sgv lehnt die Juso-Erbschaftsinitiative dezidiert ab und begrüsst den Entscheid des Bundesrates
«Heute eine starke Stimme»
JEAN-FRANçOIS RIME – Nach gut acht Jahren übergibt der erste Romand an der Spitze des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv das Amt an den Tessiner Fabio Regazzi. Der Nachfolger soll am Gewerbekongress vom 28. Oktober gewählt werden – in Rimes Heimatkanton Freiburg.
Schweizerische Gewerbezeitung: Ende Oktober geben Sie – so es die Covid-Lage denn wirklich erlaubt – nach mehr als acht Jahren das Präsidium des sgv ab. Was haben Sie in Ihrer Amtszeit für die KMU erreicht?
Jean-François Rime: Wir – das heisst die Geschäftsstelle, der Vorstand und ich als Präsident – haben dafür gesorgt, dass die Stimme der KMU in der Schweizer Politik heute ein grosses Gewicht hat. Damit dies so bleibt, ist es wichtig, dass die Spitze des sgv im Parlament vertreten ist – mit meinem designierten Nachfolger Fabio Regazzi ist dies auch weiterhin der Fall. Ein direkter Draht in die Verwaltung und in die Politik, bis hinauf zum Bundesrat, ist in diesem Amt unerlässlich. Im direkten Kontakt lassen sich viele Probleme oft rascher lösen als mit politischen Vorstössen.
An welche Highlights aus den vergangenen acht Jahren Gewerbepolitik erinnern Sie sich gerne?
Der sgv hat viel dazu beigetragen, dass linke Anliegen wie die 1:12-IniÂtiative, nationale Mindestlöhne oder eine Erbschaftssteuer vom Volk bachab geschickt wurden. In der Sozialpolitik haben wir uns erfolgreich gegen die verfehlte Vorlage AHV 2020 gewehrt, und in der Wirtschaftspolitik nach der Niederlage bei der USR III der Nachfolgevorlage STAF zum Erfolg verholfen – hier sind nun die Kantone gefragt. Und nicht zuletzt haben wir stark dazu beigetragen, dass die Zersiedelungsinitiative abgelehnt wurde.
Welche Misserfolge ärgern Sie bis heute?
Anders als bei der Zersiedelungsinitiative ist es uns beim Raumplanungsgesetz nicht gelungen aufzuzeigen, weshalb dieses den KMU schadet. Dass wir mit dem Boden haushälterisch umgehen mĂĽssen, ist unbestritten. Aber mit dem neuen Gesetz gibt Bern heute weitgehend allein die Richtung vor, obwohl die Lage in den Kantonen verschieden ist. Im Jura etwa schrumpft die Bevölkerung, während sie in Freiburg massiv wächst: Die HerausfordeÂrungen sind offensichtlich nicht dieselben. Kommt dazu, dass die Bodenpreise steigen, während sie in den umliegenden Ländern massiv billiger sind. Das schadet unserer Wirtschaft, und dieser Schaden ist weitgehend hausgemacht. Das ärgert mich tatsächlich.
Auch unsere hauchdünne Niederlage beim Billag-Referendum ärgert mich bis heute. Das Pfuschgesetz von Bundesrätin Doris Leuthard schadet den Unternehmen massiv. Nicht nur dass die Firmenbesitzer doppelt abgezockt werden – sie und ihre Angestellten zahlen ja bereits als Privatpersonen –, auch die neuen Probleme bei den Arbeitsgemeinschaften, die gleich mehrfach für Radio und TV bezahlen müssen, sind inakzeptabel. Die Finanzierungsvorlage für unsere Staatsmedien ist völlig in die Hose gegangen; die grossen Fussball- oder Eishockeyspiele etwa werden ja trotzdem im Privat-TV ausgestrahlt… Ich bin sicher, dass in dieser Diskussion das letzte Wort noch nicht gesprochen ist!
Wie haben Sie als GewerbeÂpräsident die Sozialpartnerschaft erlebt?
Bei manchen Themen haben wir naturgemäss andere Ansichten, aber grundsätzlich funktioniert die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften relativ gut. Dies hat auch die Covid-Krise gezeigt, wo wir mit Pierre-Yves Maillard vom Gewerkschaftsbund oder Adrian Wüthrich von TravailSuisse am gleichen Strick gezogen haben. Mit der Unia ist das leider eine ganz andere Geschichte, wenn man ihre Blockadehaltung in der Corona-Krise vor Augen hat… Im Parlament jedoch hat die Kooperation mit Corrado Pardini gut funktioniert, etwa bei den Diskussionen rund um das Beschaffungswesen.
In letzter Zeit gab es auf der anderen Seite viele Misstöne: Wie steht es heute um die Zusammenarbeit der grossen WirtschaftsÂverbände?
In vielen Themen unterscheiden sich unsere Ansichten kaum. Anders bei der Gewichtung: Bezüglich der Konzernverantwortungsinitiative erwartet Economiesuisse vom sgv eine vorbehaltlose und sehr rasche Unterstützung – dies, nachdem wir etwa beim Billag-Referendum oder im Aktienrecht auf keinerlei Support seitens der Hegibachstrasse zählen konnten. So geht es natürlich nicht; es braucht eine bessere Koordinierung der Positionen. Vielleicht schaffen das ja die neuen Spitzen beider Verbände – on verra…
Was muss geschehen, damit der Arbeitgeberverband und Economiesuisse – wie heute der sgv – wieder erfolgreicher auf die Politik einwirken können?
Das ist nicht unser Problem; die Frage kann ich deshalb nicht beantworten. Beide Verbände sind aber politisch zu wenig stark vertreten, und ihre Vertreter sind oft mehr Manager als Unternehmer. Heute setzen sich meist wenige grosse Firmen mit ihren Positionen durch – und die KMU haben das Nachsehen.
2019 waren Sie zu den eidgenössischen Wahlen mit dem Anspruch angetreten, dass mehr UnterÂnehmer ins Parlament gewählt werden sollten. Stattdessen wurde die sgv-Spitze abgewählt…
Vertreter der Wirtschaft wurden von der «grünen Welle» im Herbst 2019 ebenso weggespült wie solche der Gewerkschaften. Auf der rechten Seite zeigt sich, was ich bereits erwähnt habe: Es ist wichtig, dass Unternehmer in der Politik vertreten sind, weil dadurch ein direkter Draht in Exekutive und Verwaltung ermöglicht wird. Diesen Zugang nützen sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler und ich bis heute.
2012 wurden Sie als erster Romand zum sgv-Präsidenten gewählt. Was haben Sie für die Westschweiz im Verband erreicht?
Als erster Westschweizer sgv-Präsident wollte ich natürlich die Beziehungen mit den grossen Westschweizer Sektionen – Genf und Waadt – verbessern und vertiefen. Meine Vorgänger aus der Deutschschweiz hatten naturgemäss etwas weniger Kontakt mit der Romandie. Kommt dazu, dass vor allem die Genfer oft ziemlich unabhängig von der «Zentrale» in Bern agieren. Dennoch haben wir heute bessere Kontakte als auch schon mit unseren Mitgliedern in der Romandie. Als Westschweizer freut mich das sehr.
Mit Fabio Regazzi wird ein Tessiner Ihre Nachfolge antreten. Welches sind die grössten BauÂstellen, die Sie ihm hinterlassen?
Sicher die Sozialversicherungen, wo es Lösungen für die AHV, aber auch für das BVG braucht. Dann die Energiestrategie und das CO2-Gesetz. Hier dürfen wir feststellen, dass die grossen Verbraucher schon sehr viel geleistet haben. Das kann ich aus eigener Erfahrung mit unserem Sägewerk bestätigen. In Bulle haben wir eines der grössten Fernwärmenetzwerke der Schweiz, betrieben mit «sauberem» Holz. Es gibt also keinen Grund, die Wirtschaft hier übermässig zu belasten.
Und dann übergebe ich Fabio Regazzi die soeben fertiggestellte Digitalisierung-Charta. Sie wurde auf Wunsch unserer Mitglieder verfasst und soll nun am Kongress in Freiburg verabschiedet werden. Die Charta soll den KMU Unterstützung in ihren Digitalisierungsaktivitäten bieten. Ihre Umsetzung erfolgt jetzt unter der Ägide meines Nachfolgers.
Nach dem ersten Westschweizer nun also der erste Tessiner als oberster Gewerbler: Wann werden wir die erste Frau an der Spitze des grössten Dachverbands der Schweizer Wirtschaft sehen?
Mit Kathrin Anderegg hatten wir schon einmal eine amtierende Vizepräsidentin. Und eben erst hatten wir mit Diana Gutjahr eine bestens ausgewiesene Kandidatin, die dann aber ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Ich bin überzeugt, dass wir dereinst eine Frau an der Spitze des sgv sehen werden. Dies hängt aber letztlich auch von der Vertretung der Unternehmerinnen im Parlament ab…
Sie waren ein Vollblutpolitiker – trotzdem hat es in mehreren Anläufen weder zum Ständerat noch für den Bundesrat gereicht. Bedauern Sie heute noch, dass Sie diese hoch gesteckten Ziele verpasst haben?
Beide Male handelte es sich um Kampfkandidaturen, die nicht zuletzt meiner Partei, der SVP, in meinem Heimatkanton Freiburg einen Zuwachs gebracht haben. Und ich bezweifle, ob ich ohne diese Kandidaturen später acht Jahre lang den grössten Dachverband der Schweizer Wirtschaft präsidiert hätte. Dermassen bekannt war ich in der Deutschschweiz vorher nicht. Kurz: Ich trauere den scheinbar verpassten Gelegenheiten absolut nicht nach.
Wie der Politik, so haben Sie sich auch mit ganzem Herzen dem Unternehmertum verschrieben. Nun ist beides Vergangenheit. Wie sieht Ihre Zukunft aus? Das ganze Jahr auf die Jagd gehen wird wohl nicht möglich sein…
Jetzt werde ich meine drei Betriebe – die Sägerei, den Bereich Strassensicherheit sowie das Gartenbaugeschäft – offiziell an meine drei Söhne übergeben. Bis zum kommenden Sommer sollte dieses Problem gelöst sein.
Zudem bin ich seit 14 Monaten Grossvater. Und ich möchte, sobald «Corona» es erlaubt, mit meiner Frau wieder grössere Reisen unternehmen, etwa im Zug von Tansania nach Kapstadt fahren. Eines ist sicher: Langeweile wird bei mir so schnell nicht aufkommen.
Interview:
Gerhard Enggist
ZUR PERSON
Der 70-jährige Jean-François Rime trat im Mai 2012 die Nachfolge von Bruno Zuppiger als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv an. Von 2003 bis 2019 vertrat der Unternehmer aus Bulle (FR) die SVP im Nationalrat.
Am Gewerbekongress vom 28. Oktober in Freiburg (siehe Seite 3) stellt sich der Tessiner Unternehmer und CVP-Nationalrat Fabio Regazzi der Wahl zum Nachfolger Rimes.
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