Publiziert am: 07.09.2018

Karriere dank der Lehre

BERUFSBILDUNG – Nur wenn die Schüler im Berufswahlprozess mit Schnuppern und Anforderungs­-
profilen genügend auf die Lehre vorbereitet werden, kann die Flexibilität unseres Bildungssystems voll zum 
Tragen kommen. Ebenso wichtig ist die internationale Anerkennung für die höhere Berufsbildung.

Viele Jugendliche haben ihre obligatorische Schulzeit beendet, und für sie hat nach den Sommerferien eine neue Lebensphase begonnen. Zwei Drittel aller Schulabgänger steigen in die Arbeitswelt ein. Die Eltern sind oft unsicher, ob ihr Kind damit den richtigen Weg gewählt hat, und sie fragen sich, ob die Vorbereitung auf die Berufswahl genügend war. «Es ist leider eine Tatsache, dass je nach Beruf zwischen 10 bis 30 Prozent der Lernenden ihre Lehre abbrechen und eine neue beginnen», sagt Christine Davatz, sgv-Vizedirektorin sowie Bildungsverantwortliche. Ein wichtiges Element im Berufswahlprozess sind die Schnupperlehren. Dies kann 
Patrick Balmer, Inhaber der Carrosserie Spiez AG in Spiez sowie Ausbildner, nur bestätigen: «Schnuppern ist wichtig für die Jugendlichen, damit sie einen Einblick in den Arbeitsalltag ihres künftigen Jobs bekommen. Wir gehen in Spiez sogar noch einen Schritt weiter und wollen in einem neuen Projekt die Lehrer der 7. bis 9. Klasse zum Schnuppern in die Betriebe einladen. Denn nur so können sie ihre Schüler noch mehr dazu motivieren.»

Auch Isabelle Zuppiger, Präsidentin von profunda-suisse, setzt sich für eine starke Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung auf allen Bildungsstufen ein: «Schüler, Lehrpersonen, Eltern und Erziehungsberechtigte sollten die Durchlässigkeit des Bildungssystems immer wieder an konkreten Beispielen erfahren. Nur so können die Schüler nicht nur auf der Sekundarstufe I gemäss ihren Interessen und Fähigkeiten eine erste Berufs- und Ausbildungswahl treffen, sondern auch in ihrem weiteren Ausbildungs- und Erwerbsleben die Möglichkeiten des Bildungssystems nutzen.»

Anforderungsprofile als
Wegweiser bei der Berufswahl

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv fordert deshalb schon lange, dass die Berufswahlvorbereitung in allen Kantonen institutionalisiert wird, sowohl für künftige Lernende wie auch für Studierende. «Mit der Einführung des Lehrplans 21 ist die Berufsorientierung zwar verankert worden, wie dann die Umsetzung erfolgt, wird sich erst noch zeigen müssen. Die Klagen der Kantone, nicht genügend Mittel dafür zu haben, sind hinlänglich bekannt», sagt Davatz.

Der sgv hat deshalb zusammen mit den Berufsverbänden und 
der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) vor Jahren die schulischen Anforderungsprofile in den Fächern Schulsprache, Mathematik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen in allen 250 Lehrberufen erarbeitet. «Damit erfahren die Schüler, welche schulischen Kenntnisse in den verschiedenen Berufen nötig sind. Zudem können sie die verschiedenen Berufsanforderungen miteinander vergleichen und sehen auch, in welchen schulischen Fächern sie noch zulegen müssten», erklärt Davatz. Die meisten Kantone verwenden 
allerdings noch «Stellwerk», dessen Berufsprofile aber nicht miteinander vergleichbar sind. «Wir bemühen uns deshalb intensiv, mit den verschiedenen Kreisen die Anforderungsprofile noch mehr zu verbreiten», betont sgv-Direktor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler.

Internationale Anerkennung

für höhere Berufsbildung

Leider kennen viele Eltern, aber auch Lehrpersonen unser vielfältiges duales Berufsbildungssystem zu wenig und setzen Bildung einfach mit Schule/Hochschule gleich. Wer möchte nicht, dass sein Kind möglichst gebildet – also mit einem reichlich bestückten Schulsack – Karriere macht? So verwundert es nicht, dass trotz rückläufiger Schülerzahlen der Zugang zu den Gymnasien konstant bleibt und die Hochschulen sich immer grösserer Beliebtheit erfreuen. Allerdings beträgt die Abbruchquote auch hier rund 
30 Prozent.

Der sgv kämpft deshalb auf allen Ebenen, dass die höhere Berufsbildung als Karriereweg nach einer 
Berufslehre endlich den Stellenwert erhält, den sie verdient. Dies nicht nur in Bezug auf die Anerkennung der Gleichwertigkeit zur akademischen Bildung, sondern auch bezüglich der Titelfrage. Im Bildungs­bericht 2018 der schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungs­forschung (SKBF) wird zwar festgehalten, dass es keine Unterscheidung mehr gibt zwischen Tertiär A (Hochschulen) und Tertiär B (höhere Berufsbildung). In der Praxis sieht es aber anders aus. «Für uns ist es zwingend, dass für die englische Übersetzung aller Abschlüsse auf Niveau 6 der Begriff «Professional Bachelor» und auf Niveau 7 «Professional Master» einzuführen ist. Diese politische Forderung stellen wir schon seit Jahren, so erst recht 
mit Blick auf das grosse Projekt des Bundes, Berufsbildung 2030», betont Davatz (vgl. Kasten)». CR

www.anforderungsprofile.ch

BERUFSBILDUNG 2030

Kritik des sgv trägt endlich Früchte

Im Rahmen einer Verbundpartnertagung startete das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) 2016 das Projekt «Berufsbildung 2030». Bereits zu Beginn forderte der sgv, dass in diesem wichtigen Thema nicht nur Berufsbildungs­kreise involviert sein müssen, sondern sowohl die «Zubringer», sprich die Volksschule, als auch die «Abnehmer», das heisst die 
höhere Berufsbildung und die Hochschulen. Nun ist auf Druck des sgv zusätzlich zum Leitbild und dem kritisierten Hintergrundbericht ein Zusatzbericht vorgesehen. Dieser beinhaltet und fordert:

• Die Einordnung der Berufsbildung in das gesamteschweizerische Bildungssystem.

• Die gezielte Institutionalisierung der Berufswahlprozesse der obligatorischen Schule wie auch in den Gymnasien zu thematisieren.

• Die höhere Berufsbildung sowie die Erwachsenenbildung ins Berufsbildungssystem einzubeziehen.

• Unternehmen und Organisationen der Arbeitswelt (OdA) als zentrale Partner im Schweizer Berufsbildungssystem anzuerkennen.

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