Publiziert am: 21.09.2018

Es braucht mehr Zivilcourage in Wirtschaft und Politik

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

Am Anfang ist das Papier – und das Papier ist leer. Mit welchen Worten soll ich das Papier dieser Kolumne füllen? Also ich könnte beispielsweise die ausufernde Bürokratie anprangern. Oder die Formular- und Papierflut, die jeden Baum und manchen Unternehmer in akute Existenzangst versetzt. Ich könnte. Falsch wäre es nicht. Und in einer Zeitung, die von Zehntausenden von Unternehmerinnen und Unternehmern gelesen wird, wäre es gewiss ein sicherer Wert. Aber ich tue es nicht. Stattdessen sage ich: Wehren Sie sich! Reden Sie öffentlich über Missstände!

Ganz so einfach ist das freilich nicht. Denn wer öffentlich mit dem Finger auf wunde Punkte zeigt, exponiert sich auch, macht sich angreifbar. Deshalb braucht es Mut, öffentlich für seine Überzeugungen einzustehen – oder anders gesagt: Es braucht «Zivilcourage». Ich weiss: Dieser Begriff wird heute fast inflationär verwendet. Dabei ist «Zivilcourage» in der ursprünglichen Bedeutung heute wichtiger denn je. Der Begriff wurde 1835 erstmals in Frankreich als «Mut des Einzelnen zum eigenen Urteil» beschrieben.

Für mich bedeutet Zivilcourage: «Aus staatsbürgerlicher Verantwortung mutig vorangehen». Sich einsetzen für die eigenen Werte und die Werte anderer. Dies sollte im Zentrum von allen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Engagements stehen. Und deshalb fordere ich uns alle dazu auf, mit Mut und Selbstbewusstsein für die Werte und Bedürfnisse der Wirtschaft einzustehen. Es ändert sich nichts, wenn wir schweigend die Faust im Sack machen. Wir müssen das Problem beim Namen nennen – sei es eine sinnlose Verordnungsbestimmung, eine Abstimmungs­vorlage, die uns teuer zu stehen kommt, oder ein bürokratischer Gesetzesvollzug.

Die Stimme von Unternehmerinnen und Unternehmern fehlt in der Öffentlichkeit zunehmend. Ich weiss, allein schon das Tagesgeschäft ist eine grosse Heraus­forderung. Trotzdem braucht es wieder mehr Patrons und Patronnes, die auch ausserhalb ihres Betriebs eine zivilgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Die hinstehen und für eine unternehmerfreundliche Politik einstehen.

«Die Stimme der Unternehmen 
muss in der Öffentlichkeit 
wiEder gehört werden.»
 Marcel Schweizer*

Wenn wir Unternehmerinnen und Unternehmer wollen, dass eine wirtschafts­freundlichere Politik gemacht wird, müssen wir das Heft couragiert selber in die Hand nehmen. Die Wirtschaft braucht unternehmerisches Praxiswissen. Unter­nehmer und Politiker zu sein, ist kein Sonntagsspaziergang. Ich weiss das aus eigener Erfahrung. Neben der hohen Arbeitsauslastung gibt es oft auch Bedenken, dass nicht alle Kundinnen und Kunden ein politisches Engagement gleichermassen schätzen könnten. Meine Erfahrung ist jedoch, dass es kaum negative Rückmeldungen gibt – im Gegenteil. Warum auch? Ich pflege ja die Gärten meiner Kundschaft und fülle nicht ihre Abstimmungszettel aus.

Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer nicht nur gegenüber ihren Mitarbeitenden eine Vorbildfunktion über­nehmen, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit, dann wäre das ein grosser Gewinn. Für die Wirtschaft und letztendlich für die gesamte Bevölkerung.

Aber es braucht auch von den Politikerinnen und Politikern, die sich Wirtschaftsfreundlichkeit ins Stammbuch geschrieben haben, mehr «Zivilcourage». Das zeigt sich nicht zuletzt in Bundesbern. Obwohl allein schon FDP und SVP im 
Nationalrat eine Mehrheit hätten, sind einige Vorlagen aus wirtschaftsliberaler Sicht haarsträubend. Nehmen Sie das Beispiel der Altersreform 2020. Dort ist es der politischen Linken gelungen, das ursprüngliche Ziel der Reform in sein Gegenteil zu verdrehen. Statt zu sanieren, wäre die 1. Säule ausgebaut worden. Die SP hat der CVP erfolgreich ihre Ideologie aufgezwungen und durchgedrückt; dem Volk wurde das als Kompromiss verkauft. Es war kein Kompromiss, sondern ein Diktat. Die Bevölkerung hat das durchschaut und die Vorlage bachab geschickt. Es scheint, als hätten die bürgerlichen Politikerinnen und Politiker kein Vertrauen in die Überzeugungskraft ihrer eigenen Ideen und Werte. Als hätten sie Angst vor dem Votum der Stimmbevölkerung. Und so schluckt man eine wirtschaftsfeindliche Kröte nach der 
anderen. Die Staatsquote wächst und wächst, und die staatliche Umverteilungsmaschinerie brummt lauter und lauter. Das kann es nicht sein.

Stehen wir also alle mutig und selbstbewusst für unsere unternehmerischen Werte ein. Und strafen wir Karl-Heinz Karius Lügen, der sagte: «Zivilcourage tritt relativ selten auf. Das liegt daran, dass sie nicht ansteckend ist.»

*Marcel Schweizer ist Präsident des Gewerbeverbandes Basel-Stadt und Inhaber eines Gartenbau-Unternehmens.

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