Publiziert am: 03.09.2021

Evidenz statt Zertifikat

COVID-19 – Der Schweizerische Gewerbeverband sgv setzt weiterhin auf die Logik des gezielten Schutzes. Sie wägt soziale, wirtschaftliche und gesundheitspolitische Ziele ab. Die Einführung einer Zertifikatspflicht tut das nicht.

Im Jahr 2020 hiess es noch: Maskenpflicht, um einen Lockdown zu verhindern. Der Lockdown kam trotzdem. Dann hiess es: Impfen, um ein Zertifikat zu verhindern. Der Bundesrat ist so weit, dass er das Zertifikat einführen will. Jetzt heisst es: Zertifikat, um nicht wieder zu schliessen. Wird am Schluss alles bleiben? Maske und Impfen und Zertifikat und Lockdown? Ausschliessen kann man es nicht.

«Das Zertifikat ist kein Instrument mit Breitenwirkung.»

Denn gerade das ist das Problem des Zertifikats: Als zielgerichtete Massnahme, etwa fürs Fliegen oder bei Grossveranstaltungen, ist es berechtigt. Doch es ist kein Instrument mit Breitenwirkung. Vergleichbare Länder, die eine Zertifikatspflicht kennen, haben weder eine deutlich tiefere Ansteckungsrate noch eine klar schwächere Hospitalisierungsrate als die Schweiz. Für die Einführung einer allgemeinen Zertifikatspflicht fehlt es schlicht an empirischer Evidenz ihrer Wirksamkeit.

Ein heikler Eingriff

Das fundamentale Problem einer allgemeinen Zertifikatspflicht ist: Sie ist eine einseitig gesundheitspolitisch motivierte Aktion. Sie ist nicht das Ergebnis einer Abwägung aller Ziele – der sozialen, der wirtschaftlichen und der gesundheitlichen. Diese Abwägung ist aber umso notwendiger, weil die Zertifikatspflicht zu Schaden führt.

Der wirtschaftliche Schaden: Bei einer Einführung des Covid-Zertifikats fallen für Private Mehrkosten für Kontrollen an. Gemäss Einschätzung von Fachleuten und den Erfahrungen im Ausland sind auch Mindereinnahmen höchstwahrscheinlich. Den wirtschaftlichen Schaden bezahlen am Ende die Privaten aus dem eigenen Portemonnaie.

Auch sozial ist die Zertifikatspflicht schädlich, indem sie sich diskriminierend auswirkt. Zum Beispiel bei der Einführung in Unternehmen: Eine solche Kontrolle seitens des Arbeitgebers würde einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers darstellen. Das ist unzulässig. Zudem führt diese Kontrolle zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Arbeitgebende sind keine Polizisten. Es ist nicht möglich, eine solche Überwachung ohne Diskriminierung durchzuführen. Ab dem Moment, wo Listen von Geimpften, Genesenen und Getesteten und Listen von Nicht-3G-Mitarbeitenden geführt werden, diskriminiert man schon.

Logik des gezielten Schutzes

Das Covid-19-Gesetz wurde vom Volk angenommen. Im Gesetz wird ausdrücklich geregelt, dass sämtliche Eingriffe des Staates, um mit der Pandemie umzugehen, verhältnismässig sein müssen. Eine allgemeine Zertifikatspflicht ist un­verhältnismässig. Es gibt keine empirische Evidenz für ihre Wirksamkeit, und sie lässt das Wirtschaftliche und das Soziale komplett ausser Acht.

Auch im Covid-19-Gesetz ist die Logik des gezielten Schutzes verankert. Sie hat den Tatbeweis erbracht, dass sie wirkt. Und sie erlaubt eine bessere Differenzierung und damit eine Abwägung der Ziele. Der sgv wie auch die Bevölkerung setzen auf die Logik des gezielten Schutzes – mit dem Contact-Tracing, um Infektionsketten zu brechen, den Schutzkonzepten, den Tests und dem Impfen.Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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