Publiziert am: 09.02.2018

Lobby-Wildwuchs stoppen

AUSSERPARLAMENTARISCHE KOMMISSIONEN – 150 vom Bund bezahlte Lobby- und Diskussionskreise sind zu viel. Eine Motion von sgv-Direktor und Nationalrat Bigler zeigt Wirkung.

«Im Parla-, Parla-, Parlament, das Reden nimmt kein End’.» So lautet der Refrain eines deutschen Liedes aus dem Jahr 1848. In der Schweiz wird nicht nur in den eidgenössischen Räten politisiert, sondern auch in den rund 150 ausserparlamentarischen Kommissionen. Eine Motion von sgv-Direktor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler verlangt, hier über die Bücher zu gehen: Braucht es wirklich 150 Diskussionsgruppen?

Unterschiedliche Formen

Dabei gilt es zu unterscheiden: Einige ausserparlamentarische Kommissionen sind Behörden. Dazu gehören beispielsweise die Elektrizitätskommission und die Wettbewerbskommission. Diese haben Aufgaben, ihnen zugeteilte Mittel und sind auch für die Ergebnisse ihrer Arbeit verantwortlich. Dann gibt es sogenannte Leitungsgremien. Sie sind als ausserparlamentarische Kommissionen konstituiert, führen aber eine Stelle des Bundes, zum Beispiel ­
das Leitungsorgan des AHV-Fonds ­compenswiss, der sich selber gar als Verwaltungsrat bezeichnet.

«IN DER PRAXIS MACHT JEDE KOMMISSION, 
WAS SIE WILL.»

Die grosse Mehrheit der Kommissionen sind indes «Beratungsorgane». Sie behandeln einen jeweils abgesteckten Themenkreis. Beispiele dafür sind die Rüstungskommission, die Antirassismus-Kommission oder die Kommission für Konsumentenfragen. In der Theorie beraten diese Kommissionen die Bundesverwaltung in ihrer Entscheidungsfindung.

In der Praxis aber macht jede Kommission das, was sie will. Die Antirassismus-Kommission publiziert emsig Medienmitteilungen. Die Kommission für Konsumentenfragen ­lobbyiert für mehr Regulierung und weniger Freiheit. Und die Rüstungskommission… was dieser alte Zopf noch tut, weiss niemand so genau.

Eigene Interessen durchsetzen

In Wirklichkeit dienen heute die meisten ausserparlamentarischen Kommissionen als Lobby-Kanäle für Verbände und andere Anspruchsgruppen. In den Kommissionen werden Partikularanliegen durch den Kommissionsstatus legitimiert. Mehr noch: Der Bund entschädigt die Mitarbeit in diesen Gremien. Damit bezahlt der Bund sogar, um lobbyiert zu werden.

Das beste Beispiel dafür ist die Kommission für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. Am Tisch sitzen etwa die Gewerkschaften, die Stiftung für Konsumentenschutz, aber auch die Arbeitgeberverbände, darunter der Schweizerische Gewerbeverband sgv. Das sind alles Lobby-Organisationen. In jener Kommission bringen sie ihre Anliegen ein. Das bedeutet: Ihnen geht es nicht um die Beratung des Bundes, sondern um die Durchsetzung der eigenen Interessen.

Dieser Wildwuchs wird noch offensichtlicher, wenn man die 23-köpfige Beratende Kommission für Internationale Zusammenarbeit anschaut. Die Kommission, die unter anderem die Verteilung der Entwicklungsgelder diskutiert, wird von den Entwicklungsorganisationen «beraten». D. h. von den Geldempfängern. Das Gleiche in der Eidgenössischen Filmkommission EDI und der über 40-köpfigen Fachkommission Filmförderung. Zur offensichtlichen Doppelspurigkeit kommt hinzu: Die Subventionsempfänger «beraten» hier den Subventionsgeber.

Grosser Korrekturbedarf

Um diesen Wildwuchs zu stoppen, hat sgv-Direktor Bigler eine Motion eingereicht. Sie verlangt, «die Zahl der ausserparlamentarischen Kommissionen um einen Drittel auf das Notwendige zu reduzieren». Der Aufschrei der betroffenen Lobbyisten war gross. Zwar wurde die Motion im Nationalrat angenommen, doch danach im Ständerat abgelehnt. Gewirkt hat sie trotzdem.

Die Wirtschaftskommission des «Stöckli» will sich der Sache annehmen. Sie will alle vom Bund bezahlten Diskussionsgruppen einzeln durchgehen und überprüfen, ob es sie (noch) braucht. Das soll noch im Jahr 2018 erfolgen. Auch der Bund hat schon reagiert. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat die Arbeitsgruppe «Kreditmarkt» aufgelöst. Sie wurde im Zuge der Finanzkrise 2008 einberufen und betrieb seither reine Selbstverwaltung.

Selbstverständlich ist der Austausch der Interessensgruppen gut und wichtig. Ebenso selbstverständlich braucht die Bundesverwaltung Anregungen von aussen. Aber es braucht sicher nicht 150 vom Bund bezahlte Lobby- und Diskussionskreise. Geredet wird nämlich schon genug.

Henrique Schneider, 
Stv. Direktor sgv

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