Publiziert am: 08.07.2016

«Es geht immer nur um wenig mehr»

Volksinitiative AHVplus – Eine Erhöhung der Lohnnebenkosten ist für die meisten Betriebe – vor allem im Gastgewerbe und in der MEM-Branche – nicht tragbar. Sie kann einige KMU sogar vor existenzielle Probleme stellen.

Abgaben, Steuern, Regulierungen und nicht zuletzt der starke Franken belasten die KMU-Wirtschaft arg. Doch nun droht schon der nächste finanzielle Hammerschlag: die AHVplus-Initiative der Gewerkschaften, die zehn Prozent höhere Renten für alle fordert. «Mit der Initiative würde die durchschnittliche Rente für Alleinstehende um 200 Franken im Monat erhöht, für Ehepaare um 350 Franken. Kosten würde dies zurzeit gut vier Milliarden Franken im Jahr – und bis 2030 sogar 5,5 Milliarden Franken», erklärt Kurt Gfeller, Vizedirektor des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv sowie Verantwortlicher für die Sozialpolitik. Und er folgert: «Damit stünde die AHV bis 2030 mit 13 Milliarden Franken in der Kreide.» Die Folge der Initiative,

«EIN ODER ZWEI LOHNPROZENT SIND ANGESICHTS DER MOMENTANEN LAGE EXISTENZIELL FÜR UNS.»
Josef Madlener, Madlener Apparatebau AG, Dietikon

kombiniert mit den Massnahmen in der Revision Altersvorsoge 2020, wäre eine massive Erhöhung bei den Lohnnebenkosten. «Mit der Altersreform 2020 ist aktuell vom Ständerat vorgesehen, dass zusätzlich 70 Franken AHV über 0,3 Prozent Lohnabzüge finanziert würden. Zusammen beschert das den Betrieben bis 1,5 Prozent höhere Lohnkosten», rechnet Gfeller vor. Dass man angesichts der finanziellen Probleme, vor denen die AHV steht, überhaupt auf die Idee kommen kann, ihren Ausbau zu fordern – dafür zeigt der sgv null Verständnis: «Derartige Kostenschübe sind für die Schweizer KMU-Wirtschaft nicht mehr verkraftbar und unverantwortlich», bringt es Nationalrat und sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler auf den Punkt.

«Durch die initiative würde die wettbewerbsfähigkeit des Gastgewerbes weiter massiv geschwächt.»
Casimir Platzer, Präsident Gastro­Suisse


Keine Lohnerhöhungen mehr

Die völlig quer in der Landschaft stehende Initiative löst in der KMU-Wirtschaft denn auch – durch sämtliche Branchen hindurch – einen Aufschrei der Entrüstung aus. Gerade Gewerbe- und Industriebetriebe würden mit dieser zusätzlichen finanziellen Belastung besonders hart getroffen. «Die Initiative vergrössert die Probleme der AHV weiter und zielt genau in die falsche Richtung», sagt Marcel Egger, Geschäftsinhaber von 1 2 Business Innovationen.

«Handwerkliche Betriebe werden das schlichtweg nicht stemmen können.»
Hans Jürg Domenig, Geschäftsführer Ansatz Werbung GmbH, Bad Zurzach

Der Luzerner Unternehmer ist überzeugt, dass die Kosten ein riesiges Loch in die Bundeskasse reissen und den Faktor Arbeit speziell für die personalintensiven Betriebe weiter verteuern und damit deren Wettbewerbsposition im internationalen Umfeld verschlechtern würden. «Für Kunden meines Beratungsunternehmens würde die Annahme der Initiative klar eine Erhöhung der Lohnkosten bedeuten», so Egger. «Wir KMU werden sonst schon genug gebeutelt, da erträgt es eine zusätzliche Lohnkostenerhöhung von rund 1,5 Prozent nicht – Investitionsstopps und beschleunigter Export der Arbeitsplätze wären die Folge.»


Auch Hans Jürg Domenig, Geschäftsführer der Ansatz Werbung GmbH im aargauische Bad Zurzach, sorgt sich wegen der schädlichen AHVplus-Initiative: «Unser Unternehmen ist ein klassischer Handwerksbetrieb, bei dem die Lohnkosten mit 60 bis 70 Prozent am Gesamtbudget hoch sind. Handwerkliche Betriebe werden das schlicht nicht stemmen können. Ihr jährlicher Gewinn beträgt heute schon im Durchschnitt nicht mehr als zwei bis drei Prozent», so Domenig. Wenn dieser Minimalgewinn durch solche Zusatzkosten weggefressen werde, bleibe den Unternehmen nichts anderes übrig, als die seit der Aufhebung des Euro-

«in der jetzigen situation den kmu in der mem-branche höhere lohnkosten aufzubürden, ist verantwortungslos.»
Oliver MĂĽller, Direktor Swissmechanic

Mindestkurses eingeführten Spar- und Effizienzsteigerungsmassnahmen nochmals zu verstärken oder auszudehnen. «Konkret werden die Unternehmen die Zusatz­kosten beispielsweise mit längeren Arbeitszeiten oder mit dem Hinauszögern von Lohnerhöhungen kompensieren müssen. Neben den Unternehmen zahlen damit die Mitarbeitenden für die unsinnigen Vorstellungen der AHVplus-Initianten», sagt Domenig weiter.


Gastgewerbe zahlt 1,875 Milliarden Franken AHV pro Jahr

Mit Händen und Füssen wehren sich auch das Gastgewerbe und die Hotellerie sowie die Tourismusbranche gegen diese unbedachte Initiative. Gemäss Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, würde damit die Wettbewerbsfähigkeit des Gastgewerbes weiter geschwächt. «Schaut man auf die Konkurrenz im benachbarten Ausland, dann entfallen bei einem deutschen Gastgeber 30 Prozent des Umsatzes auf die Personalkosten. Bei uns sind es 50 Prozent. Jede weitere Teuerung gefährdet die Betriebe und schliesslich die Arbeitsplätze.» Von 100 Franken eingenommenem Umsatz müssten im Durchschnitt 50 Franken für Personalkosten aufgewendet werden. 10,25 Prozent der 50 Franken Lohn fordere die AHV-Kasse als Beiträge.

«uns fehlt dann dieses geld einfach in der kasse, um neue investitionen zu tätigen.»
Kurt Baumgartner, Belvédère Hotels Scuol

«Wir geben insgesamt 12,25 Franken für die AHV aus», gibt Platzer Einblick in die Kassenbücher der Gastronomen. Jährlich zahlten die gastgewerblichen Betriebe eine Gesamtlohnsumme von rund 15 Milliarden Franken. 10,25 Prozent davon würden als AHV-Beiträge abgeführt. «Das Gastgewerbe zahlt rund 1,875 Milliarden Franken AHV pro Jahr», sagt Platzer.


Ein Lied davon singen kann auch Kurt Baumgartner. Der Eigentümer der Belvédère Hotels Scuol beschäftigt in seinen drei Hotels 150 Mitarbeitende. Pro Jahr werden in seinen Hotels rund 70 000 Logiernächte verbucht. «Bei uns fällt die Erhöhung der Personalkosten durch die vielen Mitarbeiter mehr ins Gewicht als bei anderen Wirtschaftszweigen. Mit der Annahme der Volksinitiative AHVplus würden die Lohnkosten markant ansteigen», bestätigt Baumgartner. Diese fehlenden Einkünfte könne er – gerade im umkämpften Tourismusmarkt mit den Nachbarländern – unmöglich über höhere Zimmerpreise auf den Gast abwälzen. «Uns fehlt dieses Geld dann einfach in der Kasse, um neue Investitionen zu tätigen und die Hotels stetig neu den Gästebedürfnissen anzupassen, damit wir langfristig den Erfolg haben und die Arbeitsplätze für unsere teils langjährigen und einheimischen Mitarbeiter sichern können», betont der Engadiner Hotelier.

«bei einer genauen betrachtung kommt diese initiative einem keulenschlag gleich.»
Daniela SegmĂĽller, Carlton ZĂĽrich AG

In dieselbe Kerbe schlägt auch Daniela Segmüller, die Inhaberin der Carlton Zürich AG. Sie betreibt fünf ­Restaurants in der Stadt Zürich. Die schleichende Teuerung sei allgegenwärtig und der Aufwand vor allem bei Gesetzgebungen, Verordnungen, Sicherheitsaspekten und Auflagen zu einer enormen Belastung geworden. «Wir können damit umgehen. Wir müssen zwangsläufig immer neue Wege suchen, diese abzuwälzen, damit wir prosperieren, investieren und uns am Markt behaupten können.» In dieser Situation empfindet die engagierte Gastronomin die Initiative AHVplus als Keulenschlag: «Eine Lohnkostenerhöhung von 1,5 Prozent kommt in unserem Unternehmen einer Mehrbelastung von 120 000 Franken gleich», hält Segmüller fest. Zwangsläufig komme die Frage auf, wie sie die Löhne der Mitarbeiter zahlen soll. «Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Grundlöhne anzupassen beziehungsweise die Mindestlöhne, weniger Bonus, weniger Ausbildung und weniger Benefits. Die Betriebe können die steigenden Kosten nicht tragen und eine Kostenüberwälzung auf den Kunden ist ausgeschlossen», sagt Segmüller.


Die Kosten sind 
bis zum Anschlag optimiert

Die Betriebe der exportorientierten MEM-Branche wären von einer Erhöhung der Lohnkosten besonders stark getroffen. «Der starke Franken setzt die Mehrheit unserer rund 1400 Mitgliedsunternehmen massiv unter Druck. Die Margen sinken stetig und die Kosten sind bis zum Anschlag optimiert», sagt Oliver Müller, Direktor Swissmechanic. In dieser Situation den KMU in der MEM-Branche höhere Lohnkosten aufzubürden, sei schlicht verantwortungslos.


Ein Direktbetroffener ist Josef Madlener. Er beschäftigt in seiner Firma Madlener Apparatebau AG im Limmattal 11 Mitarbeiter inklusive eines Lernenden. «In unserer Branche findet momentan schleichend ein Stellenabbau sowie eine Auslagerung der Produktion statt. Die Lohnkosten sind dabei das grösste Problem», schildert Madlener die aktuelle Situation in den MEM-Betrieben. «Momentan operieren wir mit einer Marge von ein bis drei Prozent. Damit können wir langfristig unsere sehr kostenintensive Infrastruktur nicht auf dem neusten Stand halten, was unmittelbar zum Stellenabbau führt», so Madlener. Angesichts der momentanen Lage seien für seinen Betrieb ein oder zwei Lohnprozente existenziell. «Es geht immer nur um ein wenig mehr, aber wie heisst es so schön: ‹Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht›.»

«wir kmu werden schon genug gebeutelt, da erträgt es eine lohnkostenerhöhung von rund 1,5 prozent nicht.»
Marcel Egger, 1 2 Business Innovationen, Luzern

Die AHVplus-Initiative ist also auch unsozial, weil eine pauschale Erhöhung aller Renten um zehn Prozent die ­Altersrenten noch ungleicher verteilt. Zudem steht auch in der Schweiz die Alterspyramide kopf: Auf immer mehr Renten kommen immer weniger Werktätige, die Beiträge einzahlen. Deshalb muss dringend auf der Ausgabenseite eingespart werden. Erhöhungen der Ausgaben, wie sie die Initiative fordert, sind deshalb der völlig falsche Weg.

Corinne Remund

 

Nein zuR Initiative AHVplus

Breite Allianz fĂĽr ein NEIN

«Weil wir unsere Altersvorsorge langfristig auf ein solides Fundament stellen müssen, statt mit der Giesskanne Geld zu verschleudern»: Unter diesem Motto setzt sich eine breite Allianz für ein NEIN zur AHV-Initiative am 25. September ein. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative klar ab. Der Nationalrat hat die Initiative mit 139 zu 53 Stimmen verworfen, im Ständert lag das Verhältnis bei 33 zu 9 Stimmen. FDP, SVP, CVP, glp, BDP, EVP und all ihre Jungparteien lehnen die Initiative ebenso ab. Nebst dem Schweizerischen Gewerbeverband sgv sprechen sich auch der Arbeitgeberverband, economiesuisse, der Schweizer Bauernverband sowie der Schweizerische Verband für Seniorenfragen gegen die Initiative aus. CR

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