Publiziert am: 18.11.2022

Kommt es zum Showdown?

SOZIALPARTNERSCHAFT – Die Kom­mis­sion für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats beantragt, die Motion «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» von Ständerat Erich Ettlin anzunehmen. Der Stände­rat hat dem wichtigen Anliegen bereits zugestimmt. Und der Nationalrat?

Die für die Zukunft der bewährten Sozialpartnerschaft äusserst wichtige Motion – sie kam in der WAK-N mit 11 zu 10 Stimmen nur knapp durch – wird in der Wintersession im Nationalrat beraten. Sie verlangt, dass die Bestimmungen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrags (ave GAV) zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch anders lautenden Bestimmungen der Kantone vorgehen sollen. So, wie das vor dem umstrittenen Urteil des Bundesgerichts zum Mindestlohn im Kanton Neuenburg aus dem Jahr 2017 der Fall war. Bei allen anderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen behalten die Kantone das Recht, selbst in ave GAV einzugreifen.

Tief verankert

Die Sozialpartnerschaft und der Föderalismus sind in der politischen Kultur der Schweiz tief verankert. Doch seit dem problematischen Bundesgerichtsurteil ist klar geworden, dass kantonale Massnahmen – z. B. höhere Mindestlöhne – Bestimmungen eines ave GAV aushebeln können. Konkret sind in einer Branche kantonal höhere Mindestlöhne bestätigt worden, als der ave GAV dies vorsieht. Solche Entscheide führen zu Unsicherheiten bei den Betroffenen und unterlaufen sozialpartnerschaftliche Verhandlungen. Was macht es für einen Sinn, national zu verhandeln, was kantonal übersteuert werden kann?

Rechtsunsicherheit beseitigen

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv unterstützt diese Motion. Ihre Annahme beseitigt die durch das Bundesgericht geschaffene Rechtsunsicherheit. Die Kantone können weiterhin arbeitsrechtliche Bestimmungen erlassen. Nur im Bereich Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch werden ave GAV von solchen kantonalen Bestimmungen ausgenommen. Einseitige kantonale Eingriffe, die einzelne lohnrelevante Bestimmungen der ave GAV aushebeln, untergraben die Allgemeinverbindlicherklärungen des Bundesrates, weshalb eine Klärung des Vorrangs unumgänglich geworden ist. Andernfalls droht das Schweizer Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft mehr und mehr zu erodieren.

Scheinheilige Argumentation

Wenn jetzt die Gewerkschaften argumentieren, dass es aus staatspolitischen Gründen problematisch sei, GAV, bei denen es sich um Vereinbarungen zwischen Privaten handle, dem kantonalen Recht vorzuziehen, so ist das scheinheilig. Für allgemeinverbindlich abgeschlossene Gesamtarbeitsverträge braucht es den Willen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Zudem muss das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO gewisse Mindestanforderungen feststellen, damit der Bundesrat in seinem Beschluss überhaupt eine Allgemeinverbindlichkeit festlegen kann. Kantonale Beschlüsse, welche auf Bundesebene sozialpartnerschaftlich vereinbarte Mindestlöhne übersteuern, sind von den Gewerkschaften ja wohl nur dann akzeptiert, wenn sie die Mitarbeitenden besserstellen ... Denkbar wäre aber auch, dass ein kantonaler Erlass schlechtere Bedingungen ergeben würde. Würde dann die Diskussion auch geführt? Wohl kaum!

Die sozialpartnerschaftlichen Errungenschaften sollen nicht mutwillig aufs Spiel gesetzt werden. Mit dem Bundesgerichtsentscheid von 2017 ist das aber passiert. Dies muss nun korrigiert werden.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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