Publiziert am: 07.10.2022

KMU opfern – Strombarone retten

ENERGIE – Die Strompreise spielen verrĂŒckt. Sie schnellen in absurde Höhe. Politisch will man nichts dagegen tun und lĂ€sst die KMU im Regen stehen. Doch wenn ein Strombaron sich an der Börse verzockt, dann eilt sehr rasch der Staat zur Hilfe.

Reales Beispiel: Eine Metzgerei im Kanton GraubĂŒnden ist seit etwa sieben Jahren im «freien Strommarkt». Der lokale Stromversorger hat sie zu diesem Schritt ermutigt. Im Durchschnitt dieser Jahre hatte die Metzgerei einen Preisvorteil von sage und schreibe 0,007474 Franken pro Kilowattstunde. Das ergibt eine vermeintlich «unglaubliche» Ersparnis von 6‘412 Franken und 70 Rappen fĂŒr die gesamten sieben Jahre – oder 916 Franken und 10 Rappen pro Jahr. Mit der aktuellen Preisexplosion im Strommarkt muss diese Firma nun einen Kostensprung von 90 000 Franken tragen.

Der lokale Strombaron – also derselbe, der dem KMU den Schritt in den Markt empfohlen hatte, zuckt deswegen bloss mit den Schultern. Die Metzgerei habe jahrelang von tiefen Tarifen profitiert, nun mĂŒsse sie eben mehr bezahlen, behauptet er. Ein Hohn: Der kumulierte Preisvorteil der «tiefen» Tarife belief sich auf 6500 Franken; der aktuelle Kostensprung hingegen betrĂ€gt 90 000 Franken. Der Hohn ist weniger, wie dreist der Strombaron hier vorgeht, sondern dass die Politik ihm tatsĂ€chlich glaubt.

Marktmacht und die hohle Hand

Kein Zweifel: Die Strombarone sind Meister im Abholen von Subventionen. Sie verfĂŒgen nicht nur ĂŒber einen bedingungslosen Grundgewinn, gewĂ€hrt durch die staatlich zugesicherte Kapitalverzinsung. Ihnen wird darĂŒber hinaus auch Geld in die Taschen gestopft fĂŒr den Bau und den Erhalt von Produktions-kapazitĂ€t und Netzen.

Eine weitere, ziemlich ertrĂ€gliche Geldquelle ist der vermeintlich «freie» Strommarkt. Denn die Preise dort richten sich immer nach dem teuersten EnergietrĂ€ger – meist ist es Gas. Wenn man also mit subventionierter Wasserkraft Strom produziert und an der Börse handelt, verkauft man diesen zum viel höheren Gaspreis. Entsprechend ist der «freie» Strommarkt ein Oligopol – also eine Form des Monopols, bei der der Markt von wenigen Grossunternehmern beherrscht wird. Nur wenige Unternehmen können ĂŒberhaupt mit Strom handeln, und der Marktzutritt ist schwer. Eine disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs gibt es im «freien» Markt nicht.

Unendliche Gier

Doch diese – gleich doppelte – Marktabschöpfung genĂŒgt den Strombaronen nicht. Sie betreiben darĂŒber hinaus auch noch spekulativen Stromhandel. Das heisst, sie spielen mit den weltweit unterschiedlichen Preismechanismen in den TermingeschĂ€ften. DafĂŒr nehmen sie grosse Risiken auf sich. GrundsĂ€tzlich ist das nicht problematisch – wenn man die Regeln des Marktes kennt. Die Hauptregel ist: EinsĂ€tze werden tĂ€glich geleistet. Anders ausgedrĂŒckt: Die Rechnungen werden am Tagesende bezahlt.

Ein besonders gieriger Baron hat diese Regel offenbar schlicht vergessen. Und weil er sich verzockt hat, gefÀhrdete er sein Fortbestehen. Und damit auch die Versorgungssicherheit der Schweiz. Und was tut die Politik? Statt ihn zur Rechenschaft zu ziehen, schmeisst sie ihm auch noch Geld nach. Und zwar sehr viel Geld. Mehrere Milliarden Franken wurden diesem Baron als Rahmenkredit gewÀhrt. Die Gier des Versagers wird also belohnt.

Barone sind Staatsunternehmen

Die Politik ist also in der Schweiz bereit, KMU zu opfern. Strombarone hingegen, die an der eigenen Gier zugrunde zu gehen drohen, werden erhalten. Das ist absurd – aber gleichzeitig logisch. Denn Strom-barone sind Staatsunternehmen. Dass der Staat sich selbst schĂŒtzt, ist keine Überraschung. Dass er bereit ist, KMU untergehen zu lassen, ist auch nicht neu.

An dieser Dynamik wird sich erst dann etwas Ă€ndern, wenn man die Tafelrunde der gefrĂ€ssigen Strom-barone auflöst. DafĂŒr braucht es ein neues Marktdesign. DafĂŒr braucht es aber auch mehr Corporate Governance. Und vor allem braucht es Mut und Verantwortungsbewusstsein seitens der Politik.

Anders als die Politik löst der BĂŒndner Metzger sein Problem selbst. Er will nun seinen eigenen Strom produzieren.

Henrique Schneider,

stv. Direktor sgv

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