Publiziert am: 19.01.2018

«Es geht um den Arbeitsplatz»

ReINTEGRATION – Psychisch erkrankte Personen werden oft aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen und invalidisiert. Eine Befragung von Psychiatern zeigt: Es hapert bei der Kommunikation.

Schweizer Psychiatern kommt eine zentrale Rolle zu, wenn Menschen mit psychischen Problemen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Obwohl sie die Alltagsprobleme der Patienten sehr gut kennen, fehlt es oft an Kenntnissen zu deren Tätigkeiten in der Arbeitswelt. Dies zeigt eine Studie, die von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Psychiatrie Baselland erarbeitet wurde.

Die grosse Kluft zwischen Praxis und Theorie

Immer mehr Menschen in der Schweiz sind aus psychischen Gründen arbeitsunfähig. «Seien wir ehrlich: Längere Arbeitsunfähigkeit ist oft der erste Schritt zur Kündigung», sagt Corinne Zbären, Stv. Leiterin Geschäftsfeld Invalidenversicherung. Trotzdem werden viele Menschen pauschal zu hundert Prozent krankgeschrieben. Und dies über längere Zeit, was die Reintegration in den Arbeitsmarkt nachweislich beeinträchtigt. Aus der Studie werde ein Widerspruch ersichtlich, meint Zbären. Es sei bekannt, dass man Patienten nicht «bis auf weiteres» krankschreiben sollte. Doch stünden die Ärzte auch unter Druck. Stellt sich die Frage, woher dieser kommt. «Sitzt er einer psychisch leidenden Person gegenüber, fällt die Entscheidung in der Realität laut Befragung oftmals anders aus als sie in der Theorie vom gleichen Arzt beschrieben wird.» Beim KMU mit fünf Mitarbeitern sinkt die Geduld, wenn plötzlich ein Fünftel der Arbeitskraft auf unbestimmte Zeit ausfällt. «Hier ist Kommunikation gefragt», ortet Zbären eines der Probleme. Auch flexible Arbeitszeiten könnten helfen. Was laut Zbären zudem oft vergessen geht: «Erfolgreiche Reintegration heisst nicht zwingend, dass die Person im genau gleichen Pensum an den genau gleichen Arbeitsplatz zurückkehrt.»

«Erfolgreiche Inte­gration heisst nicht, dass die Person an den gleichen Arbeitsplatz zurückkehrt.»

Ihr seien Fälle bekannt, da habe der Arzt die genaue Tätigkeit des Patienten gar nicht gekannt, erzählt Zbären. Dabei ist die Arbeit eine der wichtigsten Säulen im Leben. Sie gibt Struktur in den Alltag und ist auch für soziale Kontakte wichtig. Arbeitgeber und Ärzte sollten miteinander sprechen, meint Zbären. «Aber sie haben in der Realität fast ein bisschen Angst voreinander.» Wichtig sei deshalb, wie man kommuniziere, denn «am Ende geht es immer um den Arbeitsplatz». Der Arbeitgeber solle dem Arzt sagen, dass er um das Arztgeheimnis wisse und keine Diagnose in Erfahrung bringen möchte. Sondern konstruktiv nach Tätigkeiten sucht, die der Patient innerhalb der Firma und möglicherweise in reduziertem Pensum erledigen könnte. So würde der Patient eine geordnete Struktur zurückerhalten, fällt nicht aus dem Arbeitsmarkt und trotzdem kann auf seine Bedürfnisse Rücksicht genommen werden. Würde das psychische Problem von der Arbeitsplatzsituation abhängen, würde sich dies schnell zeigen.

Keine neuen Regulatorien

Mit dem Ende November 2017 vorgestellten «ressourcenorientierten Eingliederungsprofil», REP, haben Arbeitgeber und Ärzte ein neues Tool zur Verfügung. Dabei handelt es sich um ein flexibles Arbeitszeugnis, bei dem spezifische Tätigkeiten von der Arbeit ausgenommen bzw. empfohlen werden können. Die Parallelen des REP und der aktuellen Befragung der Psychiater ist weder Zufall noch Doppelspurigkeit. Es werden immer mehr IV-Renten wegen psychischen Erkrankungen gesprochen. Corinne Zbären: «Das Thema ist aktuell und wichtig.»

Es gebe weitere Möglichkeiten, um zu verhindern, dass psychisch kranke Menschen in der IV statt im Arbeitsmarkt landen. Doch seien diese aufwändig und politisch umstritten. «Die Frage ist, wie weit soll der Staat gehen?», fragt Zbären. «Es sollte nicht das Ziel sein, unzählige neue Regulatorien aufzustellen.»

Und die Arbeitgeber?

Das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arzt muss von beiden Seiten ­gewollt sein und bedingt das Ein­verständnis der Patienten. Davon abgesehen, sieht Zbären in der Praxis schon viel Positives. «Die Arbeitgeber machen schon sehr viel richtig.» An der dritten «Nationalen Konferenz zur Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung» vom ­
21. Dezember 2017 haben die teilnehmenden Vertreter, darunter auch der Schweizerische Gewerbeverband sgv, eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Darin angestrebt werden unter anderem die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Annäherung von Psychiatrie und Arbeitswelt oder die Förderung von Anreizsystemen für Arbeitgeber zur Anstellung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigungen.Adrian Uhlmann

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