Publiziert am: 25.04.2014

Karl Marx und der Traum vom Mindestlohn

TRIBÜNE

Dass ein gesetzlich festgesetzter Mindestlohn den Berufsanstieg behindert und die Arbeitslosigkeit fördert, ist wohlbekannt. Warum gibt es dennoch Anhänger eines Mindestlohns? Welche Annahmen stehen hinter dieser Forderung? Warum wird im Jahr 2014 in der Schweiz ein gesetzlicher Mindestlohn angestrebt, obwohl in unserem Land im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Löhne gezahlt werden, auch für Menschen ohne höhere (aber mit beruflich relevanter) Ausbildung?

Bekannt ist, dass die Befürworter des Mindestlohns die Überwindung des Kapitalismus zu ihrem Programm gemacht haben. Ein Totschlagargument? Keineswegs, denn die Idee eines «gerechten» Mindestlohns geht tatsächlich auf einen alten sozialistischen Theoretiker zurück: Karl Marx. Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer erlebt also mit dem Mindestlohn eine längst überholte Theorie des 19. Jahrhunderts eine unverdiente Wiederbelebung. John M. Keynes sagte einmal treffend, dass Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, gewöhnlich «die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen» seien. Auf die Anhänger des Mindestlohns trifft dies ganz sicher zu.

Genauer beruht die Idee des Mindestlohns auf der Marx’schen Arbeitswerttheorie. Diese besagt, dass Arbeitgeber ihre Angestellten «ausbeuten»: Ein Unternehmensbesitzer hat demnach keinen eigentlichen Verdienst, er besitzt schlicht die Produktionsmittel und kann daher, entspannt eine Zigarre rauchend, die Füsse auf den Tisch legen und dabei zusehen, wie sich sein Vermögen mehrt. Die Angestellten sind es dagegen, die tatsächlich etwas herstellen. Sie investieren ihre Zeit in die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Der Wert solcher Produkte ergibt sich nach Marx aus der für ihre Herstellung notwendigen Arbeitszeit. Wenn ein Paar Schuhe zwölf Stunden Arbeit in Anspruch nimmt und ein Kuchen nur vier, dann entspricht der Wert dreier Kuchen dem eines Paars Schuhe. Zahlt nun der Arbeitgeber seinem Angestellten weniger als diesen Arbeitswert, «stiehlt» er – so Marx – einen Teil des «gerechten» Lohns.

Die marxistische Arbeitswerttheorie wurde schon bald von Ökonomen wie Carl Menger und Eugen von Böhm-Bawerk widerlegt. Sie zeigten, dass der Wert einer Sache nicht der Arbeitsleistung entstammt, sondern dem subjektiv empfundenen Nutzen des Konsumenten. Damit dieser ein Produkt kauft, muss er den Nutzen des Angebots höher einstufen, als die mit dem Kauf verbundenen Kosten – oder die eines alternativen Angebots. Der Anbieter muss sich darum bemühen, seine Produkte möglichst schneller, günstiger und besser anzubieten, als die Wettbewerber. Und genau dies ist die Aufgabe des Unternehmers. Seine Vision, wie die Bedürfnisse der Kunden optimal befriedigt werden können, ist die Grundlage dafür, dass die Angestellten überhaupt einen Lohn erhalten: Der Unternehmer trägt die Kosten der Organisation einer kommerziellen Unternehmung, er trägt auch das Risiko eines Scheiterns. Den Angestellten aber nimmt er das Einkommensrisiko ab – diese werden für Ihre Arbeit entschädigt, unabhängig davon, ob der Unternehmer das Produkt am Ende tatsächlich gewinnbringend verkaufen kann.

Wenn nun ein Unternehmer vom Staat gezwungen wird, seinen Angestellten einen Lohn zu zahlen, der deren Produktivität übersteigt, wird er notwendigerweise seine Arbeitskosten reduzieren müssen. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Zahlungsbereitschaft der Kunden, nicht aus der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Mit dem Mindestlohn erhalten darum Arbeitnehmer mit geringer Produktivität nicht einfach mehr oder einen «gerechteren» Lohn – sie werden vielmehr vom Markt verdrängt. Sie verpassen damit auch die Chance zum Aufstieg in höhere Einkommenskategorien. Weil die Idee des Mindestlohns also auf überholten ökonomischen Theorien beruht, zerstört sie heute ganz reale Arbeitschancen für Geringqualifizierte, Nebenerwerber und Menschen mit weniger materiellen Bedürfnissen. Sozialistisch mag das sein – gerecht ist es ganz sicher nicht.

*Pierre Bessard ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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