Publiziert am: 17.05.2019

Heirat mittels Taschenrechner?

EHE- UND FAMILIENBESTEUERUNG– Nach dem Beschluss des Bundesgerichts, die Abstimmung über die Heiratsstrafe für ungültig zu erklären, sind neue Ideen zur Lösung eines alten Problems gefragt.

Nach der Fehlberechnung der Bundesverwaltung – sie hatte die Anzahl der von der Heiratsstrafe betroffenen Ehepaare auf 80 000 geschätzt, tatsächlich sind es 454 000 – und dem Beschluss des Bundesgerichts, die Abstimmung über die Initiative der CVP zu annullieren, braucht es eine Neulancierung der Debatte. Es gilt, modernere Besteuerungsformen wie die Individualbesteuerung oder den Familienquotienten zu berücksichtigen.

Festgefahrene Debatte

Der letzte Versuch, den der Bundesrat mit seiner Botschaft zur «ausgewogenen Paar- und Familienbesteuerung» Mitte März 2018 unternommen hatte, ist gescheitert. Auf politischer Ebene geniesst die AHV- und Steuervorlage derzeit absolute Priorität. Zudem scheint es, als ob das Modell eines «Mehrfachtarifs mit alternativer Steuerberechnung» des Bundesrats keine Chance hat, je eine Mehrheit zu erhalten. Es sollte deshalb aufgegeben werden. Statt das Steuersystem zu vereinfachen, sieht es ein kompliziertes Besteuerungsverfahren vor, das auf zwei Steuerberechnungen basiert (gemeinsame Veranlagung und Ver­anlagung Individualbesteuerung). Nebst der Beseitigung der Heiratsstrafe bringt dieses Modell keine echten Vorteile.

Die parlamentarischen Kommissionen haben bei der Bearbeitung dieses Dossiers keine wirklichen Fortschritte erzielt. Die PrĂĽfung der Vorlage zur Abschaffung der Heiratsstrafe wurde gar unterbrochen, bis der Bundesrat von den schriftlichen UrteilsbegrĂĽndungen des Bundesgerichts Kenntnis hatte und die Komissionen ĂĽber die fĂĽr das weitere Vorgehen in Frage kommenden Optionen informierten konnte.

Alternative zur «alternativen Steuerberechnung»?

Bei der Frage nach dem richtigen Steuermodell muss die Frage nach seinem echten Nutzen gestellt werden (nebst der Beseitigung der Heiratsstrafe). Idealerweise verringert es den administrativen Aufwand sowohl für Ehepaare und Familien als auch für Steuerbehörden und Steuerzahler. Es erhöht die Arbeitsanreize, wirkt sich positiv auf die Bundesfinanzen aus und entspricht selbstverständlich den Bestimmungen eines Bundesgerichtsbeschlusses, der vor bereits 35 Jahren die Abschaffung der Heiratsstrafe verlangt hatte.

Zwei mögliche Steuermodelle für Ehepaare und Familien zeichnen sich ab: die Individualbesteuerung und der Familienquotient.

Zweite Chance fĂĽr die Individualbesteuerung

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung und trotz der Ablehnung der Motion 16.3006 «Individualbesteuerung auch in der Schweiz. Endlich vorwärts machen» birgt das Modell der Individualbesteuerung zahlreiche Vorteile, und die frühere Schätzung der damit anfallenden Kosten muss aktualisiert werden. Dieses moderne Steuermodell muss in der parlamentarischen Debatte in Betracht gezogen werden, da es unter anderem dem Fachkräftemangel entgegenwirkt, indem es zur Arbeit ermutigt. Der administrative Zusatzaufwand hält sich zudem in Grenzen, denn in den meisten Fällen könnte die Steuererklärung elektronisch eingereicht und – mittels Formularen mit zwei Spalten, für jeden Ehepartner eine – verhindert werden, dass pro Ehepaar zwei Steuererklärungen anfallen.

Familienquotient – eine Waadt­länder Spezialität mit Potential

Die Idee, dieses im Kanton Waadt nunmehr seit über 30 Jahren angewandte Modell auf Bundesebene umzusetzen, steht absolut im Einklang mit der Verfassung und entspricht den Anforderungen des Beschlusses des Bundesgerichts. Die Besteuerung soll möglichst neutral gestaltet werden, indem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Familie nicht nur von ihrem Einkommen, sondern auch von ihrer Grösse abhängig gemacht wird. Das Modell des Familienquotienten entspricht auch dem Ziel der Initiative, den Fachkräftemangel zu bekämpfen, da es Zweitverdienste nicht übermässig benachteiligt. Die Bundesverwaltung wollte aus beinahe dogmatisch zu bezeichnenden Gründen nicht darauf eintreten. Doch das ist falsch. Sie müsste sich mit diesem Modell befassen und es den eidgenössischen Räten zur Diskussion vorlegen. Oder besser: Die Bundesverwaltung sollte für jedes in Frage kommende Besteuerungsmodell eine Kosten-/Nutzen-Rechnung erstellen. Die Frage stellt sich: Wird sie es tun, um dieser Debatte endlich frischen Wind zu verleihen?

Alexa Krattinger, Ressortleiterin sgv

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