Publiziert am: 18.09.2020

Die Meinung

Konflikte ausfechten

Karl Marx hatte nie einen fixen Job. Als er sich zum ersten und einzigen Mal im Leben bewarb, wurde er wegen seiner unleserlichen Handschrift nicht angestellt. Er spezialisierte sich dann auf das Studieren.

Gelebt hatte er von den Geldern seines Freundes Friedrich Engels, eines grossindustriellen Inhabers einer Textilfabrik. Als Kommunisten benützten Marx und Engels die Gelder des Kapitalismus, um ein Proletariat, das sie höchstens vom Hörensagen kannten, gegen den Kapitalismus selbst aufzuscheuchen. Nie wurde so lustvoll in die fütternde Hand gebissen, als bei den beiden.

Diese Vorgehensweise scheint seither in der Linken fest verankert zu sein. «Na und?», kann man sich fragen. Wenn man es weiss, kann man sich entsprechend einrichten. Das ist zwar richtig, doch es geht immer wieder vergessen.

Aktuellstes Beispiel für das Unvermögen, die linken Spiele zu verstehen, sind die Konzerne. Diese springen immer wieder der Linken nach. Ob «Diversity», Vaterschaftsurlaub oder Klimapolitik – Konzerne machen gehorsamst alles, was die Linke will. Weshalb? Sie erhoffen sich einen Imagevorteil – und wohl auch, in Ruhe gelassen zu werden.

Getreu dem Grundsatz von Marx und Engels beisst die Linke umso lustvoller in die Hand der Konzerne. Etwa: Obschon die Konglomerate auf alle linken Züge aufgesprungen sind, ist die Linke in der Konzernverantwortungsinitiative unerbittlich. Alles Anbiedern und Anbandeln seitens der Konzerne hat nichts genützt.

Doch nicht einmal das merken sie. Die Kampagne gegen die Initiative steht unter dem Motto «Helfen ja, aber doch nicht so». Damit geben Konzerne selbst zu, dass es «Probleme» gibt. Sie sagen indirekt auch, dass die Linke eine vermeintliche Lösung hat, und sie nichts haben. Die Linke jubelt.

Der ehemalige SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini sprach immer wieder von der konfliktiven Sozialpartnerschaft. Sie beinhaltet die Zusammenarbeit von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Sie beinhaltet auch die klare Verfolgung eigener Ziele und die Bereitschaft, Konflikte einzugehen und sie auszufechten.

Politisch war dies als Kampfruf gedacht. Doch es beschreibt realistisch, wie eine Zusammenarbeit mit der Linken sehr wohl gelingen kann: Konflikte sind unumgänglich, sie sind sogar Teil der Kooperation. Der sgv hat schon verschiedentlich bewiesen, dass es so aufgeht.

Während des Lockdowns haben Gewerkschaften versucht, politisches Kapital zu schlagen. Der sgv ging in die Opposition dazu. Das Resultat war für alle befriedigend: Unternehmen mit Schutzkonzepten konnten ihre Türen wieder öffnen. Arbeitnehmende hatten bei den Schutzkonzepten Mitwirkungs-, aber keine Mitbestimmungsrechte. Genau so, wie es das Gesetz vorsieht und wie der sgv es wollte.

Ein anderes Beispiel ist die Revision des Kartellgesetzes. Der sgv ging auf die gewerkschaftliche Linke zu, focht die Konflikte aus – und zog sie auf seine Seite, indem er die entsprechenden Kompromisse machte. Gemeinsam wurde die Revision versenkt.

Im politischen Prozess ist es ab und zu nötig, mit der Linken zusammenzuarbeiten. Erfolgreich arbeitet man zusammen, wenn man gemeinsame Ziele identifiziert und Konflikte bei der Zielerreichung austrägt. Konflikte sind das Naturell der Zusammenarbeit, und letztlich auch der Demokratie. Wenn man aber konfliktscheu und opportunistisch im vorauseilenden Gehorsam alles macht, was die Linke will, reagiert sie wie von Marx und Engels vorexerziert: Sie beisst in die Hand, die sie füttert.

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