Publiziert am: 22.10.2021

Hightech, Handwerk und Medizin

FUSS & SCHUH – Die Schweiz ist weltweit führend in de Orthopädie-Schuhtechnik. Der engagierte Verband setzt sich dafür ein, dass dies und auch die Berufe Orthopädieschuhmacher/-in EFZ und Schuhmacher/-in EFZ ein Beruf mit Zukunft bleibt, bei dem die Tradition nie ganz wegfallen wird. Die höhere Berufsbildung wird neu gestaltet, um so die Berufsleute fit für die Zukunft zu machen.

Wer kennt es nicht: Fussschmerzen im Fersen- oder Vorfussbereich oder die lästigen Schmerzen im Knie? Diese Probleme treten oft im Zusammenhang mit Fussfehlstellungen auf und lösen damit überlastungs-bedingte Folgen aus. Das können Sportler sein, Kinder im Wachstum, ältere Leute mit Arthrosen oder Personen mit krankheitsbedingten Problemen wie Fussdeformationen, Lähmungen, Beinverkürzungen, diabetischem Fusssyndrom usw. Abhilfe schaffen kann hier die Orthopädie-Schuhtechnik oder andere orthopädische Produkte und Behandlungen. «Beschwerden in den unteren Extremitäten gehören heute fast schon zu einer Volkskrankheit», weiss Stefan Friemel, Präsident des Verbandes Fuss & Schuh. So erstaunt es nicht, dass ganzheitliche Behandlungen in Kompetenzzentren – wo Patienten neben der Schuhversorgung diverse andere Dienstleistungen wie medizinische Fusspflege, Verkauf von Spezialschuhen usw. unter demselben Dach in Anspruch nehmen können – sehr im Trend sind. Die Orthopädie-Schuhtechnik ist im Wandel – auch hier hat die Digitalisierung und Hightechmedizin Einzug gehalten. So werden bereits heute viele neue Technologien wie 3D-Scanning von Füssen, Programme für CAD/CAM gefräste und gedruckte Hilfsmittel sowie video-basierte Bewegungsanalysen eingesetzt.

Doch die zur Verfügung stehenden Hightech-Geräte ersetzen das Handwerk nicht. «Nach wie vor braucht es viel handwerkliches Geschick, kreative Ideen und Formensinn für die individuellen und einzelangefertigten Hilfsmittel, die in der Medizin als Sonderanfertigungen klassifiziert werden. Das Zusammenspiel von Hightech, Handwerk und Medizin macht den Beruf enorm spannend und herausfordernd», erklärt Friemel. So ist beispielsweise die Fertigung eines orthopädischen Massschuhs immer ein Einzelstück respektive ein Prototyp, für den es sich nicht lohnt, Stanzmesser, Maschinenprogrammierungen usw. vorzunehmen. «Hingegen der dazugehörige Leisten kann am PC mittels CAD-Programm über den gescannten Fuss designt und anschliessend als 3D gedruckt, abgedreht oder gefräst werden. Währenddem die Herstellung des Schuhs, die Näharbeiten, das Aufzwicken, das Anbringen von Verstärkungen und Sohlen in reiner Handarbeit erfolgt», konkretisiert Friemel. Entsprechend haben sich auch die Patientenbedürfnisse verändert: «Jüngere Patienten sind heute viel mehr technikaffin und sind begeistert von Druckmessungen, Videoanalysen und Karbon-materialien.»

Innovationsgeist in der

Wegwerfgesellschaft

Rund 150 Orthopädieschuh-macher/-innen EFZ sind in den Mitgliederbetrieben tätig. Orthopädieschuhmacher/-innen EFZ als auch Schuhmacher/-innen EFZ gelten als Nischenberufe. So haben diesen Sommer zwei Lernende als Schuhmacher/-innen EFZ begonnen. «Die neuen Lehrverhältnisse im Beruf Schuhmacher/-in EFZ lassen sich seit ein paar Jahren immer an einer Hand abzählen. Dieses Jahr haben achtzehn Personen die Lehre als Orthopädieschuhmacher/-in EFZ in Angriff genommen, was wir als starken Jahrgang bezeichnen», so Geschäftsleiter Romeo Musio.

Es herrscht ein delikates Gleichgewicht zwischen Stellenangebot und Schulabgängerinnen und Schulabgängern. Wer will, kann in den beiden Berufen auch Karriere machen: Nach der Lehre als Schuhmacher/-in EFZ kann man sich selbstständig machen oder sich in einem OSM-Betrieb anstellen lassen. Wer heute als Schuhmacher/-in EFZ die Selbstständigkeit wählt, braucht allerdings eine grosse Prise Innovationsgeist und sollte sein Geschäft an gut frequentierter Lage aufbauen. «Wer seinen Platz in der Nische nicht findet, hat einen schweren Stand. Die Schuhmacher/-innen von heute müssen sich bewusst sein, dass wir leider in einer Wegwerfgesellschaft leben, wo abgenutzte Schuhe eher durch ein preiswertes neues Modell ersetzt, statt repariert werden», sagt Musio. Und er ergänzt: «Aber zu jedem Trend gibt es einen Gegentrend, wie zum Beispiel die umweltbewusste jüngere Generation, die wieder mehr Wert auf nachhaltige und langlebige Produkte legt und vielleicht einem Schuh durch eine Reparatur ein zweites Leben schenkt.»

Die Orthopädieschuhmacher/-innen EFZ haben ihren Platz klar in den OSM-Betrieben. Wer sich beruflich weiterentwickeln möchte, hat die Möglichkeit, einen Abschluss der Höheren Berufsbildung als Orthopädieschuhmacher-Meister/-in (OSM) anzustreben.

Neu wird die Höhere Fachprüfung OSM über ein zweistufiges System erreicht. Die erste Stufe besteht aus einer Berufsprüfung (BP), die zu einem eidgenössischen Fachausweis mit dem Titel «Fachmann/Fachfrau Orthopädieschuhtechnik BP» führt. «Auf dieser Stufe liegt das Schwergewicht unter anderem auf dem handwerklichen Know-how, auf der Werkstattorganisation sowie auf der Zuständigkeit für Werkstattmitarbeitende und Lernende. Mit der BP wollen wir Personen einen Abschluss der höheren Berufsbildung ermöglichen, die vielleicht den Weg bis zur HFP OSM nicht gehen können oder wollen», sagt Musio. «Das betrifft begabte Handwerker/-innen und Organisatoren/-innen, die ihre Stärken nicht zwingend auch in der Unternehmensführung haben müssen.»

«Unsere Berufe sind praktische Berufe und sollen weder verschult noch automatisiert werden.»

Wer nach erfolgreichem Abschluss der BP weitermachen will, kann nahtlos oder zeitlich versetzt die zweite Stufe bis hin zur Höheren Fachprüfung HFP OSM in Angriff nehmen. Der eidg. Fachausweis (BP) bildet dann – zusammen mit dem SIU-Diplom für Unternehmensführung – eine zwingende Zulassungsbedingung zur HFP OSM. «Unsere Berufe sind praktische Berufe und sollen weder verschult noch automatisiert werden.» Der Verband betrachtet solche Entwicklungen im Ausland mit gewisser Sorge. «In gewissen Ländern ist das handwerkliche Können in unserer Branche leider bereits verkümmert», betont Musio und doppelt nach: «Eine Berufsperson muss immer noch den Fuss und das Hilfsmittel in die Hand nehmen und fühlen können. Die Computer und Maschinen können immer mehr, aber sie ersetzen das Handwerk nur punktuell und der Fachmann muss nötigenfalls auch Arbeitsschritte, die automatisiert sind, von Hand ausführen können. Nur so kann er korrigierend eingreifen und dafür sorgen, dass ein Patient schmerzfrei gehen kann.»

Ausbildungsstandort Schweiz stärken

Fuss & Schuh engagiert sich auf politischer Ebene. Der Verband setzt sich dafür ein, dass das berufliche Know-how in der Schweiz behalten wird. So sollen etwa sämtliche Arbeitsschritte zur Herstellung der orthopädieschuhtechnischen Hilfsmittel in der Schweiz stattfinden. «Das geht nur solange, wie wir auf einen fairen Versicherungstarif zählen können», so Musio. Der Verband sieht sich hier in einem Abhängigkeitsverhältnis mit den Versicherungen, die zunehmend unter Spardruck stehen. Ebenso ist es dem Verband ein Anliegen, dass die Orthopädieschuhmacher/-innen EFZ als Gesundheitsberufe und als Handwerksberufe gleichzeitig betrachtet werden. «Es ist gerade diese Verschmelzung des Handwerklichen und Medizinischen, die unsere Stärke ausmacht.» Zudem ist der Verband Fuss & Schuh aktuell daran, die höhere Berufsbildung in der Orthopädieschuhtechnik neu zu gestalten und fit für die Zukunft zu machen. Die Schweiz soll dadurch ihren Platz als eines der weltweit führenden Länder in der Orthopädieschuhtechnik bewahren.

Die Zukunftsaussichten für die traditionellen Schuhmacher sind nicht rosig. Hier stösst der Verband an Grenzen, da er das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann. Der Beruf der Schuhmacher wird sich deshalb wohl je länger je mehr auf die Orthopädie ausrichten. Ein erster Schritt dazu wird in der Revision der Höheren Berufsbildung umgesetzt, indem die Schuhmacher sich nur in die Richtung der Orthopädieschuhmacherei weiterbilden können. Die Branche ist kein Wachstumsmarkt. Es gilt daher die politischen und technologischen Veränderungen wachsam mitzuverfolgen und soweit möglich mitzugestalten. «Wir müssen immer am Ball bleiben und dürfen neue Trends nicht verpassen. Verbandspolitisch setzen wir uns weiterhin für den Erhalt des Ausbildungsstandorts Schweiz ein», sagt Musio.Corinne Remund

www.fussundschuh.ch

DAS MACHT FUSS & SCHUHEngagiert in der Berufsbildung

Gut vernetzt und organisiert

Bereits 1874 wurde der Schweizerische Schuhmacherverein gegründet, um mit mehr Schlagkraft die Branche zu vertreten. Erst 1919 wurde allerdings ein ständiges Sekretariat unterhalten, das für die diversen Sektionen zuständig war. 1970 wurden die Orthopädieschuhmacher-Meister OSM in den Verband integriert. Auch noch heute besteht der Verband Fuss & Schuh einerseits aus den traditionellen Schuhmacher/-innen und andererseits aus den Orthopädieschuhmacher-Meistern. Der Verband zählt knapp 70 Schuhmacher/-innen zu seinen Mitgliedern – Tendenz leider sinkend. Bei den OSM sind es rund 100 Mitglieder. Der Verband Fuss & Schuh bietet für seine Mitglieder eine Dienstleistungsplattform und vertritt ihre wirtschaftlichen Interessen. Als Tarifpartner der Sozialversicherer (IV, Militärversicherung MV und Unfallversicherung UVG) erstrebt der Verband einen fairen und nachhaltigen Versicherungstarif. Zudem fördert «Fuss & Schuh» die Zusammenarbeit mit Ärzten, staatlichen und privaten Versicherungsträgern sowie mit anderen berufsverwandten Organisationen und Verbänden im In- und Ausland.

Engagiert in der Berufsbildung

Eine zentrale Aufgabe ist die Aus- und Weiterbildung. Der Verband ist die Trägerschaft der beruflichen Grundbildungen der Schuhmacher/-innen EFZ und Orthopädieschuhmacher/-innen EFZ sowie der höheren Fachprüfung zur/zum eidg. dipl. Orthopädieschuhmacher-Meister/-in (HFP OSM). Der Verband ist sehr engagiert. Neben den ordentlichen Geschäften laufen aktuell zwei Buchprojekte, ein Wettbewerb für Lernende, die Totalrevision der zweistufigen höheren Berufsbildung und eine Referentengruppe. Der Verband ist stolz darauf, dass er trotz schwieriger Bedingungen immer noch ein eigenes Magazin, das «Fuss & Schuh», in Printform realisiert, aktuell im 147. Jahrgang. Rund 500 Beschäftigte arbeiten in der Branche. CR

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