Publiziert am: 20.09.2019

«Kompromiss» in Schieflage

ALTERSVORSORGE – Immer lautere Kritik am Gewerkschaftsmodell zur BVG-Revision. PK-Experten rechnen mit jährlichen Mehrkosten von 3,25 Milliarden; massiv mehr als die von den «Sozialpartnern» inkl. Arbeitgeberverband schöngerechneten 2,7 Milliarden – und mehr als das Doppelte des sgv-Modells.

Das vom Schweizerischen Arbeitgeberverband unterstützte Gewerkschaftsmodell zur BVG-Revision kommt in der Fachwelt ganz schlecht an (vgl. sgz vom 9. August). Peter Wirth, Geschäftsführer Vorsorgeforum, kritisierte die «Idee eines lebenslangen Rentenzuschlags für die von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffenen Rentner bis 15 Jahre nach der Senkung» in der Gewerbezeitung scharf. «Dass der Arbeitgeberverband so etwas unterstützt, muss irritieren», so der profilierte BVG-Kenner.

Auch die St. Galler Volkswirtschaftsprofessorin Monika Bütler hält den vorgeschlagenen Rentenzuschlag von bis zu 200 Franken pro Monat für ungerecht. Er führe zu «doppelten Kosten für eine Generation und doppelten Kompensationen für eine andere», sagte sie gegenüber der NZZ.

Ungedeckte Checks

Seit der – vom Schweizerischen Gewerbeverband sgv ausdrücklich nicht mitgetragene – sogenannte «Kompromiss» der «Sozialpartner» im Juli publik geworden ist, mehren sich die Stimmen, die dem unausgegorenen, teuren und ordnungspolitisch unsinnigen Gewerkschaftsvorschlag gar nichts abgewinnen können. Hinter vorgehaltener Hand wird in Bern – in Anspielung auf den etwas gar blauäugigen Arbeitgeberpräsidenten, der sich von den Gewerkschaften aufs Glatteis führen liess – schon das maliziöse Bonmot verbreitet: «Früher musste man sich vor dem Steuervogt fürchten – heute ist es der Lohnprozente-Vogt.»

Ernsthaftere Kritik wird in den Medien geübt. Unter dem Titel «Das Luxus-Modell der Rentenreform» vergleicht die NZZ die Ideen zu den PK-Renten. Dabei schätzt das renommierte Expertenbüro c-alm die Gesamtkosten des sogenannten «Sozialpartner-Kompromisses» auf 3,25 Milliarden Franken pro Jahr und nicht, wie vom Arbeitgeberverband schöngerechnet, 2,7 Milliarden. «In diesem Umfang müssten Erwerbstätige und Arbeitgeber im Durchschnitt pro Jahr Zusatzbeiträge zahlen, um die Renten zu finanzieren», bilanziert NZZ-Autor Hansueli Schöchli. Und schreibt, mit Blick auf den vorgeschlagenen Rentenzuschlag von bis zu 2400 Franken nach dem Giesskannenprinzip für die ersten 15 Neurentner-Jahrgänge: «Die Politik der Altersvorsorge funktioniert wie eine Sperrklinke. Jeder Leistungsausbau ist praktisch nicht mehr rückgängig zu machen.» Die 50- bis 64-Jährigen würden zulasten der Jüngeren subventioniert, schreibt der NZZ-Autor weiter und stellt nüchtern fest: «Es braucht etwas viel politische Naivität, um anzunehmen, dass es dann (ab dem 16. Neurentner-Jahrgang – die Red.) keine Zuschläge mehr gäbe und die zusätzlichen Lohnabzüge wieder ­gestrichen würden.»

Eine Einschätzung, der sich auch der Zürcher FDP-Nationalrat und Gewerbeverbandsdirektor Hans-­Ulrich Bigler dem Sinn nach anschliesst, wenn er sagt: «Es werden laufend ungedeckte Checks für die junge Generation ausgestellt – und wir sind erst am Anfang…»

Das vom sgv präsentierte Modell rechnet mit jährlichen Mehrkosten von 1,5 Milliarden (die Experten von c-alm kommen sogar nur auf 1,3 Milliarden), verzichtet auf einen Rentenzuschlag und auf jegliche Umverteilung in der 2. Säule.

Massive Zusatzkosten

In einem Gastkommentar in der NZZ stellt Gottlieb Keller, Präsident der Pensionskasse von Roche, zum «Kompromiss» fest: Dieser habe «zu massiver Kritik auch innerhalb des Arbeitgeberverbands» geführt. Keller rechnet mit Blick auf den «Solidaritätsbeitrag» von zusammen 0,5 Lohnprozenten der Firma Roche und ihrer Angestellten über 15 Jahre vor: «Die Jüngeren zahlen 77 Millionen, ohne davon zu profitieren.» Der Reformvorschlag sei «kein Beispiel gelebter Sozialpartnerschaft».

Auch im «Tages-Anzeiger» – «Pensionskassen zerzausen die Rentenreform» – kritisieren PK-Experten den Rentenzuschlag. So etwa Martin Wagner, Geschäftsführer der Pensionskasse der Credit Suisse. Die vorgeschlagene Reform «verfehlt das Ziel einer nachhaltigen Finanzierung der Altersvorsorge», findet er. Christoph Ryter, Geschäftsführer der Migros-Pensionskasse und Vizepräsident des Pensionskassen­verbands ASIP, doppelt nach: Jenen Neurentnern, die keine Einbussen erlitten, einen Rentenzuschlag auszustellen, empfinde er als «nicht fair». En

vgl. auch «Die Meinung», S. 2

AUCH LINKS DÄMMERTS

Gewerkschaft Unia erhöht Rentenalter

Trotz anders lautender, roter Rhetorik kann sich auch die Linke den Realitäten in der Altersvorsorge nicht länger verschliessen. 84,4 Prozent aller Mitarbeitenden der Gewerkschaft Unia haben sich – bei einer Stimmbeteiligung von knapp 60 Prozent – für eine Erhöhung ihres Rentenalters von 62 (!) auf 63 Jahre in der Pensionskasse ausgesprochen und einer Erhöhung ihrer Spar- und Risikobeiträge zugestimmt. «Die Unia-PK leidet logischerweise an denselben Problemen wie die anderen Kassen auch», sagt Unia-Vize Aldo Ferrari gegenüber der hausinternen Publikation «Work». En

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