Publiziert am: 19.06.2015

Es trifft mal wieder die Falschen

DATENSCHUTZ – In der EU soll der Datenschutz vereinheitlicht werden. Wie auch in der Schweiz leiden darunter vor allem die ­kleinen und mittleren Unternehmen.

Nicht nur in der Schweiz treibt der Datenschutz zunehmend ungesunde Blüten, wie das Interview mit Eveline Küng, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute VSI zeigt (vgl. sgz vom 5. Juni). Auch in der EU wird der Datenschutz immer stärker zuungunsten der KMU gehandhabt.

«DIE WIRTSCHAFT IST SELBST EIN GROSSER KREDITGEBER.»

Die EU plant die Erneuerung der Datenschutzrichtlinie von 1995 und strebt damit einen einheitlichen Datenschutz für alle Mitgliedsstaaten an. «Die Bedürfnisse der Wirtschaft bleiben unberücksichtigt», kommentiert Raoul Egeli, Präsident des Schweizerischen Verbands Credit­reform in einer Medienmitteilung, «und es dürfte teuer werden.»

Massive Zusatzbelastung

Gemäss einer Schätzung des deutschen Statistischen Bundesamts führt die Einführung der Datenschutzgrundverordnung zu einer Initialbelastung von 1,5 Milliarden Euro bei den deutschen Firmen. Danach würde jedes Jahr eine weitere Milliarde Euro die Wirtschaft unnötig belasten. Wie der «Bayernkurier» weiter berichtet, hat das Statistische Bundesamt für die Berechnung der Mehrkosten nur vier von insgesamt 30 Artikeln der Verordnung unter die Lupe genommen. Es sei «durchaus möglich», dass weitere Artikel auch zu Belastungen führen könnten – das zumindest heisse es aus dem Innenministerium der Bundesrepublik.

Umso überraschender kommt dies vor dem Hintergrund der Massnahmen, die die EU zur Ankurbelung der Wirtschaft in Angriff genommen hat. So hat Brüssel im Februar das Grünbuch für eine Kapitalmarktunion (EU Consultation on a Capital Market Union) veröffentlicht. Darin wird unter anderem gefordert, den KMU einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt zu ermöglichen. «Dabei wird oft vergessen, dass die Wirtschaft selbst ein grosser Kreditgeber ist», so Egeli. Das Volumen der in Form von Zahlungszielen fortlaufend gewährten Lieferantenkredite liege laut Angaben der Deutschen Bundesbank mit rund 365 Milliarden Euro um etwa 50 Prozent über dem Volumen sämtlicher kurzfristigen Bankkredite.

Die Bonität muss geklärt sein

«Für jeden Lieferantenkredit ist es unabdingbar, die Bonität des Abnehmers verlässlich einschätzen zu können», so Egeli weiter. Nur dann seien Lieferanten bereit, auf Vorkasse oder auf Zug-um-Zug-Zahlung zu verzichten und Zahlungsziele einzuräumen, die sich meist zwischen 30 und 180 Tagen bewegten. «Dieselben Spielregeln gelten auch auf den Kapitalmärkten: Mit der Datenschutzgrundverordnung wird dieser Zugang gerade für KMU verschlechtert und nicht verbessert.» Denn genau die unabdingbar notwendige Transparenz werde gestört – auch wenn der Anschein erweckt werden solle, damit nur Privatpersonen zu treffen.

Und der digitale Binnenmarkt?

Noch gravierender sind laut Egeli die Auswirkungen für den Online-Handel. «Nur mit einer sekundenschnellen Bonitätsprüfung können den Verbrauchern jene Zahlungsmittel angeboten werden, die eine rasche und reibungslose Abwicklung ermöglichen. Wie dies mit dem Bekenntnis der EU-Verantwortlichen zu einem digitalen Binnenmarkt zusammenpassen soll, bleibt deren Geheimnis.»

Eigentlich zielten die Massnahmen auf Unternehmen wie Google oder Facebook – obwohl gerade in diesen sozialen Netzwerken es ja die Nutzerinnen und Nutzer selbst seien, die ihre Daten freigeben würden. «Die restriktiven Bestimmungen, die den Konsumentinnen und Konsumenten ein Vetorecht bei der Auswertung zahlungsrelevanter Daten einräumen, treffen deshalb die Falschen: Die Wirtschaft, insbesondere die KMU.»

Weshalb nicht in der EU?

«Wichtiger wäre es», so Egeli, «sich die Frage zu stellen, warum keine dieser erfolgreichen Internet-Unternehmen in der EU gegründet wurden. Die Antwort ist einfach: Die EU bietet nicht die notwendigen Rahmenbedingungen. Mit der zur Diskussion stehenden Datenschutzgrundverordnung wird Innovation gar noch eingeschränkt. Gleichzeitig soll versucht werden, den E-Commerce zu fördern. Das kann nicht aufgehen.»

KOMMENTAR

Kein Aktivismus, bitte

Der Bundesrat will das Datenschutzgesetz (DSG) revidieren, wie er bereits am 1. April 2015 entschieden hat. Er hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, ihm unter Berücksichtigung der derzeit laufenden Datenschutzreformen in der EU und beim Europarat bis spätestens Ende August 2016 einen Vorentwurf für eine Revision des DSG zu unterbreiten. Zurzeit werden sowohl in der EU als auch im Europarat die Datenschutzbestimmungen revidiert. Der Europarat überarbeitet grundlegend die «Konvention zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten». Der Entwurf zur Modernisierung der 1985 in Kraft getretenen Konvention wird voraussichtlich 2015 oder 2016 verabschiedet und den Vertragsparteien zur Unterzeichnung unterbreitet. Auch die EU arbeitet gegenwärtig an einer Revision ihrer Datenschutzerlasse. Die EU-Datenschutzreform wird nicht vor Ende 2015 abgeschlossen sein.

Den Weg Deutschlands gehen?

In Deutschland soll gemäss einer Schätzung des statistischen Amts die Einführung der EU- Datenschutz-Grundverordnung die deutschen Firmen mit einer Initialbelastung von 1,5 Milliarden Euro belasten. Danach würde die deutsche Wirtschaft jedes Jahr mit einer weiteren Milliarde Euro belastet (vgl. Haupttext). Offenbar will der Bundesrat den gleichen Weg einschlagen und mit einer Revision die Voraussetzungen schaffen, damit die Schweiz die modernisierte Europarat-Konvention zum Schutz der Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten ratifizieren und EU-Datenschutzerlasse übernehmen kann. Anders lässt sich der Aktivismus nicht interpretieren.

Nicht noch mehr Bürokratie!

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv lehnt zusätzliche Regulierung und Bürokratie ab. Insbesondere Massnahmen wie generelle Informationspflichten für jegliches Bearbeiten von Daten sind unverhältnismässig und erschweren die gewerbliche Tätigkeit. Das heute geltende DSG genügt. Bereits heute ist die Öffentlichkeit gut über den Datenschutz informiert. Dafür sorgen zahlreiche Publikationen und umfangreiche Informationen auf Websites.

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