Publiziert am: 21.01.2022

Gefährliche Gratwanderung

BVG-REFORM – Der Nationalrat hat die Reform der beruflichen Vorsorge in neue Bahnen gelenkt. Das Re­form­­­projekt für die 2. Säule ist nun besser, aber immer noch ungemein teuer. Ein erneutes Scheitern wäre dennoch keine erstrebenswerte Perspektive.

Das beste vorweg: Der BVG-Mindestumwandlungssatz soll endlich von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Obwohl die neu beschlossene Mindestvorgabe aus technischer Sicht immer noch zu hoch ist, brächte sie den Vorsorgeeinrichtungen doch eine bedeutsame Entlastung. Denn zur Finanzierung eines Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent bedarf es einer durchschnittlichen Anlagerendite von gut fünf Prozent. Und das ist in einem Negativzinsumfeld auf Dauer schlicht unrealistisch und stellt für all jene Pensionskassen, die überwiegend tiefe und mittlere Einkommen versichern, eine existenzielle Bedrohung dar.

Bei rund jedem fünften Versicherten hat die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes tiefere Renten zur Folge. Nur für jeden Fünften? Ja, denn die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes hat nur Auswirkungen auf die Versicherten, die ausschliesslich gemäss BVG-Obligatorium versichert sind oder die nur über eine bescheidene überobligatorische Versicherung verfügen.

Auf die Renten der übrigen rund 80 Prozent der BVG-Versicherten hat die geplante Anpassung keine Auswirkungen. Denn für diese kommt schon heute ein von den Vorsorgeeinrichtungen zu bestimmender umhüllender Umwandlungssatz zur Anwendung, der in der Regel deutlich unter den gesetzlich anvisierten 6,0 Prozent liegt.

«Sozialpartnerkompromiss» gescheitert

Ungeachtet dieser Tatsache wird eine BVG-Reform in einer Volksabstimmung nur dann eine Chance haben, wenn die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes mit Kompensationsmassnahmen verknüpft wird. Basierend auf dem sogenannten «Sozialpartnerkompromiss» – in Tat und Wahrheit ein vom Arbeitgeberverband unterstütztes Gewerkschaftsmodell – wollte der Bundesrat als Abfederungsmassnahme Rentenzuschläge einführen. Diese hätten nach dem Giesskannenprinzip zeitlich unbefristet allen Versicherten gutgeschrieben werden müssen. Dieser Ansatz hätte jährliche Mehrkosten von über drei Milliarden Franken verursacht, unter anderem finanziert über ein zusätzliches halbes Lohnprozent.

Dieses Vorgehen hätte aus der 2. Säule eine Art Mini-AHV gemacht. Die systemwidrige Umverteilung wäre aus- statt abgebaut worden. Das ging selbst dem Nationalrat zu weit. Er hat sich daher für ein anderes Modell entschieden. Dieses stärkt die Vorsorge aller BVG-Versicherten und bettet Teilzeitbeschäftigte besser in die 2. Säule ein. Rund jede dritte versicherte Person einer fünfzehn Jahrgänge umfassenden Übergangsgeneration käme in den Genuss einer faktischen Besitzstandsgarantie. Gesamthaft führt auch die Lösung des Nationalrats zu einer deutlichen Überkompensation. Die Mehrkosten sind dann auch entsprechend hoch.

Die Linke spielt mit dem Feuer

Trotz all dem droht die Linke bereits heute mit einem Referendum. Aus Sicht der BVG-Versicherten wäre ein erneutes Scheitern der BVG-Reform aber das denkbar schlechteste Szenario. Denn selbst eine schlanke Reform hätte zur Folge, dass die Arbeitgeber Jahr für Jahr mindestens eine Milliarde Franken zusätzlich ins Vorsorgesystem einschiessen müssten. Dieses Geld käme ausschliesslich den Versicherten zugute.

Scheitert die Reform, können sich die Arbeitgeber diese Mehrkosten ersparen. Die Finanzierung des zu hohen Umwandlungssatzes würde dann weiterhin über eine systemfremde Umverteilung von Arbeitnehmenden zu Rentnern erfolgen. Und dies ist wahrlich keine erstrebenswerte Perspektive für die Versicherten!Kurt Gfeller,

Vizedirektor sgv

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