Publiziert am: 23.10.2020

«Gute Nacht, Werkplatz...»

ROLAND GOETHE – Der Präsident von Swissmechanic lehnt die Volksinitiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) ab, über welche die Schweizer Stimmberechtigten am 29. November entscheiden.

Schweizerische Gewerbezeitung: Was ist eigentlich «Kriegsmaterial»; was fällt alles unter diesen Begriff?

Roland Goethe: Sie stellen mir gleich zu Beginn eine schwierige Frage. Schwierig deshalb, weil eine klare und eindeutige Definition kaum möglich ist. Und so sind wir auch gleich schon bei einem Kernproblem dieser verantwortungslosen Initiative: Sie ist unklar und willkürlich. Das schafft Rechtsunsicherheit und schadet der Schweiz.

Aber zurück zu Ihrer Frage. Natürlich gehören Waffen zum Kriegsmaterial. Auch Waffensysteme, Munition und militärische Sprengmittel. Als Kriegsmaterial gelten auch Ausrüstungsgegenstände, die spezifisch für den Kampfeinsatz oder für die Gefechtsführung konzipiert oder abgeändert und in der Regel nicht für zivile Zwecke verwendet werden. Ferner umfasst der Begriff Einzelteile und Baugruppen, sofern erkennbar ist, dass diese Teile in derselben Ausführung nicht auch für zivile Zwecke verwendbar sind. Es ist jedoch kaum möglich, dezidierte und spezifisch konzipierte Güter von Dual-Use-Gütern zu unterscheiden, die nicht als Kriegsmaterial gelten.

Und was ist, basierend auf der GSoA-Initiative, ein «Kriegsmaterialproduzent»?

Gemäss Initiativtext gelten Unternehmen, die mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit der Herstellung von Kriegsmaterial erwirtschaften, als «Kriegsmaterialproduzenten».

«Dann hiesse es: Lichter löschen. DIE INITIATIVE WÜRDE VIELEN KMU DEN GELDHAHN ABDREHEN.»

Wie viele solche Produzenten gibt es in der Schweiz?

Sehr viele! Natürlich denkt man zuerst an die Grossunternehmen wie etwa die RUAG. Hauptleidtragende wären aber ausgerechnet die KMU, und zwar ganz besonders die Betriebe der durch die Corona-Krise ohnehin schon gebeutelten Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie. Diese Unternehmen fungieren als Zulieferbetriebe und fertigen auch Einzelteile und Baugruppen, die in Rüstungsgütern verbaut werden. Die MEM-Industrie beschäftigt in der Schweiz 320 000 Personen. Die GSoA-Initiative setzt diese Arbeitsplätze fahrlässig aufs Spiel.

Was verlangt die Initiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) konkret?

Die GSoA will die Rüstungsindustrie auf der ganzen Welt in die Knie zwingen. Mittel zum Zweck ist ein rigoroses Finanzierungsverbot: Die Schweizerische Nationalbank, Stiftungen und Vorsorgeeinrichtungen wie AHV, IV, EO und Pensionskassen dürfen nicht mehr direkt oder indirekt in Unternehmen investieren, die mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit der Produktion von Kriegsmaterial erwirtschaften.

Darüber hinaus soll sich der Bund auf schweizerischer und internationaler Ebene dafür einsetzen, dass ein ähnliches Verbot auch für Banken und Versicherungen gelten würde. Alle Anlagen sollen ins Korsett der starren GSoA-Quote gepresst werden.

Swissmechanic lehnt die Initiative entschieden ab. Viele der rund 1400 Mitglieder Ihres Verbands sind Zulieferer der Rüstungsindustrie. Was würde eine ­Annahme der Initiative für sie konkret bedeuten?

Das rigorose Finanzierungsverbot würde den KMU der MEM-Industrie den Zugang zu Krediten faktisch ­verwehren. Das hätte katastrophale Folgen für den Werkplatz Schweiz. Allein die bei Swissmechanic angeschlossenen KMU beschäftigen mehr als 70 000 Mitarbeitende, davon 6000 Lernende. Durch die Annahme der GSoA-Initiative wären viele dieser wertvollen Arbeits- und Ausbildungsplätze gefährdet.

Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die MEM-Industrie ohnehin schon Liquiditätsprobleme hat und ums Überleben kämpft. Man muss wissen, dass unsere Branche aufgrund der Corona-Krise noch stärker eingebrochen ist als die Gesamtwirtschaft. Weit über die Hälfte der Betriebe leiden aufgrund des globalen Konjunktureinbruchs derzeit unter Auftragsmangel.

Was hiesse eine Annahme der Initiative für Schweizer Grossunternehmen wie den Technologiekonzern Ruag?

Nichts Gutes. Alle Unternehmen, die mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit der Herstellung von Kriegsmaterial erwirtschaften, wären direkt betroffen.

Immerhin könnten internationale Grosskonzerne der Rüstungsindustrie notfalls auf eine Finanzierung aus dem Ausland ausweichen.

Grosse internationale Produzenten könnten den Auswirkungen der Initiative wohl problemlos ausweichen. Was ist mit den KMU?

KMU können sich eine Finanzierung aus dem Ausland in der Regel nicht leisten. Die Initiative würde den Betrieben den Geldhahn zudrehen. Dann hiesse es: Lichter löschen und gute Nacht, Werkplatz Schweiz. Unser Wohlstand wäre massiv gefährdet.

Welche KMU und welche Regionen der Schweiz wären von einer Annahme besonders betroffen?

Die starre GSoA-Quote macht sehr viele Unternehmen zu «Kriegsmaterialproduzenten». Alle Regionen der Schweiz wären betroffen. Man muss wissen, dass zahlreiche KMU der MEM-Industrie sogenannte Dual-Use-Güter herstellen, also Güter, welche sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich eingesetzt werden. Der Umsatzanteil des Bereichs Wehrtechnik ist sehr dynamisch und variiert je nach Auftragslage und Jahr. Ein enormer bürokratischer Aufwand wäre nötig, um Jahr für Jahr zu bestimmen, welche Unternehmen nun «Kriegsmaterialproduzenten» sind und welche nicht.

Dass die «Kriegsmaterialproduzenten» auch Alltagsprodukte herstellen, interessiert die GSoA übrigens nicht. Kurzerhand werden auch die zivilen Sparten der betroffenen Unternehmen vom Zugang zu Krediten ausgeschlossen.

Die GSoA will nach wie vor die Schweizer Armee abschaffen. Was bedeutet die Initiative vor diesem Hintergrund?

Das Schweizer Stimmvolk hat sich an der Urne schon mehrmals deutlich gegen die Absichten der GSoA ausgesprochen. Auch zum Thema Kriegsmaterialexport hat sich das Stimmvolk schon mehrmals klar geäussert und die bewährte Politik des Bundesrates bestätigt. Die Kriegsmaterialgesetzgebung untersagt bereits heute die Finanzierung von verbotenem und international geächtetem Kriegsmaterial. Der Export in Kriegs- und Krisengebiete ist nicht erlaubt.

Mit ihrer neuen Initiative versuchen es die Armee-Gegner mit einem Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterial. Aber ihr wahres Ziel ist, wie Sie richtig sagen, natürlich weiterhin die Abschaffung der Schweizer Armee.

Die GSoA-Initiative betrifft auch die Schweizer Altersvorsorge. Mit welchen Folgen?

Die GSoA-Initiative belegt AHV, Pensionskassen und die Nationalbank mit bürokratischen Auflagen. Entweder müssen sie ihre Investitionen künftig auf spezifische Firmen beschränken, bei welchen die Herstellung von Kriegsmaterial ausgeschlossen werden kann. Oder sie überprüfen konstant Tausende von Unternehmen auf deren Umsatz mit Kriegsmaterial. Ein erhöhtes Anlagerisiko oder massive Verwaltungskosten sind die Folge. So verteuert das Finanzierungsverbot der GSoA die Geldanlage für unsere Altersvorsorge. Die Renten der Schweizerinnen und Schweizer werden dadurch noch unsicherer. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der unsere Altersvorsorge ohnehin schon vor grossen Herausforderungen steht.

Und schliesslich gefährde die linke Initiative die verfassungsmässige Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank, moniert Swissmechanic. Wie wäre die SNB von einem Finanzierungsverbot für Rüstungsgüter betroffen?

Ja, die Initiative gefährdet die verfassungsmässige Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank, weil sie politische Kriterien für deren Anlagen einführt. Diese Bevormundung der Schweizerischen Nationalbank ist verantwortungslos und schadet der Wirtschaft.

Die Schweizerische Nationalbank steht unter dem Primat der Geldpolitik. Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse der Schweiz leiten lassen. Als vorrangiges Ziel gilt es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die GSoA-Initiative raubt der Schweizerischen Nationalbank ihren geldpolitischen Handlungsspielraum. Das schadet letztlich auch dem Schweizer Franken.

Interview: Gerhard Enggist

www.swissmechanic.ch

www.gsoa-nein.ch

ZUR PERSON

Der Unternehmer Roland Goethe (Jahrgang 1959) ist gelernter Werkzeugmacher und Geschäftsführer der Goethe AG in Glarus. Er vertritt die FDP im Glarner Landrat und ist seit Oktober 2014 Präsident des Arbeitgeberverbandes Swissmechanic.

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