Publiziert am: 05.03.2021

«Gelder speditiv auszahlen»

BEAT TINNER – «Der Staat muss sich wieder auf seine wesentlichen Aufgaben zurücknehmen, sobald die Situation dies erlaubt», sagt der St. Galler FDP-Regierungsrat und Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements. Zum Problem der Härtefälle sagt er:

Schweizerische Gewerbezeitung: Wie ist Ihr Kanton St. Gallen bisher durch die Corona-Krise gekommen?

Beat Tinner: Wie der Rest der Welt durchlebt auch der Kanton St. Gallen eine historische Rezession, wobei die einzelnen Wirtschaftszweige unterschiedlich stark betroffen sind. In St. Gallen nimmt die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie im interkantonalen Vergleich eine herausragende volkswirtschaftliche Stellung ein. Da sich die aktuelle Krise auch in einer Investitionsschwäche manifestiert, steht die MEM-Branche besonders unter Druck.

«auch ein verzicht auf lockerungen bringt keine absolute sicherheit.»

Wie schätzen Sie die Umsetzung der Schutzkonzepte in den Firmen in St. Gallen ein?

Unsere Erfahrungen zeigen, dass die meisten Betriebe ihre Verantwortung wahrnehmen. Dort, wo dies nicht der Fall ist, werden Verbesserungen gefordert und deren Umsetzung im Rahmen von Nachkontrollen geprĂĽft. Wir mussten lediglich drei Betriebe vorĂĽbergehend schliessen, die gegen Schutzbestimmungen verstossen haben.

Mancherorts wird der Nutzen dieser Schutzkonzepte in Frage gestellt. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Solche Debatten erachte ich als nicht zielführend, zumal alle Beteiligten im Grundsatz dasselbe Ziel verfolgen: Ungehindert arbeiten zu können bzw. Besorgungen vorzunehmen, wo die Situation dies zulässt. Der Schutz von Arbeitnehmenden sowie von Kundinnen und Kunden ist die grundlegende Bedingung, damit dies möglich ist respektive bleibt. Hygiene- und Abstandsvorschriften wiederum sind zentrale Sicherheitsmassnahmen gegen das Coronavirus.

St. Gallen will bei den Lockerungen weiter gehen, als es der Bundesrat vorschlägt. Wieso diese offensive Haltung?

St. Gallen will den behördlich geschlossenen Betrieben wie der Bevölkerung eine Perspektive bieten und Lockerungen schrittweise umsetzen. So ist auch ersichtlich, ob sich Lockerungsschritte allenfalls negativ mit einer höheren Ansteckung mit dem Coronavirus auswirken.

Vertreter eines langsameren Vorgehens warnen vor einer möglichen 3. Welle in der Pandemie. Macht Ihnen diese Aussicht keine Sorgen?

Auch ein Verzicht auf Lockerungen bringt keine absolute Sicherheit. Durch ein konsequentes Einhalten der Hygieneregeln, regelmässige Tests und eine fortschreitende Durchimpfung ist das Risiko kalkulierbar.

«Die meisten betriebe nehmen ihre verantwortung wahr.»

Es scheint so, dass das Virus uns noch länger begleiten wird. Wie kann ein sinnvoller Umgang mit diesem Risiko in der zweiten Jahreshälfte 2021 und darüber hinaus aussehen?

Wie gesagt, wird ein vermehrtes Impfen zu einer Rückkehr zur Normalität mithelfen.

Der Tourismus leidet ganz besonders unter der Pandemie. Hat das bisherige Geschäftsmodell für die Schweiz bald ausgedient? Und was könnten die Alternativen sein?

Was den Strukturwandel in der Gastronomie und in der Hotellerie betrifft, so wirkt die Pandemie als Brandbeschleuniger. Trotzdem werden wir Menschen auch inskünftig verreisen und andere Orte kennen lernen wollen. Ob als Folge der Pandemie künftig weniger geflogen wird, ist schwierig abzuschätzen. Hingegen bin ich überzeugt, dass Qualität, Authentizität, Ruhe und Sauberkeit weiterhin einen hohen Stellenwert in der Wahl einer Feriendestination haben werden. Zugleich dürfte der Faktor Gesundheit als Reisemotiv weiterhin stark an Bedeutung gewinnen. Somit haben wir in der Schweiz gute Voraussetzungen, wobei die Hotelinfrastruktur vielerorts den veränderten Bedürfnissen angepasst werden müsste.

Der Streit um die Umsetzung der Härtefallprogramme strapaziert den Föderalismus stark. Wie kann er diese Zerreissprobe ­bestehen?

Diese Einschätzung teile ich nicht. Der Bundesrat hat ein Rahmengesetz erlassen und die Kantone übernehmen den Vollzug. Die Programme können voneinander abweichen. Die Kantone gestalten ja auch die Steuerpolitik nach unterschiedlichen Kriterien. Wichtig scheint mir, dass die Härtefallgelder nach der Prüfung der Gesuche speditiv ausbezahlt werden. Im Kanton St. Gallen haben wir dank einer digitalen Lösung die Bearbeitungsdauer massgebend reduzieren können.

Das Impfen ist ein möglicher Ausweg aus der Krise. Wie beurteilen Sie den Fortschritt des Impfprogramms in unserem Land?

Die Tatsache, dass wir heute bereits über wirksame Impfstoffe verfügen, ist ausserordentlich bzw. keineswegs selbstverständlich. Mit dem Hochfahren der Produktion wird auch das Tempo der Impfkampagne steigen. Dass es zu Beginn Versorgungsengpässe geben würde, war angesichts der weltweiten Nachfrage nach Impfstoff absehbar.

«dank innovationsfreudigkeit und unternehmertum sind auch schwere krisen zu meistern.»

Seit einem Jahr verstrickt sich der Staat im Mikromanagement, um der Krise Herr zu werden. Wie kommt er aus dieser Rolle wieder heraus?

Der Staat muss sich wieder auf seine wesentlichen Aufgaben zurĂĽcknehmen, sobald die Situation dies erlaubt. Aber hier sind alle Akteure gefordert. Die Wirtschaft und die Verwaltung inklusive Politik. FĂĽr mich steht die Eigenverantwortung im Vordergrund, und ich bin ĂĽberzeugt, dass wir dank Innovationsfreudigkeit und Unternehmertum auch schwere Krisen wie die einer Pandemie meistern und fĂĽr die Zukunft wieder gerĂĽstet sind.

Interview:

Gerhard Enggist

ZUR PERSON

Beat Tinner (49) ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in Azmoos (Gemeinde Wartau), wo er bis zur Wahl in die Regierung Gemeindepräsident war und zugleich die FDP-Fraktion im Kantonsparlament geleitet hat. Seit 1. Juni 2020 steht er dem Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St. Gallen vor.

www.sg.ch

www.beat-tinner.ch

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