Publiziert am: 08.04.2022

Gut gemeint, nicht gut gemacht

ESG – Um ihre sensible Kundschaft nicht aufzuschrecken, blenden Verkäufer von als nachhaltig geltenden ESG-Produkten manche Realitäten aus. Statt der Umwelt zu nützen, verhindern sie damit Fortschritte, auf die eine stetig wachsende Menschheit dringend angewiesen wäre.

Ohne Zement läuft nichts. Kein Haus, keine Brücke, keine Fabriken oder Strassen ohne Zement. Das Problem dabei: Die Herstellung von Zement ist energieintensiv und produziert Emissionen. Der CO2-Ausstoss ist hoch. Global gesehen sind sieben bis acht Prozent des menschengemachten CO2 eine Folge der Zementherstellung. Diese setzt Verbrennungsprozesse unter hohen Temperaturen und entsprechendem Energieverbrauch voraus. Zudem wird bei der Herstellung gebundenes CO2 aus dem Kalkstein freigesetzt. Rund die Hälfte der CO2-Emmission in der Zementindustrie entstammen diesem Umstand. Diese zu reduzieren oder gar zu eliminieren ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.

ESG-Anlagen: Rasantes Wachstum

Trotzdem oder gerade deshalb kommt die Zementindustrie in der Schweiz immer stärker unter Druck. So gilt sie hierzulande schon fast als Umweltsünder Nummer eins. Dass die Schweiz ansonsten über keine Schwerindustrie verfügt, lenkt den Fokus zahlreicher NGOs und neuerdings auch von Finanzinstituten auf die Branche.

Banken stellen bei ihren Investitionen und Anlageprodukten zunehmend auf ESG ab. Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) sind heute das, was einmal Hedge-Fonds und Strukturierte waren. ESG-Anlagen verzeichnen ein rasantes Wachstum. Unternehmen, die nicht den drei Buchstaben genügen, fliegen aus dem Anlagehorizont raus. Dabei ist alles andere als klar, wie man sich als Firma ESG-konform verhalten kann.

Erleichtern statt erschweren

Denn wirkliche Nachhaltigkeit ist viel komplexer, als es die ESG-basierten Produkte der Finanzindustrie den Anlegern vormachen. Das einleitende Beispiel zeigt dies: Für die Zementindustrie ist es schwer, den ESG-Standards zu genügen und somit in solche Anlageprodukte aufgenommen zu werden. Dabei stellen sie ein Produkt her, das alle dringend brauchen. Auch die allermeisten jener Anleger, welche in ESG-basierte Produkte investieren, dürften nicht zementfrei durchs Leben schreiten.

Hinzu kommt, dass eine Ausdehnung der ESG-Kriterien auf immer weitere Bereiche es den betroffenen Unternehmen immer schwieriger macht, sich zu vernünftigen Konditionen zu finanzieren. Dabei wäre es wichtig, gerade jenen Branchen den Zugang zu Kapital nicht zu erschweren, welche systemrelevante Produkte herstellen – auch wenn sie dabei Emissionen verursachen. Die hiesige Zementindustrie unternimmt beispielsweise grosse Anstrengungen, damit ihr CO2-Ausstoss mittelfristig sinkt. Bis 2050 will man gar CO2-neutral werden. Dies kostet Unmengen an Geld. Diesen Prozess sollte man seitens der Finanzindustrie lieber erleichtern und nicht noch zusätzlich erschweren.

Fragwürdige Kriterien

Der Kriterienkatalog, auf den viele ESG-basierte Produkte abstellen, ist in vielerlei Hinsicht fragwürdig: Investitionen in Kernkraft sind beispielsweise ausgeschlossen. Dabei schreibt selbst der internationale Klimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht, dass effektiver Klimaschutz nicht ohne Nukleartechnologie zu haben ist. Die EU-Taxonomie, die festlegt, welche Investitionen in der EU als «grün» respektive nachhaltig gelten, wurde Anfang 2022 angepasst. Kernenergie – und unter strengen Vorgaben auch Gaskraftwerke – gelten neu als grüne Energieformen. Diese Realitäten werden von den ESG-Produkten schlicht und einfach ausgeblendet. Schliesslich möchte man die sensible Kundschaft von nachhaltigen Finanzprodukten nicht aufschrecken.

Positive Effekte ausgeblendet

Dabei stehen die Kriterien noch andernorts offen im Widerspruch zur wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung. Dass beispielsweise nicht in Unternehmen investiert werden darf, welche genomeditierte – also gentechnisch veränderte – Organismen herstellen, ist ein weiteres Beispiel hierfür: Moderne Züchtungsmethoden sind sicher, dies ist wissenschaftlicher Konsens. Zudem werden genomeditierte Nahrungsmittel helfen, die Landwirtschaft resistenter gegenüber dem Klimawandel zu machen. Dies wird helfen, den Flächenverbrauch zu minimieren, was wiederum klimaschonend ist. Der Einsatz von Pestiziden dürfte sich dank resistenterer Sorten massiv verkleinern. All diese positiven Effekte der modernen Züchtung werden von den ESG-Produkten ausgeblendet.

Fortschritte verhindert

Nachgebessert wird hier sicher nicht. Wer kümmert sich schon um den Planeten? ESG-Produktanbieter sicherlich nicht! Das Geschäft mit dem «Greenwashing» läuft nachweislich bestens. Die Nachfrage nach dem Geist-Placebo ist gross: In der Schweiz gibt es genügend wohlhabende Menschen, deren Sorgen sich vor allem um ihr grünes und soziales Gewissen dreht. Kleingedrucktes und unbequeme Wahrheiten interessieren hier, wenn überhaupt, nur nachgelagert.

Und so geschieht halt, was eigentlich nicht geschehen sollte: Alternative Anlagevehikel und rigide Anlagekriterien verhindern Fortschritt, verlangsamen die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft oder verunmöglichen die Reduktion des Pestizideinsatzes auf unseren Feldern. Es stimmt halt noch heute: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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