Publiziert am: 20.03.2020

Konstruktiv, aber nicht naiv

BVG-REVISION – Das Ringen um einen mehrheitsfähigen Vorschlag zur Revision der 2. Säule geht weiter. Der sogenannte «Sozialpartnerkompromiss» stösst auf breite Ablehnung.

In seiner Vernehmlassungsantwort zur Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) erinnert der Schweizerische Gewerbeverband sgv zuhanden den EDI-Vorsteher Alain Berset einmal mehr daran, «dass wir uns stets konstruktiv eingebracht haben und dass wir bereit sind, die Kosten für systemkonforme Abfederungsmassnahmen mitzutragen, sofern diese darauf abzielen, das heutige Leistungsniveau abzusichern und nicht einen flächendeckenden Leistungsausbau zu finanzieren.»

Auf Distanz sei der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft erst gegangen, als die drei übrigen Sozialpartner – der Arbeitgeberverband SAV, der Gewerkschaftsbund SGB und Travail.Suisse – unmissverständlich darlegt hätten, dass für sie nur ein Lösungsvorschlag in Frage komme, der einen markanten Leistungsausbau und eine lohnprozentfinanzierte Umverteilung in grösserem Stil beinhalte.

«Da hiermit für uns in zweierlei Richtungen rote Linien überschritten wurden, war es für uns schlicht nicht mehr möglich, uns hinter einen solchen Ansatz zu stellen», sagt Hans-Ulrich Bigler. Der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv stellt damit Falschaussagen des Arbeitgeberverbands gegenüber der Sonntagspresse ins richtige Licht.

Deplatzierter Begriff

In seiner Beurteilung des bundesrätlichen Reformvorschlags betont der sgv, dass die Vorlage des Bundesrats auf jenem Vorschlag aufbaue, «der gelegentlich als ‹Sozialpartnerkompromiss› bezeichnet wird» – um gleich zu betonen, dass dieser Begriff falsch und irreführend sei. «Ein Vorschlag, der lediglich von einer schwachen Mehrheit eines einzigen Dachverbandes der Arbeitgeberseite unterstützt wird und vom Rest der Wirtschaft aufgrund seiner viel zu hohen Mehrkosten und seiner gravierenden Systemmängel zurückgewiesen wird, kann schlicht kein Sozialpartnerkompromiss sein», stellt der beim sgv für die Sozialpolitik zuständige Vizedirektor Kurt Gfeller klar.

«Entschieden zu teuer»

Im Weiteren teilt der sgv die Problemanalyse, die im erläuternden Bericht zur Vernehmlassungsvorlage wiedergegeben wird. Auf uneingeschränkte Zustimmung stösst insbesondere der Vorschlag, den BVG-Mindestumwandlungssatz auf 6,0 Prozent zu senken. Der sgv unterstützt ebenfalls den Antrag, den Versicherungsunternehmen die Kompetenz zu erteilen, einen Beitrag zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie erheben zu dürfen.

Den Rest der Vernehmlassungsvorlage aber weist der sgv in seiner Stellungnahme «dezidiert» zurück. «Der bundesrätliche Reformvorschlag ist mit jährlichen Mehrkosten von über drei Milliarden Franken entschieden zu teuer», sagt sgv-Direktor Bigler. «Die Halbierung des Koordinationsabzugs würde sowohl die Betriebe als auch die Versicherten aus dem Niedriglohnbereich überproportional stark belasten, weshalb wir insbesondere diesen Teil der Kompensationsmassnahmen zurückweisen müssen.» Kategorisch abgelehnt werden vom sgv die propagierten Rentenzuschläge und deren Finanzierung über zusätzliche fünf Lohnpromille.

Kürzungen kompensieren, aber …

Jede Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes habe für jene Versicherten, die ausschliesslich oder überwiegend im obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge versichert seien, Leistungskürzungen zur Folge. Diese Leistungskürzungen gelte es zu kompensieren. «Obwohl diese Kompensationsmassnahmen viel Geld kosten und sowohl die Betriebe als auch die Arbeitnehmenden erheblich belasten, haben wir seitens des sgv von Beginn der Sozialpartnergespräche an immer klar betont, dass wir bereit sind, angemessenen Abfederungsmassnahmen sowie deren Mehrkosten zuzustimmen und diese auch gegenüber unseren Mitgliedern zu rechtfertigen», schreibt der sgv. «An dieser Haltung hat sich nichts geändert. Der sgv ist nach wie vor bereit, angemessenen Abfederungsmassnahmen in Zusammenhang mit der Senkung des BVG-­Mindestumwandlungssatzes zuzustimmen.»

… die Frage ist: Wie?

Wichtig sei aber, so der sgv weiter, dass die Abfederungsmassnahmen so ausgestaltet würden, dass sie primär dem Ziel dienten, die Leistungseinbussen, die sich aus der Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes ergeben, aufzufangen. «Klar abzulehnen ist hingegen eine Reform, welche neben der reinen Abfederung der Einbussen auch noch einen flächendeckenden Leistungsausbau nach dem Giesskannenprinzip anvisiert. Die daraus resultierende Mehrbelastung für die Betriebe und die Beitragszahler ist nicht verkraftbar.»

Weiter legt der sgv grossen Wert darauf, «dass am Grundkonstrukt der beruflichen Vorsorge, in der jeder Versicherte sich mit Unterstützung seines Arbeitgebers sein eigenes Altersguthaben und damit seine eigene Rente anspart, festgehalten wird und auf die Einführung einer neuen, die Grundprinzipien des 3-Säulen-Prinzips verletzenden Umlagekomponente verzichtet wird».

Abfederung ja – Ausbau nein

«Unsere Haltung lässt sich wie folgt zusammenfassen», so der sgv-Direktor: «Der sgv setzt sich für eine rasche, mehrheitsfähige BVG-Reform ein, die eine substanzielle Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes beinhaltet und die von angemessenen Abfederungsmassnahmen begleitetet wird. Der sgv ist bereit, für Betriebe und Versicherte verkraftbare Mehrkosten mitzutragen. Eine Reform, die die systemfremde Umverteilung in der beruflichen Vorsorge aus- statt abbaut und die aufgrund eines umfassenden Leistungsausbaus mit zu hohen Mehrkosten verbunden ist, wird vom sgv hingegen klar abgelehnt und bekämpft.»

Gerhard Enggist

Meist Gelesen