Publiziert am: 04.03.2016

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ANFORDERUNGSPROFILE – Die Organisationen der Arbeitswelt OdA und die Gewerbeverbände sind aufgerufen, diese Orientierungshilfen bekannt zu machen und zusammen mit Volksschulen, Lehrpersonen und Berufsberatungsstellen zu nutzen.

Verschiedene Kantone der Deutschschweiz sind daran, den Lehrplan 21 einzuführen respektive in Volksabstimmungen dazu Stellung zu nehmen. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv stellt sich grundsätzlich hinter diese auf die Verfassung gestützte und durch HarmoS eingeleitete Vereinheitlichung des Lehrplanes. «Die Berufsbildung beruht auf gesamtschweizerischen Konzepten. Ihr Ziel es ist, Jugendliche zu arbeitsmarktfähigen jungen Berufsleuten auszubilden. Es ist daher zwingend, dass die Volksschule nicht auf 26 verschiedenen Grundlagen beruht», erklärt Christine Davatz, sgv-Vizedirektorin und Bildungsverantwortliche. Wenn die Lernenden aus verschiedenen Kantonen kommen, sei es ohnehin schwierig, die gemeinsame Basis für die schulische und praktische Ausbildung herzustellen.

«Anforderungsprofile sind in erster Linie eine Orientierungshilfe für Jugendliche und Betriebe und für sich allein kein 
Messinstrument.»

Für die Lehrbetriebe sei es wichtig zu wissen, über welche schulischen Disziplinen die Jugendlichen nach Abschluss der obligatorischen Schule verfügten. Neben teils mangelhaften schulischen Fähigkeiten und Kenntnissen (Rechnen, Schreiben, Lesen) seien es auch die Sozialkompetenzen (Zuverlässigkeit, Anstand, Pünktlichkeit, Leistungswille etc.), die aus der Sicht der Berufsbildenden zu wünschen übrig lassen. «Als gros­ses Problem erweist sich, dass die Zeugnisse aus der Sicht der Lehrbetriebe nicht mehr «lesbar» sind, weil die Noten offenbar nicht immer den effektiven Leistungen entsprechen. Aus diesem Grund haben viele Betriebe und auch Berufsverbände begonnen, allgemeine oder von der Branche selbst entwickelte „Zulassungstests“ einzuführen», so Davatz. Dieses «Misstrauensvotum» gegenüber der obligatorischen Schule müsse zu denken geben. Hinzu komme, dass schweizweit tätige Betriebe, aber auch schweizerische Berufsverbände die unterschiedlichen Schulsysteme, Lehrmittel, Beurteilungen etc. als wenig transparent erachteten und immer mehr Mühe bekundeten, diese Vielfalt zu akzeptieren. «Eine Koordination sollte dort, wo es ökonomisch und pädagogisch sinnvoll ist, unbedingt forciert werden. Schliesslich verlangt der heutige Arbeitsmarkt von den Arbeitnehmenden Mobilität, die häufig über die Kantonsgrenzen hinausgeht», hält Davatz fest. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern seien Harmonisierungsbestrebungen deshalb ebenfalls zu begrüssen.

Leistungen müssen 
messbar werden

Es gehe dem sgv nicht darum, Bildungsprozesse zu vereinheitlichen, sondern vielmehr, dass die erwarteten Leistungsergebnisse so beschrieben würden, dass sie für die Schulen klar und verbindlich seien. «Zudem müssen sie messbar sein und damit verglichen werden können. Auch für fächerübergreifende Themen ist es wichtig, dass die Lehrpersonen wissen, was sie vermitteln müssen», gibt Davatz zu bedenken. Dabei erachtet der sgv die mit dem Lehrplan 21 gewählten Fachbereiche Erstsprache, Fremdsprache, Mathematik und Naturwissenschaften als richtig. Auch die Fertigkeiten im Bereich der Informationstechnologien müssten einbezogen werden, gehörten sie doch heute zu den Arbeitsinstrumenten jedes Lernenden. «Es sollte heute für die Lehrpersonen ein Leichtes sein, mit den zur Verfügung ste­hen­den Mitteln und ohne übermässigen Zusatzaufwand auch in diesem Bereich Leistungsstandards einzuführen und zu überprüfen», so Davatz.

Der sgv stellt dazu drei Forderungen:

n dass für die Fachbereiche entsprechend angepasste Leistungsmessungen zwingend vorzusehen sind,

n dass sowohl die berufliche Orientierung als auch ICT und Medien eigenständige Fachbereiche werden,

n dass die Lehrerbildung in diesem Bereich explizit vorzusehen ist.

«Es ist zentral, dass die Bedürfnisse der KMU-Wirtschaft ernst genommen 
werden.»

Unsere von KMU geprägte Wirtschaft hänge stark davon ab, wie und dass unser künftiger Berufsnachwuchs auf den Übertritt in die Sekundarstufe II gut vorbereitet sei. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei es zentral, dass bereits in der beruflichen Grundbildung die nötige Leistungsbereitschaft und eine hohe Qualität gefordert und auch erlangt werde, damit der Übergang in die Arbeitswelt möglichst gut gelinge. «Über 60 Prozent der Jugendlichen nehmen eine berufliche Grund­bildung in Angriff und rund 70 Prozent dieser Lernenden werden in gewerblichen KMU ausgebildet. Es ist deshalb für uns vom sgv zentral, dass die Bedürfnisse der KMU-Wirtschaft ernst genommen werden», betont Davatz. Hauptziel einer beruf­lichen Grundbildung sei die Erlangung der Arbeitsmarktfähigkeit, was bereits in die Sekundarstufe I einfliessen müsse. «Dies heisst umgekehrt nicht, dass die Volksschule ausschliesslich auf die Arbeitswelt vorzubereiten hat. Es müssen aber die richtigen und soliden Grundlagen für die Erlangung der Kompetenzen gelegt werden», so Davatz.

Anforderungsprofile 
im Netz aufschalten

Die Anforderungsprofile von rund 190 Berufen, welche der sgv zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt erarbeitet hat, bilden dafür eine ideale Grundlage. Sowohl die OdA als auch die kantonalen Gewerbeverbände sind deshalb auf­ge­rufen, diese in ihrem Umfeld bekannt zu machen und zusammen mit den Volksschulen, Lehrpersonen und Berufsberatungsstellen anzuwenden. «So können die Anforderungsprofile bei der Lehrstellenbesetzung – sei dies für Schnupperlehren oder im Bewerbungsverfahren, aber auch bei der Lehrlingsbeurteilung, für Standortgespräche oder Fördermassnahmen – bestens eingesetzt werden», erklärt Davatz.

 

Werbung machen

Unter www.anforderungsprofile.ch sind die Anforderungen jedes Berufs hinsichtlich von 21 in der Volksschule vermittelter Kompetenzbereiche aufgeführt. Die Darstellung der Anforderungsprofile umfasst die erforderliche Ausprägung der in der Schule erworbenen Kompetenzen, eine typische Anwendung im beruflichen Umfeld sowie weitere wichtige Anforderungen wie zum Beispiel motorische Fähigkeiten oder die Sozialkompetenz. «Damit erhalten Jugendliche, Eltern, Betriebe, Lehrpersonen und weitere interessierte Kreise die Möglichkeit, die schulischen Anforderungen der verschiedenen Berufe zu erkennen und sie miteinander zu vergleichen», sagt Davatz. Die Profile und Beschreibungen sind methodisch sehr sorgfältig erarbeitet worden und bilden die realen Anforderungen der Wirtschaft ab. «Sie sind in erster Linie eine Orientierungshilfe für Jugendliche und Betriebe und für sich allein kein Messinstrument. Ziel ist es, dass die Jugend­lichen sich früher und verlässlicher mit den schulischen Anforderungen ihres Wunschberufs auseinandersetzen können und dass die Betriebe zielgerichteter ihre künftigen Lernenden finden», erklärt Davatz. So bestehe am Schluss die Hoffnung, auch die Zahl der Lehrabbrüche zu verringern.

Bildungsraum Nordwestschweiz geht voran

Im Bildungsraum Nordwestschweiz haben Fachleute Leistungsmessungen erarbeitet, damit die Anforderungen mit den erbrachten Leistungen verglichen werden können. «Die Einführung ist hoffentlich bald möglich, ist doch angesichts des Fach­kräfte­mangels ein zeitlicher Druck vorhanden», so Davatz und sie ergänzt: «Die Gegen­überstellung des individuellen Kompetenzprofils mit unseren Anforderungsprofilen lässt sich dem Bewerbungsdossier beilegen und unterstützt somit das Bewerbungs- respektive das Auswahlverfahren.»

Corinne Remund

 

SGV enttäuscht über BFI-Botschaft

«Wir verlangen vom Parlament eine dringend notwendige Korrektur der BFI-Botschaft»

Der Bundesrat lobt die Berufsbildung überschwänglich. Doch den schönen Worten folgen keine Taten. Die Zahlen der BFI-Botschaft zeigen, wie widersprüchlich die Exekutive ist: «Für die Berufsbildung als Ganzes ist eine jährliche Wachstumsrate der Fördermittel von nur 1,4 Prozent vorgesehen, wohingegen ETH und Universitäten, ja selbst die Raumfahrt mit 2,3 bis 2,5 Prozent jährlich wachsen dürfen», stellt sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler fest. Und weiter fragt sich der Zürcher FDP-Nationalrat: «Wo bleiben die versprochenen 400 Millionen Franken alleine für die höhere Berufsbildung, wenn die ganze Berufsbildung nur um 1,4 Prozent wachsen darf?»

Bundesrat verschärft 
Ungleichbehandlung

Statt gemäss dem Verfassungsauftrag zu handeln und die höhere Berufsbildung der akademischen Ausbildung gleichwertig zu behandeln, verschärft der Bundesrat die Ungleichbehandlung. «Das geht zulasten der Schweizer Bevölkerung, vor allem der jungen Generation. Schliesslich wählen mehr Jugendliche den Weg der Berufsbildung als jenen einer akademischen Ausbildung», so Bigler.

Ausser Worten nichts für die 
Berufsbildung übrig

Der Bundesrat vergisst auch, dass Mittel für die höhere Berufsbildung Investitionen in Innovation und Produktivität sind. «Wir sind sehr enttäuscht, dass der Bundesrat ausser Worten nichts für die Berufsbildung übrig hat», betont der Gewerbedirektor und doppelt nach: «Wir verlangen vom Parlament eine dringend notwendige Korrektur der BFI-Botschaft.»

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