Publiziert am: 06.10.2017

«Immer an den Hut geglaubt»

RISA HUTMANUFAKTUR – Im KMU in Hägglingen werden in Handarbeit jedes Jahr drei Kollektionen Hüte produziert. Tradition, verbunden mit Innovation, bringt das Hutgeschäft zum Erfolg.

Julian Huber sitzt an einem bald hundertjährigen Werktisch an der Fensterfront und näht mit der Nähmaschine die filigranen Strohbändchen zusammen. Geduldig und geschickt macht er Runde um Runde, bis der Hut Gestalt angenommen hat. Die grossen Fenster der Manufaktur sind beschlagen. Dampf steigt vom Tisch auf. In der Mitte der Tischplatte ist ein Loch, darüber liegt ein gewölbter Deckel. Feine Dampfschwaden dringen unter dem Deckel hervor. Das Ganze sieht aus wie ein übergrosser Dampfkochtopf. «Mit Feuchtigkeit und Hitze verleihen wir dem Filzhut seine Form», erklärt Huber. Er hebt den Deckel ab und nimmt den dampfenden Hut heraus. Zieht an der Krempe, formt und dreht und steckt den Hut wieder in den Topf. Vier- bis fünfmal wiederholt er diese Prozedur, bis es «dem Filz verleidet und der Hut in Form bleibt», sagt Huber. In der traditionellen Hutmanufaktur in Hägglingen wird man ins letzte Jahrhundert zurückversetzt: Auf den Regalen an den Wänden stehen Holzmodelle. Viele tragen Spuren von feinen Nägeln, mit denen die Hutkrempen fixiert wurden. «Einige Modelle wurden bereits in anderen Hutmanufakturen verwendet. Sie waren bereits 60-jährig, als vor fast hundert Jahren die Fabrik eröffnet wurde», weiss Huber. Die meisten Modelle von Trilby über den Porkpie bis hin zum Zylinder gibt es elfmal von Grösse 54 bis 64. Mindestens 20 Nähmaschinen stehen in Reihen auf den Nähtischen.

«In der Modebranche gibt es nie eine Pause. Hier müssen wir am Ball bleiben.»

Seine Mutter Gabriela Huber fing in der 80er-Jahren als Mützenmacherin im Betrieb an. Julian stiess 2008 dazu und erlernte das Handwerk des Hutmachers von der Pike auf. 2010 übernahm er den Betrieb von seinem Onkel Fritz Wicki (siehe Kasten). «Am Anfang lief es harzig, bis 2012 ein vierseitiger Beitrag der «NZZ am Sonntag» in der Stilbeilage uns in eine gute Ausgangslage katapultierte. Zahlreiche Firmen sind auf uns zugekommen und auch die Einkäufer waren viel offener», erinnert sich Huber. Nebst diesem Quäntchen Glück führt der engagierte Jungunternehmer seinen Erfolg aber auch darauf zurück, dass er immer an den Hut geglaubt habe. «Wir versuchen, unseren Kunden unser Handwerk möglichst lebendig zu vermitteln, sei es an Messen oder beim Verkauf direkt ab Fabrik, wo sie Einblick in die Produktion erhalten», sagt Huber. «Ich und mein Team stehen hinter diesem Produkt. Dabei fragen wir uns immer wieder, ob Preis/Leistung für unsere Produkte stimmen.»

Vom Filzhut zur historischen Kopfbedeckung

Mutter und Sohn sind Handwerker mit Leib und Seele, Macher und Schaffer wie aus dem Bilderbuch: Sie produzieren in der Hutmanufaktur Risa mit einem Team von elf Vollzeitangestellten und rund zehn weiteren Heimarbeitenden. Regen- und Panamahüte, Stroh- und Filzhüte, Fedoras, Schirm- und Schiebermützen, Melonen und andere Kopfbedeckungen. Zwischen 8000 und 9000 Hüte werden pro Jahr produziert, wobei davon 2500 Hüte aufwändige Modelle sind. Jährlich generiert das KMU einen Umsatz von 1,8 Millionen Franken. Als ganz spezielles Standbein werden auch historische Kopfbedeckungen für Opernaufführungen und Theaterinszenierungen sowie Uniformenhüte hergestellt. So zählen nebst zahlreichen privaten Hutliebhabern Behörden, Opernhäuser, Theater oder Filmproduzenten zu den Kunden. «Von unseren Eigenproduktionen ist der grösste Teil Männerhüte und rund drei Prozent Frauenhüte. Wir haben allerdings viele Unisex-Modelle», erklärt Huber. Jährlich kreiert Huber drei Kollektionen – zwei Sommerkollektionen und eine Winterkollektion. Mit der sommerlichen «Freiämter Kollektion» sollen die traditionellen Freiämter Strohhüte ein Revival erleben. Seine Ideen dazu holt sich der junge Mann bei anderen Designern und kreativen Leuten, auf Messen und Ausstellungen oder in der Natur. «Man muss einfach die Augen offenhalten und so entdeckt man Vieles, das man einfliessen lassen kann», so Huber.

«Ohne Digitalisierung läuft auch in unserem traditionellen 
Betrieb nichts.»

In all den Hüten steckt viel Handwerkskunst, altes Wissen und Knowhow: «Vieles davon ist liebevolle Handarbeit und bedarf langjähriger Erfahrung und grosser Fingerfertigkeit.» Und Huber ergänzt: «Wir arbeiten auf Maschinen, die teilweise uralt sind, und setzen voll auf traditionelles Hutmacherhandwerk.» Gearbeitet wird dabei traditionell nach der englischen Zurichte. Dabei wird der Filz auf einen Holzkopf gezogen und geglättet. «Das ist zwar zeitaufwändiger und altmodischer, aber die Qualität ist so viel besser», betont Huber. Als gelernter Polymechaniker kann er seine über hundertjährigen Maschinen selber warten, was von grossem Vorteil ist. «Oft gibt es gar keine Ersatzteile mehr», so Huber. Eine weitere Stärke des innovativen Unternehmens sind die Kundenanfertigungen. «Wir arbeiten oft auf Anfertigung und erfüllen individuelle Kundenwünsche. So ist jeder Hut ein Unikat», sagt Huber. Deshalb verfügt das KMU über fast kein Lager, dafür viel Rohmaterial. Die Hutmacher der Risa benötigen für einen aufwändigen Strohhut zwischen zwei und zweieinhalb Stunden und für einen einfacheren Filzhut 30 bis 40 Minuten. Heute hätte gemäss Huber der Hut wieder einen grösseren Stellenwert als in den 80er- und 90er-Jahren. «Der Hut ist Kult und Symbol für Beständigkeit und Währschaft.»

Alles unter den Hut bringen

Die digitale Transformation beeinflusst auch die traditionelle Hutmanufaktur. «Ohne Digitalisierung läuft auch in unserem traditionellen Betrieb nichts. Dank unseres digitalisierten Systems hinter den Kulissen können wir in der Administration viel Zeit einsparen, die wir dann für die Produktion brauchen», stellt Huber fest. Für ihn schliesst Tradition Innovation nicht aus, im Gegenteil: «Auch die Tradition muss sich verändern und mit der Zeit gehen.» Als grösste Herausforderung erachtet der engagierte Aargauer, allem im Betrieb gerecht zu werden. «Ich muss oft den Spagat zwischen Büro und Produktion machen», lacht er. Ebenso müsse man immer die Konkurrenz im Ausland im Auge behalten. «In der Modebranche gibt es nie eine Pause. Hier müssen wir immer am Ball bleiben und up to date sein.» Für die Zukunft hat das Unternehmen keine grossen Ziele, obwohl viel Potenzial vorhanden ist. «Wir wollen den Status quo in der Schweiz halten. Toll wäre es, wenn wir an der Modemesse in Paris unsere Hüte präsentieren könnten», sagt Huber. Gezielt im Ausland Fuss zu fassen, darauf arbeiten er und sein Team in den nächsten Jahren hin. Corinne Remund

Tradition und digitalisierung VERBUNDEN

Mit Innovation über die Runden gekommen

n Im Jahre 1919 gründete Marin Geissmann in der Blütezeit der 
Freiämter Strohindustrie eine kleine Hutmanufaktur, die hauptsächlich Damenhüte aus Stroh herstellte.

n In den 30er-Jahren hatten Joseph Sax, Vater von der jetzigen Mitinhaberin Gabi Huber, und sein Kollege Martin Richner die Möglichkeit, den Betrieb von Marin Geissmann zu übernehmen. Als der Zweite Weltkrieg die Wirtschaft zum Erliegen brachte, wurden bei der M. Geissmann & Co. AG Kartoffeln gedörrt, um sich so über Wasser zu halten.

n Ein weiterer Meilenstein war die Anschaffung einer alten Teigwarenpresse, die auf Kunststoffverarbeitung umgerüstet wurde. Die ersten Hosenknöpfe unter dem Namen 
RIWISA wurden 1945 in Hägglingen hergestellt. So produziert man nach dem Zweiten Weltkrieg Hüte, Dörrfrüchte und Hosenknöpfe.

n Zeitgleich erschien die erste Kollektion unter dem Label RISA (Richner/Sax)

n In den 60er-Jahren war die M.Geissmann & Co. AG eine bekannte Grösse in der Herstellung von Regenbekleidungen. Mit dem passenden Hut wurde das ganze Sortiment abgerundet. Heutzutage wird praktisch nur noch ein Artikel aus diesem Betriebszweig hergestellt.

n Im Jahre 2000 wurde die in 
St. Gallen gegründete Firma La ­Casquette übernommen. Diese ist spezialisiert auf die Herstellung von Uniformmützen jeglicher Art.

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