Publiziert am: 17.09.2021

Kanada und die EU

KANADA – Mehrmals schon wurde das Verhältnis zwischen dem zweitgrössten Staat der Welt und der EU als Vorbild – auch für die Schweiz – porträtiert. Seit dem Nein zum Institutionellen Rahmenabkommen lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen.

Mit der Europäischen Union (EU) unterhält Kanada seit 2017 ein Freihandelsvertrag. Es heisst «Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA» und soll den Handel mit Waren, Dienstleistungen und Investitionen fördern und die Wirtschaftsbeziehungen stärken. Was sind die Inhalte dieses Vertrags?

Abschaffung von Zollabgaben: Ab Inkrafttreten werden 99 Prozent aller Industriezölle und 92 Prozent der Agrarzölle abgebaut. Innerhalb von sieben Jahren werden die verbleibenden 17 Industriezölle, etwa bei Automobilen und Schiffen, abgebaut. Wichtige Ausnahmen bleiben bestehen für besonders sensible Produkte im Agrarbereich.

Abschaffung von nichttarifären Handelshemmnissen: Durch das CETA-Abkommen werden bürokratische Hürden abgebaut, zum Beispiel durch die Vereinfachung der Zollverfahren oder die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsprüfungen. Gleichzeitig werden Marktzugangshürden für Dienstleister abgebaut.

Mobilität von Fachkräften: Der temporäre Aufenthalt zur Dienstleistungserbringung und zu Geschäftszwecken wird erleichtert. Mit Vereinfachungen für die Entsendung von Mitarbeitern in Tochterunternehmen haben Monteure und Techniker nun zum Beispiel die Möglichkeit im Rahmen von vertraglicher Gewährleistung und Serviceverträgen gelieferte Maschinen und Anlagen leichter zu installieren oder zu warten.

Beidseitiger Zugang zu öffentlichen Aufträgen: Der Marktzugang zu öffentlichen Ausschreibungen wird erstmals auf allen staatlichen Ebenen geöffnet. Kanada und die EU werden zudem eine zentrale elektronische Datenbank einrichten, über die sich Unternehmen über jede Ausschreibung aller ­Verwaltungsebenen informieren können.

Investitionsschutz und Förderung: Im Bereich des Investitionsschutzes sieht das Abkommen eine Abkehr vom vorherigen System der privaten Schiedsgerichte mit einem grundlegend renovierten, modernen Streitschlichtungsverfahren vor, das das staatliche Recht zur Regulierung ausdrücklich festschreibt. Es wird einen neuen Investitionsgerichtshof (ICS) mit unabhängigen Richtern, einer Berufungsinstanz, ein transparentes Verfahren mit Erleichterungen für KMU und restriktive Zulassungshürden für Klagen geben.

Ursprungsregeln: Der Aufbau der allgemeinen Ursprungsregeln, also der Nachweis des Produktionsortes wird vereinfacht und lokale Standards werden gegenseitig anerkannt.

Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen: Dienstleistungsanbieter erhalten im Post- und Telekommunikationsbereich sowie auf Teilstrecken der Seeschifffahrt ab Inkrafttreten einen vereinfachten Marktzugang.

Und die Schweiz?

Ob sich das CETA als Vorbild im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU eignet, wird sich noch zeigen. Erstens ist das Abkommen noch zu jung, um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können. Zweitens waren viele CETA-Klauseln schon längst Realität mit dem Freihandelsabkommen Schweiz-EU und den Bilateralen, die ja in Kraft bleiben. Drittens ist das politische Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU anders als jenes zwischen ihr und Kanada.

Doch auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kanada sind nicht schlecht. Das Freihandelsabkommen EFTA mit den Nordamerikanern ist eine Erfolgsgeschichte und hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Wachstum des Handels- und Investitionsvolumens, welches in den vergangenen Jahren beobachtet werden konnte. Die Schweiz exportiert nämlich für etwa 4 Milliarden Franken jährlich nach Kanada. Mit dem Freihandelsabkommen konnten namentlich KMU bis zu total 20 Millionen Franken sparen.

Auch wenn sich das CETA nicht als Vorbild fĂĽr den Handel Schweiz-EU zeigen sollte: Der Handel Schweiz-Kanada ist gesichert und floriert. Aber auch die Beziehungen Schweiz-EU stehen nicht so schlecht da. Die Vertragsbasis der Bilateralen steht immer noch.

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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