Millionen Franken jährlich zu stehen kommen. Gerechnet wird mit etwa 4400 Bezugsberechtigten.

Es braucht mehr Anreize, dass Erwerbstätige länger im Arbeitsmarkt bleiben und Ältere schneller wieder eine Stelle finden. Der Vorschlag des Bundesrats beinhaltet auch Massnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt (Standortbestimmung, Potenzialanalyse und Laufbahnberatung für über 40-Jährige u.a.m.). Diese werden vom sgv unterstützt – unter der Voraussetzung, dass sie für die Arbeitgeberin bzw. für den Arbeitgeber kostenneutral sind. Eine Erhöhung und Flexibilisierung des Rentenalters oder eine Angleichung der nach Alter abgestuften Pensionskassenbeiträge wären weitere hilfreiche Massnahmen.

Fehlanreize vermeiden

Die ÜL kann aber auch zu unerwünschten Fehlanreizen führen, indem die soziale Abfederung für stellensuchende Personen im Alter von 58 Jahren gesichert wird. Die Motivation, eine neue Stelle zu suchen, könnte dadurch geschmälert werden. Um eine «Entlassungsrente» zu vermeiden und in Anbetracht der potenziellen Fehlanreize fordert der sgv, dass der Kreis der bezugsberechtigten Personen enger gefasst wird. Die ÜL soll erst ab 62 Jahren bezogen werden können. Leistungsbezügerinnen und Leistungsbezüger sind zudem zu verpflichten, sich auch weiterhin aktiv um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Sie müssen beim RAV weiterhin angemeldet bleiben.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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